Ein erklärter Weiberfeind

Sir Henry Rider Haggards rassistisch-sexistischer Abenteuerroman "SIE" aus dem 19. Jahrhunderts neu übersetzt

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Irgendwann im ausgehenden 21. Jahrhundert nähert sich ein wagemutiger Abenteurer über den Atlantik hinweg dem geheimnisvollen Kontinent Afrika. Er gelangt an die Küste des abgeschotteten Erdteils, wird von einer kleinen Gruppe Eingeborener ins Herzen des Kontinents gebracht, in dem ein sagenumwobener paradiesischer Flecken Erde verborgen sein soll. Während der Reise ins Innere des Erdteils scheint das Geschlecht seiner eingeborenen Begleiter merkwürdig uneindeutig zu werden, zwischen männlich und weiblich zu changieren. Schließlich erreichen sie ihr Ziel, den von einer Herrscherin namens She-la regierten "Leopard's Garden". Hier trifft der Abenteurer auf einige andere Männer, Europäer und Asiaten. Von ihnen erfährt er, dass sie wie Tiere in einem Zoo gehalten werden und den Herrinnen des 'Gartens' zur Fortpflanzung dienen. Auch ihn erwartet dieses Schicksal. Er wird den Ort nie mehr verlassen können, und sein Leben damit verbringen, zu musizieren, Geschichten zu erzählen, zu trinken und "plenty of sex" zu haben.

Woran fühlt man sich erinnert, wenn man die Geschichte dieses Mannes hört? Nun, natürlich an dasselbe wie der Protagonist der von Constance Ash verfassten Sci-Fi-Geschichte selbst: An Henry Rider Haggards Erfolgsroman "She - A History of Adventure", von dem es in Ashs Erzählung heißt, er sei vor annähernd 200 Jahren erschienen. Das war anno 1887. Susanne Luber hat Haggards Buch nun neu übersetzt und den Text mit Anmerkungen sowie einem Nachwort versehen.

Der Roman erzählt von zwei Söhnen Englands, die sich auf eine abenteuerliche Reise ins Zentrum Afrikas begeben. Der jüngere der beiden, ein ausnehmend schöner Mann, ist der bislang letzte Spross eines uralten Geschlechts, das sich bis in die Antike zurückverfolgen lässt. Und hier liegt auch die Ursache der Reise. Eine in der Familie von Generation zu Generation überlieferte Scherbe aus dieser Zeit erzählt davon, dass der Urahn seinerzeit von einer im Herzen des dunklen Kontinents herrschenden "weißen Zauberin" getötet worden sei, weil er ihrem sexuellen Verlangen widerstanden habe. Nördlich der Sambesimündung lägen "tief im Landesinneren" hohe, "wie Becher geformte" Berge, die "von unermesslichen Sümpfen umgeben" seien. Ihre Bewohner sprächen einen arabischen Dialekt und würden von einer "wunderschöne[n] weiße[n] Frau" beherrscht, die ihre Untergebenen zwar nur selten zu Gesicht bekämen, "die aber Macht habe über alles Lebende und alles Tote" und deren eigenes Leben ebenso wenig wie ihre Schönheit vergehe. Das ist "SIE", die Mörderin aus grauer Vorzeit und Titelheldin des Romans.

Sinn der Überlieferung und ihr Auftrag an jeden neuen männlichen Nachkommen ist es seit jeher, den Mord an dem Urahn zu rächen. Der Wille zur Rache der Urahnin schlägt sich schon im Namen des Geschlechtes nieder. Sie nennt ihren nach dem Tode ihres ermordeten Gatten geborenen Sohn Tisithenes (großer Rächer). Über die Generationen hinweg bleibt seinen Nachkommen der Beiname Vindex erhalten, der sich bis zur Erzählgegenwart zum Nachnamen Vincey verschliffen hat.

In dieser Erzählgegenwart ist es nun endlich soweit. Der letzte Spross des Geschlechtes trägt den sprechenden Vornamen Leo und begibt sich gemeinsam mit seinem Ziehvater, der als Ich-Erzähler der Geschichte auftritt und gerne bekennt, ein "erklärter Weiberfeind" zu sein, auf die beschwerliche Reise. Begleitet werden sie von dem für solche Abenteuergeschichten oft obligatorischen Bediensteten sowie von einem Araber, den sie unterwegs aufgabeln. Es ist allerdings nicht der Wunsch, den Rache-Auftrag der Urahnin zu erfüllen, der Leo antreibt, sondern schlichte Neugierde oder der Wille, "ein Mysterium zu entschleiern und ein Rätsel der Natur lösen zu wollen", wie es der Erzähler etwas edler formuliert.

Am Ziel treffen die Afrikareisenden Menschen mit Hautfarben "unterschiedlicher Schattierungen" an. Einige sind "dunkel" andere "gelb wie Chinesen". Menschen weißer Hautfarbe sind allerdings nicht dabei. Die Angehörigen beider Geschlechter der Eingeborenen, die sich Amahagger nennen, werden als schön beschrieben. Insbesondere der "herrliche Körperbau" und die "scharf geschnittene[n] Gesichter" der Männer werden gelobt. Allerdings tragen sie alle "einen Ausdruck kalter finsterer Grausamkeit". Das Äußere der Frauen ist hingegen "weniger Furcht einflößend" und gelegentlich "lächelten sie sogar". Später stellt sich heraus, dass die - wie sie nun genannt werden - "dunkelhäutige[n] Teufel" einen der Reisenden verspeisen wollen.

