Von Menschen und Hunden

Doris Lessing enttäuscht zweimal mit postapokalyptischem Tier-Kitsch

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Des Menschen bester Freund, heißt es, sei der Hund. Wenn man sich eine solche Freundschaft jedoch in concreto anschaut, zeigt sich in aller Regel, dass der menschliche Part mit einem Mann besetzt ist. Von einer derartigen Männer/Hunde-Freundschaft erzählt ein post-doom Sci-Fi-Film aus der Mitte der 1970er-Jahre. Bereits sein Titel "A Boy and His Dog" weist darauf hin, dass die Beziehung zwischen einem Menschenmann und seinem Hund im Mittelpunkt der Handlung steht. So kann es denn auch nur wenig überraschen, dass der von Don Johnson dargestellte Held am Ende des Filmes seine frisch gebackene Freundin an das Tier verfüttert, das sich im Übrigen durch seine sexistischen - seinem Herrn per Telepathie und dem Publikum durch eine Stimme aus dem off übermittelten - Kommentare schnell als Rüde geoutet hat. Eine wahre Männerfreundschaft also, die der Regisseur L. Q. Jones dem Publikum auf dem Höhepunkt der Zweiten Frauenbewegung andiente. Und eine ziemlich grausige und grausliche Geschichte zudem. Allerdings kann man dem Film immerhin zugute halten, dass er als Satire verstanden werden will und es an entsprechenden Hinweisen nicht fehlen lässt.

Wenn sich jedoch die vor allem durch das feministische Kultbuch "Das goldene Notizbuch", aber auch durch den Sci-Fi-Zyklus "Canopus im Argos. Archive I-IV" bekannt gewordene Autorin Doris Lessing der innigen Beziehung zwischen Herrchen und Hund zuwendet, ist ihr ganz und gar nicht nach ironischen Scherzen zumute. Vielmehr erzählt sie mit geradezu tierischem Ernst von einer wunderbaren, fast mag man sagen wundersamen, jedenfalls aber tiefinnigen Freundschaft. Zumindest in ihrem jüngst erschienen Roman "Die Geschichte von General Dann und Maras Tochter, von Griot und dem Schneehund", der in einer circa 15.000 Jahren entfernten Zukunft an der nördlichen Küste des Kontinents Ifrik, dem heutigen Afrika, spielt. Auch in Lessings Buch - es handelt sich ebenfalls um einen postapokalyptischen Sci-Fi - sind Herr und Hund bereits im Titel genannt, wenngleich auch nicht in unmittelbare Beziehung zueinander gesetzt. Die Darstellung der ganz besonderen Freundschaft zwischen Mann und Hund gerät bei Lessing immer wieder zu purem Kitsch: "Dann liebte das Tier. Sein zorniges Kämpferherz zerschmolz in Frieden und Liebe, wenn der Schneehund bei ihm lag und sein Gesicht leckte oder an seinen Fingern saugte." Doch nicht nur die Beschreibung der Liebe Danns zu seinem canischen Gefährten Ruff gleitet in derartige Niederungen ab. Nicht weniger kitschig wird auch die erste Begegnung Danns mit seiner sechsjährigen Nichte Tamar dargestellt: "Nie waren zwei Menschen einander so leidenschaftlich und gleichzeitig so schüchtern begegnet." Der Kitsch beider Stellen wird noch überboten, wenn General Dann seine Mannen zum Appell bestellt, um ihnen das Kind vorzustellen. Just "in diesem passenden Moment drangen plötzlich schwache Sonnenstrahlen durch die schweren Wolken, und goldenes Licht fiel zuerst auf Dann, Tamar und den Schneehund und schließlich auf den ganzen Platz."

Neben der Männer/Hunde-Freundschaft weist Lessings Buch noch eine spezifischere Gemeinsamkeit mit Jones cineastischer Geschichte des Boys und seines Hundes auf. Ebenso wie der Regisseur entbietet die Autorin dem Hund ein Frauenopfer. Doch geht Lessing subtiler vor. Und jemandem, der nur "Die Geschichte von General Dann und Maras Tochter, von Griot und dem Schneehund" liest, erschließt sich das Frauenopfer nicht so ohne weiteres. Denn die in dem Buch erzählte Geschichte schließt unmittelbar an diejenige der Geschwister "Mara und Dann" - so auch der Titel des Vorgängerbandes - an, dessen eigentliche Protagonistin Danns Schwester Mara ist, und dies nicht nur darum, weil diese Figur die Erzählperspektive bestimmt. Lessing lässt ihre am Ende des ersten Bandes schwangere Protagonistin in den wenigen Monaten Erzählzeit, die zwischen den beiden Büchern liegt, kurzerhand bei der Geburt einer Tochter sterben, auf dass fortan der Schneehund Ruff bei Dann die Stelle des engsten Vertrauten und wichtigsten Lebewesens einnehmen kann. Später wird dieses Privileg dem Tier allerdings von Maras Tochter streitig gemacht. Das Herz des Hundes wiederum zerbricht daran, dass er sich nicht zwischen Dann und Tamar entscheiden kann, die beide seine ganze Zuneigung fordern.

