Auf dem Weg in die religionsförmige Kulturindustrie

Hans-Joachim Höhns "Postsäkular. Gesellschaft im Umbruch - Religion im Wandel"

Von Andreas KorpásRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Korpás

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In seiner Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels hatte Jürgen Habermas davon gesprochen, dass "in Anbetracht der religiösen Herkunft seiner moralischen Grundlagen [...] der liberale Staat mit der Möglichkeit rechnen" sollte, "dass die 'Kultur des gemeinen Menschenverstandes' (Hegel) angesichts ganz neuer Herausforderungen das Artikulationsniveau der eigenen Entstehungsgeschichte nicht einholt" (Habermas 2001).

An diesen Gedanken schloss sich 2004 in einem öffentlichen Gespräch, welches von der Katholischen Akademie in München veranstaltet, und zu welchem als Gesprächspartner der damalige Präfekt der christlichen Glaubenskongregation und jetzige Papst Benedikt XVI. eingeladen wurde, die Einsicht an, dass sich "in der postsäkularen Gesellschaft [...] die Erkenntnis" durchsetze, "dass die 'Modernisierung des öffentlichen Bewusstseins' phasenverschoben religiöse wie weltliche Mentalitäten erfasst und reflexiv verändert." In diesem Zusammenhang sprach Habermas von einem "komplementären Lernprozess", der die säkulare wie die religiöse Seite in die Lage versetzen solle, sich "gegenseitig ernst[zu]nehmen" und "eine liberale politische Kultur sogar von den säkularisierten Bürgern erwarten" könne, "dass sie sich an Anstrengungen beteiligen, relevante Beiträge aus der religiösen in eine öffentlich zugängliche Sprache zu übersetzen" (Habermas 2004).

Der Friedenspreisträger hatte sich in seiner Analyse der Gegenwart auf ein Werk von Ernst-Wolfgang Böckenförde, welches bereits 1967 unter dem Titel "Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation" erschienen war, bezogen. Die religiöse Tradition wird von Habermas nicht mehr als eine zu überwindende in einer nachmetaphysischen Gesellschaft betrachtet, sondern als ein Fundus an moralischen Werten, der auch für säkularisierte Menschen seine Praxistauglichkeit bewiesen habe und daher das demokratische Staatsmodell stützen könne und müsse. Religion hat uns, in dieser Lesart, etwas zu sagen, sie besitzt einen eigenen, für heutige Menschen durchaus greifbaren Wert. Habermas hatte damit den Begriff "postsäkular" in die öffentliche Debatte getragen.

Ein im Frühjahr des Jahres 2007 unter dem Titel: "Postsäkular. Gesellschaft im Umbruch - Religion im Wandel" erschienenes Buch des Kölner Theologen Hans-Joachim Höhn möchte den Begriff präzisieren und erklären, mit welcher Berechtigung wir uns als in einer "postsäkularen" Zeit lebend verstehen dürfen. Der Terminus wird in Verbindung gebracht mit "einem Unbehagen an der Moderne". Dabei nimmt Höhn Anzeichen dafür wahr, dass die Religion - gemeint ist die christliche Religion in Westeuropa - "sogar ihr säkularisierungsbedingtes Ende überlebt" habe. Er behauptet: "Dass die Moderne selbst einmal von der Religion ganz loskommen könnte, gehört offensichtlich zu den Illusionen, von denen sie loskommen muss."

Ein Schwerpunkt der Diagnose liegt auf der Beschreibung der so genannten Dispersionstheorie des Religiösen. Demzufolge ist es nicht das Religiöse selbst, das auf vielerlei Weise in Bildern und Symbolen begegnet, sondern "benutzt werden religiös konnotierte Layouts, Ästhetiken und Semantiken für nicht-religiöse Inhalte und Ziele." Diese Art der Aneignung und des "Gebrauchs" religiöser Muster wird denn auch folgerichtig als "religionsförmig" bezeichnet. Christlich-religiöse Symbole gehören offensichtlich zum schnell wechselnden Repertoire der Popkultur. Ein weiteres deutliches Zeichen der Dispersion religiöser Strukturen ist die Herausbildung einer eigenen individuellen Religion.

Ein Ausdruck der Überformung mit religiösen Mustern wird vom Autor im Bereich der Finanzmärkte und des Geldes gesehen. Mit dem Begriff des "Moneytheism" wird der Sachverhalt auf eine griffige Formel gebracht. Nicht von der Hand zu weisen, allerdings auch nicht neu, ist die Diagnose, dass sich Geld als Tauschwert "zum Endzweck, auf das sich jegliches (Erwerbs-)Streben richtet" entwickelt habe. Interessanter ist die These, dass "das Geld offensichtlich imstande" sei, "der Religion als Adressatin von Erlösungshoffnungen den Rang abzulaufen." Der Grund hierfür wird in einer Reihe von Gemeinsamkeiten gesehen. Gemeint sind so genannte ",geldförmige' Praktiken" des Religiösen, wie "z. B. Kredit, Schulden, Gläubiger", die erst in späteren Zeiten ökonomisch 'umbesetzt' worden seien.