Wie so oft gehen Rassismus und Antisemitismus auch in Haggards Roman Hand in Hand. So werden die Juden als "hochmütiges Volk" charakterisiert, das "gierig nach allem" sei, "was Reichtum und Macht bedeutet". Zudem wird mehrfach betont, dass sie Jesus ans Kreuz geschlagen hätten. Und zu allem Übel sind sie auch noch "schuld" daran, dass SIE "mit bösen Augen in die Welt blick[t]". Denn es waren keine anderen als eben die Juden, die SIE seinerzeit "in diese Wildnis getrieben" haben.

Die Gesellschaft der dunkelhäutigen Amahagger ist matrilinear aber patriarchalisch organisiert. Allerdings steht mit IHR eine Herrscherin - von nicht zufällig weißer Hautfarbe - an der Spitze der Hierarchie. Die einzelnen Stämme werden als "Haushalte" bezeichnet und ihre Patriarchen "Vater" genannt. Ein solcher ,Vater' ist der einzige Mann unter den Amahaggern, der die Anerkennung des Ich-Erzählers findet. Er trägt als Zeichen seiner Männlichkeit einen "langen, wallenden Bart" zur Schau, gibt sich stets "kühl und unbeteiligt" und wird vom Ich-Erzähler als "wahrer Patriarch" gefeiert. Die beiden Männer verstehen einander nicht zuletzt darum so gut, weil beide die gleiche Gynophobie teilen. So zitiert der Patriarch gerne eine in seinem Volk verbreitete 'Weisheit': "Misstraue allen Männern, und töte jene, denen du am meisten misstraust; die Frauen aber fliehe, denn sie sind dein Verderben". "Ein gutes, richtiges Sprichwort", wie er findet, "vor allem im zweiten Teil". Bei den Amahaggern, erklärt er dem Ich-Erzähler einmal, "tun die Frauen, was ihnen beliebt". Die Männer würden sie "verehren" und ihnen darum "ihren Willen" lassen. Allerdings nur "bis zu einem gewissen Punkt. So lange bis sie unerträglich werden." Dies komme etwa in jeder zweiten Generation vor. Dann ermorden die Männer die alten Frauen "als Warnung für die jungen, und um ihnen zu zeigen, dass wir die Stärkeren sind".

Neben dem Patriarchen gibt es unter den Eingeborenen noch eine weitere Figur, die vor den Augen des Ich-Erzählers Gnade findet. Es ist eine junge Frau von geradezu "opferbereite[r] Hingabe". Wie es nicht anders sein kann, verliebt sie sich schon beim ersten Aufeinandertreffen in den jungen, schönen Leo. Später erweist sie sich während dessen Erkrankung ganz dem Geschlechterklischee entsprechend als "äußerst geschickte und unermüdliche Krankenpflegerin".

Die weiße Herrscherin mit dem für den "Geschmack" des Ich-Erzähler "geradezu Furcht einflößenden Titel SIE", der in voller Länge gar "SIE-DER-MAN-GEHORCHEN-MUSS" lautet, zeichnet der Autor als femme fatale par excellence. Selten wurde diese Männerphantasie so dick aufgetragen wie in diesem Buch. Dabei verkörpert SIE als quasi unsterbliche Frau ebenso wohl das 'ewig Weibliche' wie auch die männermordende Königstochter Salomé. Denn gleich dieser tötet sie den einen Mann, der ihren sexuellen Reizen widersteht. Kurz: "Dieses Weib war furchtbar", wie der Ich-Erzähler "[s]chaudernd" berichtet. Dass ihre "unheimliche Schönheit" "dämonisch" wirke, mache sie allerdings nur "umso begehrenswerter". Diese Frau, die einen sie verschmähenden Geliebten ebenso skrupellos ermordet, wie eine Konkurrentin um die Gunst seines Nachfahren, wird vom Erzähler bemerkenswerter Weise mit der Bemerkung exkulpiert, sie selbst sei eine Sklavin ihrer Liebe(sleidenschaft).

Dass Luber diese exemplarische Männerphantasie des viktorianischen England wieder zugänglich gemacht hat, mag durchaus begrüßenswert sein; dass es sich aber, wie sie im Nachwort meint, um ein "unbestrittenes Meisterwerk" handelt, ist dann wohl doch zu viel gesagt. Seinen unmittelbaren Erfolg verdankte das Buch wohl dem - sicher eingelösten - Versprechen, die Abenteuerlust seiner Leser (es dürften wohl überwiegend Männer gewesen sein) qua exotischer Lektüre zu stillen. Die weitere Erfolgsgeschichte dürfte eher dem Umstand zu danken sein, dass es wie bis dahin kaum ein anderes eine erotische Männerphantasie literarisierte; weniger hingegen der literarischen Meisterschaft des Autors. Wie Luber bemerkt, war es jedenfalls niemals ganz "vom Buchmarkt verschwunden", wurde in mehr als 40 Sprachen übersetzt und etwa fünfzehn Mal verfilmt.

Darüber hinaus, so könnte man anfügen, diente es als Primärtext zahlreicher literaturwissenschaftlicher Studien und als Prätext sicherlich nicht weniger intertextueller Bezugnahmen anderer literarischer Werke. So ist Constance Ash nicht die einzige, die den Roman aufgegriffen hat. Seine Rezeptionsgeschichte ist geradezu gewaltig. Nur "Kindlers Neues Literaturlexikon" mochte den Titel nicht aufnehmen.


Titelbild

Henry Rider Haggard: SIE-der-man-gehorchen-muss. Roman.
Nachwort und Anmerkungen von Susanne Luber.
Übersetzt aus dem Englischen von Susanne Luber.
Zweitausendeins, Frankfurt a. M. 2006.
416 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3861505738
ISBN-13: 9783861505730

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