Im ersten Band - dem doch lesbareren "Mara und Dann" - erzählt Lessing die Vorgeschichte all dessen. Genauer besehen handelt es sich allerdings um die Hauptgeschichte, zumindest um die interessantere. Sie handelt davon, wie sich das titelstiftende Geschwisterpaar, dessen Herkunft von einem gefährlichen Geheimnis umwoben ist, aus dem Süden Ifriks an die Nordküste des Kontinents durchschlägt. Ihre Wanderung beginnt ungefähr im heutigen Simbabwe und endet im von paradiesischen Hoffnungen erfüllten "Norden". Ihre Odyssee führt Mara und Dann durch die südlichen Wüsten des Kontinents, eine Flusslandschaft im mittleren Ifrik sowie in dessen nördliche Sumpfgebiete und Tundren. Die auf ihrem Weg liegenden Dörfer und Städte sind samt und sonders von Verwüstungen bedroht - im übertragenen und meist auch im wörtlichen Sinn.

Schon früh konstatiert Mara, "dass die Dinge schon lange ziemlich schlecht standen, dass alles immer schlimmer wurde". Und das hat seinen einfachen Grund darin, dass das Wissen der Menschheit verloren gegangen ist. Zumindest dasjenige der Menschen in Ifrik. Yerrup, das heutige Europa, ist unter der dicken weißen Decke einer Eiszeit versunken. Dort lebt niemand mehr und von anderen Kontinenten weiß man nichts. Erfunden wird auch schon lange nichts mehr. Doch gibt es noch immer überall einige Relikte der gloriosen Vergangenheit, in der die Menschen "alles" wussten. Denn "[f]rüher, vor langer Zeit, gab es eine Kultur" und "Wissenschaften". Manche dieser oft technischen Relikte funktionieren noch, darunter einige "Luftgleiter" und "Sonnenfallen", doch weiß kaum noch jemand, wie man sie benutzt. Und gehen sie einmal kaputt, können sie nicht repariert werden. Hierzu fehlen sowohl das Wissen als auch die Werkzeuge. Neben unzähligen neuen Tierarten für deren Entstehung die Natur alleine sicherlich mehr als nur 15.000 Jahre benötigt haben würde, gibt es in Maras Welt auch neue menschliche Ethnien, wie etwa die geistig sehr schlichten Hennes, die sich bis zur völligen Ununterscheidbarkeit gleichen.

Die Geschlechterrollen der Geschwister sind zunächst klischeehaft konventionell, ja derart altbacken gestaltet, dass man sich nicht in die Zukunft, sondern in ein Märchen früherer Jahrhunderte versetzt fühlt. Der Jüngling Dann zieht in die Welt hinaus und kommt nach längerer Zeit wissend und stark zurück. Seine einige Jahre ältere Schwester Mara bleibt hingegen all die Jahre zuhause und pflegt die alte und zuletzt sterbende Ziehmutter der beiden. Bei Danns Rückkehr liegt die alte Frau passend im Sterben und nach ihrem Tod ziehen die Geschwister unter Führung Danns gemeinsam nach Norden, wo alles besser sein soll. Unterwegs allerdings ändert sich die hierarchische Beziehung zwischen beiden. Tritt Dann zunächst als mit Herrschaftswissen ausgestatteter brüderlicher Beschützer auf, der die Fragen seiner Schwester meist mit der Bemerkung, das verstehe sie eben nicht, abwehrt, kehrt sich dieses Verhältnis langsam um.

Mara erweist sich als die Klügere und Wissbegierigere, die sich notwendige Kenntnisse durchaus auch ohne Danns Hilfe aneignen kann. Und wenn er sich zu Beginn der Wanderung noch weigert, ihr alles anzuvertrauen - "Wenn Du es nicht weißt, kannst du es nicht sagen, oder?" - so ist sie es später, die ihm verschiedenes verschweigen muss, um sie beide zu schützen. Denn sein durch eine frühkindliche Traumatisierung bedingtes irrationales Verhalten bringt die Geschwister immer wieder in Schwierigkeiten. Einmal verspielt er seine Schwester sogar an einen Frauenhändler, so dass sie den Freiern in einem Bordell zu Willen sein muss. Aufgrund des Traumas entwickelt Dann eine gespaltene Persönlichkeit. Tritt der abgespaltene Andere zunächst als kleiner, bei seiner großen Schwester Schutz suchender Junge auf, entpuppt er sich später als wahrer Mr. Hide. So wird die qua Kraft und Erfahrung große Überlegenheit des jüngern Bruders durch die frühkindliche Traumatisierung gebrochen.

