Kohls Kinder

Florian Illies inspiziert die "Generation Golf"

Von Anja HöferRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anja Höfer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Über die Generation der heutigen Endzwanziger wurde in den letzten Jahren viel gerätselt und theoretisiert. Es waren zumeist Soziologen und Publizisten der Elterngeneration von `68, die sich irritiert über den als erschreckend unpolitisch geltenden Nachwuchs beugten und ihm immer neue Etiketten aufdrückten: "Generation X" nach dem gleichnamigen Roman von Douglas Coupland machte den Anfang, es folgten "Generation Berlin", "Die 89-er" und schließlich "Generation@".

Florian Illies, Jahrgang 1971 und Berliner FAZ-Redakteur, zeichnet nun gleichsam aus der Innenperspektive ein Kollektivportrait jener Jungmenschen um die Dreißig, die mit "Wetten, dass", Kinderschokolade und Helmut Kohl groß geworden sind. Als übergreifendes Kennzeichen seiner Generation dient ihm weder ein politisch markantes Datum, noch ein historisch bedeutsamer Ort, sondern, bezeichnend genug, ein Automodell: in der "Generation Golf" hat das Design endgültig das Bewusstsein verdrängt. Die Empörung, die ihre Vorgänger noch gegen Nato-Doppelbeschluss und Startbahn West auf die Straße trieb, können die in den achtziger Jahren sozialisierten Konsum-Kids höchstens angesichts von Tennissocken und Moonwashed-Jeans empfinden. Die Sozialutopien ihrer "Gemeinschaftskundelehrer" haben sie zusammen mit den "AKW? Nee!"-Buttons auf der Müllhalde alles Uncoolen entsorgt. Wichtiger als die richtige Meinung zu haben ist es, die richtige Marke zu tragen, lautet das Credo, und entsprechend hält man die "Entscheidung zwischen einer grünen und einer blauen Barbour-Jacke" für "schwieriger als die zwischen CDU und SPD".

Sicher gilt Illies' Befund nicht für alle Angehörigen seiner Generation, aber viele werden sich in seiner detailversessenen und höchst unterhaltsamen Alltagsphänomenologie des "langweiligsten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts" wiederfinden. Schaurig und schön leben sie noch einmal auf, die Achtziger: mit Playmobil und Nutella, mit Vanilletee und Boris-Becker-Starschnitt, mit Nino de Angelos "Jenseits von Eden", mit Benetton-Pulli und Adidas-Allround-Turnschuhen, und auch der kleine Junge aus der Grundschulklasse ist wieder da, der mit dem eiförmigen Pflaster auf dem einen Auge und der unerhört dicken Brille, die das freie Auge um so eulenhafter hervortreten lässt. Illies, ein wahrer Erinnerungskünstler, trägt das alles mit bewundernswerter Akribie zusammen, und der Wiedererkennungswert grenzt bisweilen an Obszönität. Jahrelang hat man geglaubt, bestimmte Situationen und Erlebnisse seien ureigenes, individuelles Erfahrungsgut. Nun stellt man dank Illies beklommen fest, dass dies eine große Illusion war. Selbst die Kritzeleien auf dem Lederranzen gleichen sich auf gespenstische Weise, und man kann sich nur darüber wundern, wie uniform gerade jene Generation erscheint, die sich so gerne durch ihren ästhetischen Abgrenzungswillen definiert.

Alles ist irgendwie total süß und witzig und nett an diesem Buch. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb beschleicht einen bei der Lektüre manchmal ein diffuses Unbehagen, von dem auch der Autor selbst nicht ganz frei zu sein scheint. Illies muss nicht in ein kulturkritisches Lamento in eigener Sache verfallen, um zu zeigen, dass sich hinter der glatten Oberfläche des fröhlich zelebrierten, fast neurotischen Label-Droppings eine gähnende Leere auf tut. So wenig Sinn, Ziel und Idealismus war selten. Am Ende entsteht das Bild einer Generation, die in ihrer Jugend schon so konservativ, illusionslos und abgeklärt wirkt, wie es ihre Eltern vermutlich niemals werden können.

Titelbild

Florian Illies: Generation Golf.
Argon Verlag, Berlin 2000.
218 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3870245123

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