Brennende Menschen

Astrid Paprotta hat mit "Feuertod" endlich wieder einen Krimi veröffentlicht

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Gebranntes Kind sucht das Feuer", sagt der Kommissar. Eigentlich sagt das Sprichwort genau das Gegenteil. Und dennoch, Potofski hat Recht: Vor vielen Jahren, als junge Frau, ist Anna Kohler in ihrem Haus beinahe verbrannt, als die Gasleitung im Keller explodierte und das Haus zusammenbrach. Mit letzter Kraft hat sie ihren kleinen Bruder noch aus den Flammen gezerrt, aber da war er schon tot. Und dann kam Florian Westheim angelaufen, der Sohn des Vermieters, der auch in diesem Haus wohnte. Er zog sie vom Feuer weg, beschützte sie. Heiratete sie sogar. Jahre später verbrennt Ellen Rupp, die erfolgreiche Wirtschaftsanwältin, in ihrer Wohnung im schicken Frankfurter Nordend, einen Liebhaber neben sich. (Viele Liebhaber hatte sie, viele nur für ganz kurze Zeit. Mit richtigen Beziehungen wollte sie sich nicht abgeben.) Sie ist die Vorsitzende einer Bürgerinitiative von Betuchten, die sich für Recht und Ordnung einsetzen und einen Wachdienst anheuern, der schon mal eher zuschlägt als fragt. Und Florian ist ein alter Jugendfreund von ihr.

Und dann verbrennt noch ein ehemaliger Versicherungsvertreter, Michael Brecht. Und dann der Detektiv Blume, den Rupp immer nur Leo genannt hat, nach einem Roman, in dem ein Leopold Bloom vorkommt. Der Fall verästelt sich, die Untersuchung deckt politische und wirtschaftliche Machenschaften auf, entlarvt die Fratze des Bösen unter der Maske des Wohlanständigen und führt von der unschönen Vergangenheit in eine schöngelogene, aber grausige Gegenwart.

Astrid Paprotta ist mit Abstand die beste Krimiautorin Deutschlands. Wie sie die Täter und Ermittler sanft, eindringlich, knapp und energisch schildert, Sympathien weckt und Distanz wahrt, macht ihr niemand nach, schon gar nicht in der deutschen Krimilandschaft. In ihrem neuen Krimi "Feuertod", der nichts mit der abgeschlossenen Reihe um die Kommissarin Ina Henkel zu tun hat, werden die Abgründe und Düsternisse in den Menschen langsam sichtbar, überdeckt von viel Alltäglichkeit und Normalität. Beziehungen knüpfen sich und lösen sich auf, Gedankengänge beginnen und brechen ab: Die menschliche Seele ist eben vielfältig und vieldeutig.

Sie ist sogar so vieldeutig, dass das Ende sehr überraschend wirkt. Denn als sich alles auflöst, sieht man, wie die Beziehungen wirklich waren: Florian, des Mordes verdächtigt, sagt im Verhör, dass er seine Frau nur aus Mitleid geheiratet hat, sie sei doch so eine graue Maus gewesen. Und in der erfolgreichen Anwaltspraxis von Rupp habe er sie auch nur aus Mitleid untergebracht. Eigentlich passte sie dort auch gar nicht hinein und wollte mit Wirtschaftsrecht nichts zu tun haben. Sie behandelte Scheidungsfälle, gab sich mit verzweifelten, geschlagenen Frauen ab - Rupp hätte die Frauen nur gefragt, wann sie denn endlich zurückschlagen.

Aber es stimmt dann alles nicht. Nicht so, wie es zunächst aussieht, wie es zuerst erzählt wird. Es ist ein Leben voller Erpressungen, falscher Moral,verbogener Lebensläufe, Selbsttäuschungen und Lügen, voller seltsamer Beziehungen, die auch mit einer Erpressung wunderbar zu funktionieren scheinen. Nicht bei allen, deswegen gibt es ja die Toten. Aber doch bei so manchem. Es ist manchmal, als hätten Erpresser und Erpresster aufeinander gewartet, damit sie sich endlich ergänzen können.

Paprotta gelingt es wie stets, sehr viel Atmosphäre mitzubeschreiben. Sie beherrscht alle Stillagen: rotzig, romantisch, hart, genau, gefühlvoll sensibel. Vor allem kann sie Charaktere und innere Landschaften mit wenigen Worten lebendig werden lassen: Sie erklärt nicht, sondern beschreibt, sie wird nie aufdringlich, sondern lässt dem Leser Raum, seine eigenen Bilder zu entwickeln. Von innen beschreibt sie sie, aus mehreren Perspektiven gleichzeitig setzt sie fragmentarisch eine fragmentarisierte Welt zusammen, die sich manchmal ergänzen, manchmal widersprechen, manchmal nebeneinander herlaufen. Eine vollständige, fertig ausgedeutete, gebrauchsfertige Welt wird das nicht.

Die unsägliche Tendenz in der Krimiliteratur, den Ermittlern ein ausuferndes Privatleben und "eigene Dämonen" anzudichten, die "Bottinisierung der Kriminalliteratur" (wie man sie nach ihrem Hauptvertreter nennen möchte) macht Paprotta nicht mit. Auch nicht die ausführliche Begründungs- und Erklärungswut, die man so häufig über sich ergehen lassen muss, die ein Buch so schnell unlesbar papiern und oberlehrerhaft macht. Paprotta deutet nur an, etwa dass Niklas' Tochter mit ihrem Studium nicht zurecht kommt: Zwei Sätze reichen da für alle sensiblen Leser völlig. Sie kriecht in die Personen hinein und entwickelt sie oft eher von innen als von außen, wie es schon Patricia Highsmith gemacht hat. So entstehen die besten Kriminalromane, die es in Deutschland zur Zeit gibt.


Titelbild

Astrid Paprotta: Feuertod.
Piper Verlag, München 2007.
316 Seiten, 12,40 EUR.
ISBN-13: 9783492271295

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