Verkörpert Dann als traumatisierter Einzelgänger zu Beginn der Geschichte das Stereotyp des autonomen (beziehungsweise nach Autonomie strebenden) Mannes, so bedient Mara über den gesamten Roman hinweg dasjenige der Frau mit den hilfreichen und rettenden 'weiblichen' softskills wie Teamfähigkeit und Empathie. Während Danns Entwicklung das 'Ideal' 'männlicher' Autonomie als gefährliche und zerstörerische Besessenheit ausweist, erhält sich Mara ihre 'weiblichen' Tugenden unverändert über die gesamte Romanhandlung hinweg. Allerdings werden ihr mit den Eigenschaften Klugheit und Wissbegierde - die nicht etwa als Neugierde, sondern fast schon Forscherdrang auftritt - ebenso männlich konnotierte Tugenden zugesprochen.

Bemerkenswert ist auch das von Beginn an vorhandene, im Laufe der Handlung jedoch immer stärker hervortretende Inzestmotiv. Die Geschwister lieben einander, doch während Dann die sexuelle Vereinigung mit seiner Schwester anstrebt, wird sie von Mara zurückgewiesen.

Zwar wird das Leseinteresse durch die Frage wachgehalten, was Mara und Dann am Ende ihres Weges im mit ungewissen Hoffnungen erfüllten Norden erwartet, doch wird das Lesevergnügen immer wieder durch Ungereimtheiten getrübt. Wieso kämpfen die klugen Mahonis, denen auch Mara und Dann angehören, ebenso wie die nicht eben dummen Hardonen mit bloßen Knüppeln oder zugespitzten Stöcken und sind nur ganz ausnahmsweise einmal im Besitz eines von alters her überlieferten Messers, während die stumpfen und strohdummen Hennes herausgefunden haben, wie man Gewehre fabriziert? Wieso vergessen Mara und der Überlebenskünstler Dann ausgerechnet die lebenswichtigen Streichhölzer, als sie das Steindorf verlassen? Wieso weiß die jugendliche Mara, die das "Milchtier" zum Nachbarn bringt, um es decken zu lassen, nicht, was das Blut zwischen ihren Beinen bedeutet? Wenig wahrscheinlich ist auch, dass sich die Geschichten Madame Bovarys, Madame Butterflys, Romeos und Julias oder Anna Kareninas nach 15.000 Jahren kulturellen Niedergangs erhalten haben sollten. Aber sie werden erzählt, wenn sie gerade mal zu passen scheinen.

Streben Handlung und Wanderung im ersten Roman einem wenn auch unbestimmten Ziel im Norden entgegen, so irrt Dann im multiperspektivisch geschriebenen Folgeroman an der Nordküste des Kontinents entlang, ohne dass er oder die Lesenden wissen, wohin das wohl führen soll. Er verlässt die im Nordwesten Ifriks gelegene "Farm" und das "Zentrum" (des Wissens der Vergangenheit), zieht nach Osten, kehrt zurück, trifft Maras Tochter, wird wissensdurstig - erhält somit den Charakterzug, der im ersten Buch Mara auszeichnete - verlässt mit seinen Leuten das "Zentrum" wieder, da es aufgrund der Eisschmelze in Europa in einem riesigen Sumpf zu versinken oder von Wasser überschwemmt zu werden droht, und macht sich am Ende des Romans auf, eine zukunftsweisende Gesellschaft zu gründen.

Lessing verpasst ihrem Protagonisten in diesem zweiten Buch einen völlig neuen Charakter. So bewegt sich Dann nicht nur entlang der Küste eines durch Schnee- und Eisschmelze werdenden Meeres, er hat nun auch recht nah am Wasser gebaut.

Der Subtext insbesondere des zweiten Bandes transportiert manch ungute Botschaft. Etwa, dass gutes Leben träge und lebenstuntauglich macht, dass Gut und Böse stets fein säuberlich zu trennen und letztere in der Regel schon durch ihr Äußeres gekennzeichnet sind, beispielsweise durch Narben im Gesicht (die auch den Bösewicht des ersten Bandes kennzeichnen) oder durch Dickleibigkeit. Kira, eine Figur, die im ersten Band noch attraktiv und von ambivalentem Charakter, aber letztlich doch von einem positiven Freiheitsdrang beseelt war, ist nun nur noch fett und böse. Kurz, der Folgeband fällt gegenüber dem ersten Buch deutlich ab.

Insgesamt erleben Mara, Dann und die anderen Geschichten, die man sicher nicht gelesen haben muss. Eine leichte Lektüre, zu empfehlen vielleicht bei Bettlägerigkeit. Angesichts des "Goldenen Notizbuches" aber bildet zumindest der zweite Band eine nicht eben geringe Enttäuschung.


Titelbild

Doris Lessing: Mara und Dann.
btb Verlag, München 2004.
573 Seiten, 11,00 EUR.
ISBN-10: 3442731410
ISBN-13: 9783442731411

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Titelbild

Doris Lessing: Die Geschichte von General Dann und Maras Tochter, von Griot und dem Schneehund. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Barbara Christ.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2006.
288 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-10: 3455043852

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