Ein weiterer Bereich der Subsumtion religiösen Lebens in den Alltag des 21. Jahrhunderts wird in den Medien, und ganz besonders im Fernsehen ausgemacht. Es stelle sich, Höhn zufolge, die Frage, "inwieweit die Medien selbst zu einem 'Religiosum' werden". Die Medien scheinen "zunehmend Aufgaben 'inszenatorischer' und 'performativer' Realitätsverarbeitung zu übernehmen, die früher der Religion zukamen." Die Formate der Unterhaltungsindustrie seien sinnbildhaft an religiöse Vorbilder angelehnt und kopierten diese.

Der Autor wendet im weiteren die Dispersionstheorie des Religiösen auf Politik und Staat an. Im Zentrum der Argumentation steht dabei der Begriff des "Zivilreligiösen". Er wurde erstmals von dem Soziologen Robert N. Bellah im Jahre 1967 geprägt. In diesem Zusammenhang wird die Frage gestellt, ob es tatsächlich einen zivilgesellschaftlichen Konsens, sei es auch nur ein Minimalkonsens, über die Anerkennung einer gemeinschaftlichen religiösen Basis gibt, oder ob es sich dabei nicht doch nur um "Vollzüge der Zivilreligion [...] im Dienste einer längst obsolet gewordenen politischen Legitimationsbeschaffung und Kontingenzbewältigung" handelt. Problematisch wird die Kategorie dann, wenn zum Beispiel über die Einbeziehung des Christentums in die Verfassung der Europäischen Union nachgedacht wird, oder aber, wenn Gedenkgottesdienste, zum Beispiel anlässlich des Concorde-Absturzes im Jahr 2000, zum öffentlichen Ereignis werden.

Der letzte größere Abschnitt ist den "Perspektiven einer transversalen Theologie der Religionen" gewidmet. Religion steht dabei im Plural. Das bedeutet konkret: "freie Auswahl aus allen religiösen Traditionen und freie Kombinierbarkeit der Traditionsinhalte." Wie problematisch dieser plurale Religionsbegriff wird, zeigt sich vielleicht am deutlichsten in einer baldigen "Relativierung jeder einzelnen Religion und jeder religiösen Beheimatung". Als Zufall erscheint die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion - der "Geltungsanspruch [...] des Religiösen überhaupt" steht zur Debatte.

Hans-Joachim Höhns idealisierter und an Wolfgang Welschs Modell einer "transversalen Vernunft" orientierter Vorschlag, die Tatsache des Nebeneinanders vieler Religionen, zum einen durch Migrationsbewegungen in Europa, zum anderen in globaler Perspektive, positiv und als Chance zu betrachten, erinnert stark an die Postmoderne-Debatte der 1980er und 1990er-Jahre. Höhn beschreibt sein Konzept einer "transversalen" Religion "im Überwinden und Übersteigen einer sowohl exklusivistischen als auch inklusivistischen und pluralistischen Position, indem das jeweilige Moment, das in diesen Positionen zu Recht betont wird, jeweils gegen seine programmatische Absolutsetzung gewendet wird (lat. 'transvertere')". Insofern erscheint dieses Modell der 'transversalen Religion' als Ausdruck eines zeitgeschmacklichen Toleranzmodelles.

Solche Konzepte in der Religion sind äußerst problematisch, die Hoffnung Höhns auf "eine Haltung der gegenseitigen Wertschätzung aus ihren jeweils eigenen Quellen und normativen Traditionen" trügerisch, denn diese kann nur gelingen, wenn sich Religionen auf einem gemeinsamen Entwicklungsstand gegenübertreten, was bedeutet, dass die in Frage kommenden Religionen durch eine zweihundertjährige Phase der Säkularisierung in ständiger Auseinandersetzung mit Aufklärung und philologisch-historischer Kritik der heiligen Schriften gegangen sein müssten.

Die Diagnose Höhns greift in einigen Fragen zu kurz. Die konstatierten Tendenzen sind an keiner Stelle empirisch belegt. Es handelt sich zumeist um Verallgemeinerungen recht alltäglicher Beobachtungen. Immerhin lohnt sich das Nachdenken darüber, ob an Einzelbeobachtungen nicht eine allgemeine Tendenz festgemacht werden könne und ob das behauptete Nebeneinander von Säkularisierungstendenzen und religiöser Praxis nicht tatsächlich symptomatisch für unsere Zeit ist.


Titelbild

Hans J. Höhn: Postsäkular. Gesellschaft im Umbruch - Religion im Wandel.
Schöningh Verlag, Paderborn 2006.
180 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-10: 3506763288
ISBN-13: 9783506763280

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