Der Genuss ist ein Menschenrecht

Antonius Anthus' "Vorlesungen über die Esskunst"

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kochen ist eine Kunst. Da wird wohl keiner mehr widersprechen. Aber Essen? Na gut, es gibt Feinschmecker, die einen entwickelten Gaumen haben. Selbst die schmecken nicht immer heraus, ob sie im Dreisternerestaurant nun wirklich Biokartoffeln bekommen oder ob nicht doch das eine oder andere aus der Tiefkühltruhe kommt. Aber das Essen an sich? Das dient den meisten doch wohl eher der Nahrungsaufnahme. Schließlich gibt es ja auch keine Ausbildung in dieser Kunst.

Dabei gab es einmal einen Ansatz dazu: 1838 hielt Antonius Anthus vor einem interessierten Kreis von Essern ausführliche Vorlesungen, aus der Perspektive des Essers, der sich der vorgesetzten Speisen als würdig zu erweisen habe. Es ging ihm nicht darum, die Speisen zu verfeinern, sondern das Speisen zu verfeinern.

Sehr gelehrt und systematisch geht Anthus vor, der in Wirklichkeit Dr. Gustav P. Blumröder hieß, aus Nürnberg stammte, Gerichtsmediziner, Psychiater und 1848/49 sogar Frankfurter Parlamentsabgeordneter war. Als Genießer fand er sich "bewogen, nachdem so viel geschrieben war, was gegessen werden sollte, nun endlich seine Gedanken darüber zu veröffentlichen, wie gegessen werden sollte."

In 12 Kapitel ist seine Esskunst gegliedert, damit man einmal einen ersten wissenschaftlichen Ansatz hat, den man eigentlich weiter hätte ausführen müssen. Aber leider ist seitdem auf diesem Gebiet nicht mehr viel geschehen. Anthus beginnt mit der Theorie, der "Weltanschauung des Esskünstlers" und "Begriff, Wert und Bedeutung der Esskunst" an sich und leitet über zu geschichtlichen und ethnografischen Betrachtungen. Er erzählt von Plinius und Horaz, Marcus Aufidius Lurco, der die Kunst erfand, Pfauen zu mästen, und Odysseus, der von Kirke einen Weinmus bekam, "bestehend aus trunkeinladenden Zwiebeln, gelblichem Honig und dem heiligen Kerne des Mehles mit auf eherner Raspel geriebenem Ziegenkäse und pramnischem Wein zusammengemengt". So streift er kenntnisreich und gebildet durch die Länder und Zeiten, nach Griechenland und England, China und Arabien.

Anthus schreibt über die Beziehungen des Essens zu den anderen schönen Künsten, zur Diätetik und den moralischen Beziehungen, die sich aus dem guten Essen, der Essenskunst, ergeben, und kommt nach den "Höheren Kunstregeln" und den "Speziellen Essbarkeiten" schließlich auch auf das Trinken zu sprechen. Von der Lebensmittelkunde bis zur Mundpflege, vom Schmatzen, Singen bis zum Duzen beschreibt er in allen Einzelheiten eine Philosophie des Essens.

Es ist ein witzig zu lesendes, höchst originelles, elegant geschriebenes und gelehrtes Buch: Aus vielen Details setzt Anthus eine Kunst zusammen, die auch in der heutigen Gesellschaft kaum gelehrt wird. Welche Familie setzt sich denn noch zum Essen zusammen, zelebriert die Rituale, beginnt gemeinsam, bedient sich gegenseitig und widmet sich dem Geschmack als einer Form der Menschlichkeit? Es geht beim Essen ja eigentlich gar nicht um die Nahrungsaufnahme, um die Kalorien, das Fett oder deren Vermeidung, sondern es geht auch beim Essen um eine richtige Lebensführung.

Für alle Esser, aber auch für alle Restaurantbesitzer und Köche, sollte dieses Buch Pflichtlektüre sein, damit endlich einmal das hastige Verschlingen, das besinnungslose Stopfen und vor allem, am Schlimmsten von allem, das Essen im Gehen ein Ende hat. Erlesener Geschmack würde so wieder zu einer ganz einfachen und normalen Sache für den "denkenden Esser": immer nur das Beste, und das in aller Ruhe: "Wie für die schönen Künste und die Lebenskunst, so gilt auch für die Esskunst das Erfassen des Moments." Denn: Der Genuss ist ein Menschenrecht.


Titelbild

Antonius Anthus: Vorlesungen über die Eßkunst.
Die Andere Bibl. 264.
Eichborn Berlin, Berlin 2006.
320 Seiten, 28,50 EUR.
ISBN-10: 3821845686

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