Macht Macht gewalttätig?

In "Kalter August" lässt Peter Temple Reiche sich an Kindern vergreifen

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist eine gängige These in der Literatur (und vielleicht ist sie ja auch belastbar), dass Macht verdirbt, gerade was das Sexualleben angeht. Die Mächtigen vergehen sich bei Henning Mankell und bei Peter Temple gern einmal an den Schwachen, den Kindern, eingeschleusten Frauen oder bei denen, die nur zu schwach sind, sich zu wehren. Oder sie lieben es, einmal so ganz auf alle Macht und Herrlichkeit zu verzichten, um einmal Urlaub vom Selbst zu nehmen. Selbst Diederich Heßling in Heinrich Manns Roman "Der Untertan" (aus dem Jahr 1914/18) lässt es sich gern einmal von seiner Frau dominant besorgen (was, so die Forschung, von der einschlägigen Kennerschaft Heinrich Manns zeugen soll).

In deutsche Politiker- und Unternehmerschlafzimmer allerdings kann anscheinend nicht einmal die BILD-Zeitung einen Blick werfen. Wie wäre es anders zu erklären, dass von rein Niemandem in der deutschen Politikerszene irgendetwas Derartiges bekannt geworden wäre. Ja, Amerika, du hast es besser. Ein blow-job bei Schröder oder Kohl oder Schmidt (oder Merkel) - undenkbar.

Ganz anders aber ist das in der Literatur. Und so auch bei Peter Temple. Ein alter, reicher und mächtiger Mann wird tot aufgefunden, ermordet. Ein guter Mensch, immer hilfsbereit, Unternehmer war er, soziale Projekte hat er unterstützt, zum Beispiel damals das Sommercamp, das auf so tragische Weise enden musste, mit einem Brand und toten Jungen. Alle wissen nur das Beste über ihn, alle sprechen nur Gutes, so wie auch er immer nur Gutes getan hat - was niemand wirklich glauben kann. Denn jeder macht mal Fehler und ist ein elendiger Scheißkerl.

So auf die Fährte gesetzt, ist unser australischer Anti-Held Joe Cashin kaum noch aufzuhalten. In die Provinz versetzt, muss er sich vom ermittelnden Kriminalbeamten, der arg spät erst an den Tatort kommt, einige Unverschämtheiten anhören. Ein Kollege, der bei der Fahndung nach Verdächtigen hilft, hat es offensichtlich darauf abgesehen, die schnell ausgemachten üblichen Verdächtigen möglichst schnell um die Ecke zu bringen. Anscheinend ist niemand wirklich an der Wahrheit interessiert, sondern an der Bestätigung liebevoll gepflegter Vorurteile und an einem schnellen Fahndungserfolg. Aber wen wundert das? Temple legt bereits früh die Fährten, die schließlich zur Kern der Sache führen, der Korrumpiertheit der Macht. Sie gibt Verfügungsgewalt über alles und alle. Und wo es im wirklichen Leben immer wieder zu Verweigerungen, zu Schwierigkeiten, zu Misserfolgen kommt, ist doch dieses schmale Areal Sexualität so viel einfacher zu bespielen. Hier sind nur Opfer und Mittäter am Werk. Die Opfer tun genau das, was sie sollen, sie sind Opfer. Die Mittäter bekommen ihren Anteil an der Macht und halten ansonsten die Klappe. Was allerdings, wenn eines der Opfer überlebt? Dann kommt die Stunde der Rache. Und die ist in Temples Roman angebrochen.

Denn nach und nach werden die Betreiber des vor Jahren abgebrannten Jungen-Camps umgebracht, grausam, langsam, schmerzvoll. Offensichtlich genießt jemand seine Rache, und zwar Sekunde für Sekunde. Nur der Grund bleibt lange unklar, denn wie wir wissen, der reiche, alte Mann war ein guter Mann. War er natürlich nicht, alles nur Fassade.

Um noch einmal drauf zurückzukommen. Im Grunde genommen können wir doch zufrieden sein mit unseren Spitzenpolitikern und Großunternehmern. Sie scheinen genug Arbeit mit ihren Jobs zu haben und den Rest ihrer Zeit mit ihren Lebenspartner zu verbringen. Und selbst wenn sie soviel Dreck am Stecken haben (schönes Bild in diesem Kontext), wie die Kriminalromane meinen, sind sie anscheinend schlau genug und haben ihre Spießgesellen gut genug im Griff, dass wir ihnen nicht auf die Schliche kommen. Anders dagegen in Australien, dank Joe Cashin.


Titelbild

Peter Temple: Kalter August. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Hans M. Herzog.
C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh 2007.
442 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783570009505

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