Opi bekommt keine Antwort von Präsident Husák

"Normalisierung" in Böhmen: Irena Dousková überzeugt mit "Der tapfere Bella Tschau", einer Kinderperspektive auf die 1970er-Jahre in der CSSR

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Helena, ein knapp neunjähriges Mädchen, lebt in den 1970er-Jahren im tschechoslowakischen Nicín. "Der tapfere Bella Tschau" ist ein Roman, voll mit munteren Anekdoten und aus dem Leben gerissener Beobachtungen Helenas. "Bella Ciao" bildet den Refrain eines Partisanenliedes, welches die kleine Helena im Radio gehört hatte. Sie interpretiert diesen Reim falsch und möchte unbedingt auch so tapfer wie jener besungene Bella Taschau sein. An diesem Vorgang zeigt sich das Typische ihrer Berichterstattung: Irgendwo hört oder sieht sie etwas, wundert sich mehr oder weniger darüber und macht sich ihren eigen Reim darauf. Und an Gelegenheiten sich zu wundern mangelt es nicht, trotz oder gerade wegen der allgemeinen Tristesse, die kennzeichnend für die Tschechoslowakei der 1970er- und 1980er-Jahre ist.

Es sind die Jahre der so genannten "Normalisierung", einer politischen Periode des allgemeinen Niedergangs, die der gewaltsamen Unterdrückung der Reformeuphorie des "Prager Frühlings" von 1968 folgte. Alexander Dubcek, der politische Repräsentant eines "Sozialismus mit menschlichem Antlitz", ist in einer Art landesinnerer Verbannung verschwunden. Erst als in Moskau Michail Gorbatschows "Perestroika" angekündigt wird, kann sich Dubcek wieder zu Wort melden. In der Parteizeitung der italienischen Kommunisten "l'Unita" berichtet Dubcek im Dezember 1987 über die allgemeinen politischen und gesellschaftlichen Folgen der "Normalisierungspolitik": "Wenn wir nur die aus der Partei ausgeschlossenen Mitglieder in Betracht ziehen und davon ausgehen, daß eine Familie durchschnittlich drei Mitglieder hat, so wurden nur dadurch fast 1 500 000 Menschen betroffen. Wir müssen aber auch noch die Verwandten hinzuzählen sowie Parteilose, die wegen ihrer Einstellung oder der ihrer Geschwister oder Kinder diskriminiert wurden, mitsamt ihren Familien. Was für eine Anzahl kommt da heraus, und das bei einer Einwohnerzahl von 15 Millionen!".

Die kleine Helena wächst in genau solch einem Milieu auf und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass diese Geschichten eine autobiografische Prägung besitzen. Auch die Eltern von Irena Dousková arbeiteten am Theater, einer Welt, die der Autorin von klein auf vertraut war und zugleich als magischer Ort Zuflucht geboten hatte.

Helena liebt das Essen und weniger den Sport, "der Sportunterricht in der Schule ist nämlich nicht zum Sportmachen erfunden worden, sondern zum Quälen von dicken und ungeschickten Kindern". Da Helena beides ist, läuft sie immer Gefahr, in eine Außenseiterrolle zu geraten. Ihren leiblichen Vater kennt sie nur vom Hören, er lebt im westlichen Ausland. Dass in seinem Zusammenhang davon getuschelt wird, dass er Jude ist, wirft ein bezeichnendes Licht auf die xenophobe Isolation jener Zeit. Und ein antisemitischer Zungenschlag hatte in den böhmischen Ländern eine gewisse Tradition.

Von all diesen geschichtlichen und politischen Hintergründen weiß Helena nichts, sie nimmt lediglich in wacher Bewusstheit ihre Umgebung wahr und genau diese Konstellation tut ihrem Erzählen gut. Es wird keine larmoyante Anklage und auch keine soziologische Dokumentation inszeniert, sondern vom kindlichen Alltag der dicken Helena berichtet. Die Erlebnisspanne ist weit gestreut, sie reicht von Helenas Abscheu gegenüber Lungenhaschee, ihrer Leidenschaft für Filzmalstifte und Töpfern, tragischen Sterbefällen, sonderbaren Exkursionen mit jungen Pionieren bis hin zu Reibereien mit ihrer Mutter, die sie Kacenka nennt. Kacenka und ihr Mann Pepa arbeiten am Theater in Nicín, aber nicht nur einem verdrucksten Getuschel entnimmt Helena, dass deren Positionen aus politischen Gründen sehr gefährdet sind. Gegen ihre Entlassung hat sich Opa František mit einer Eingabe an den Staatspräsidenten Gustav Husák gewandt. Der Roman endet mit einem Postskriptum: "Der Präsident Husák hat dem Opi noch nicht geantwortet, deswegen glaub ich, daß der Opi auch keine Antwort mehr kriegt".

Kennzeichnend für den Erzählstil ist eine distanziert gehaltene Prosa aufgrund eines scheinbar naiven Beobachtungsstandpunktes. Zugleich beeindruckt ein gewaltiges Arsenal von kleinsten Details, die unauffällig aber punktgenau beschrieben sind. Helenas angenehm plaudernder, zuweilen flapsiger aber niemals oberflächlicher Ton fesselt den Leser.

Irena Dousková, die auch mit Lyrik auf sich aufmerksam gemacht hat, ist mit diesem Roman eine griffige und dennoch hintergründige Prosa gelungen. Zurecht zählt Sie in der Tschechischen Republik zu den vielversprechendsten Talenten, die in der letzten Zeit mit Veröffentlichungen hervorgetreten sind.


Titelbild

Irena Dousková: Der tapfere Bella Tschau. Roman.
Übersetzt aus dem Tschechischen von Mirko Kraetsch.
dtv Verlag, München 2006.
177 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-10: 3423245476

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