Frühe Modelle weiblicher Selbstwerdung

Ein Sammelband stellt Frauen des 18. Jahrhunderts vor

Von Mechthilde VahsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthilde Vahsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ihre Wiederentdeckung geschah in den 1970er- und 1980er-Jahren: Die Frühromantikerinnen - so lautet das gängige Etikett - stehen für eine Epoche, die in direktem Kontext der Aufklärung zu sehen ist. Frauen wie Caroline Schlegel-Schelling, Dorothea Schlegel, Henriette Herz, Madame de Staël, Rahel Varnhagen oder Karoline von Günderrode vereinte ein stark ausgeprägter Eigenwille und das Bedürfnis nach Selbstbestimmung. Andere wie die Herzogin Anna Amalia, die Malerin Angelika Kauffmann oder die Gelehrte Dorothea Schlözer gehörten zu einer Generation von Frauen, die durch die frühaufklärerischen Vorstellungen von Geschlechterrollen geprägt wurde. Ihnen allen gemeinsam ist, schreibt die Herausgeberin des Sammelbandes "Bedeutende Frauen des 18. Jahrhunderts", Elke Pilz, dass man an ihren Biografien Folgendes zeigen kann: "die soziale und intellektuelle Emanzipationsbewegung, die im 20. Jahrhundert in Europa stark zu beobachten war, [hat] ihre Wurzeln im 18. Jahrhundert". Das Buch will somit eine "Tradition der Frauenemanzipation" nachzeichnen und an "den frühen Modellen weiblicher Selbstwerdung" Aspekte aufzeigen, die auch heute noch "hohe Relevanz" besitzen.

Es ist nicht zuletzt aufgrund der aktuellen Diskussion über einen Feminismus des 21. Jahrhunderts interessant zu lesen, wie die Verfasserinnen und Verfasser die "bedeutenden Frauen" im vorgegebenen Kontext einordnen und beurteilen. Die Urteile über die 1739 geborene Herzogin Anna Amalia sind einhellig: Sie gilt als Gründerin der Weimarer Klassik und schaffte es während ihrer Regentinnenschaft nicht nur, die Verschuldung ihres Landes zu reduzieren und zu ordnen, sondern aus Weimar auch ein Zentrum von Kunst und Kultur zu machen.

Ebenfalls großen Einfluss, wenn auch in ganz anderer Weise, übte Angelika Kauffmann aus, die zwei Jahre nach Anna Amalia geboren wurde. Sie zeigte früh künstlerisches Talent und wurde von ihrem Vater ausdauernd und zielgerichtet gefördert und ausgebildet. Die junge Frau hatte rasch Erfolg und wurde zur wichtigsten und berühmtesten Porträt- und Historienmalerin ihrer Zeit. So gehörte sie zu den Gründungsmitgliedern der "Royal Academy of Arts". Doch sie war mitnichten emanzipiert, sondern passte sich der zeitgenössischen Frauenrolle an, ihr Erfolg "hängt gerade mit der Kritiklosigkeit gegenüber den Mächtigen zusammen. Auch ihre Enthaltsamkeit in der Liebe, [...], kann man als Sichfügen in die weibliche Rolle ansehen", urteilt die Biografin.

Ganz anders hingegen Caroline Schlegel-Schelling, die nicht nur mehrmals verheiratet war, sondern auch ansonsten einen Nonkonformismus lebte, der bezeichnend für sie wurde. So nannte Schiller sie "die Dame Luzifer". Die im Kreis der Frühromantiker lebende Rezensentin und Briefschreiberin verursachte Skandale, weil sie sich nicht nur aus ihren unglücklichen Ehen löste, sondern auch für die Ideale der Französischen Revolution eintrat und schließlich inhaftiert wurde. Sie gehört zusammen mit ihren Freundinnen Henriette Herz und Dorothea Schlegel zu der Generation von Frauen, die nach 1760 geboren wurden, als sich das frühaufklärerische Experiment der gelehrten Frau schon wieder seinem Ende zuneigte.

Auch Dorothea Schlegel, Tochter des jüdischen Aufklärers Moses Mendelssohn, übertrat mehrere Tabus. Sie ließ sich scheiden, trat zum Katholizismus über, schrieb Romane und übersetzte; das Buch "Lucinde" ihres späteren Ehemannes Friedrich Schlegel enthielt das Loblied der Liebe auf seine Geliebte. Zudem war das Ehepaar Schlegel Teil einer Wohn- und Lebensgemeinschaft in Jena, zu der außerdem Caroline Schlegel und A. W. Schlegel, der Bruder von Friedrich, gehörten. Das Zusammenleben der Paare dauerte allerdings nur kurze Zeit.

Auch wenn die gebildete und intellektuell als anregend geltende Dorothea Schlegel sich emanzipierte und ihren eigenen Weg ging, ordnete sie sich gleichzeitig den Belangen ihres Ehemannes unter und unterstützte ihn in seiner Arbeit.

Eine ihrer Jugendfreundinnen, Henriette Herz, hatte aufgrund einer Heirat mit einem reichen Mann die Möglichkeit, einen Salon in Berlin zu führen, der rasch über die Stadtgrenzen hinaus bekannt wurde. Wie viele der Frauen ihrer Zeit bedauerte sie ihre nur unsystematisch erlangte Bildung und lernte ständig Neues hinzu. In ihrem über 20 Jahre existierenden Salon ermöglichte sie regen Austausch und Diskussion zwischen Intellektuellen aus Bürgertum und Adel auf hohem Niveau.

Ebenfalls einen Salon führte Rahel Varnhagen, geborene Levin, ab 1790 in einer Berliner Dachstube. Auch sie wurde zum Mittelpunkt ihres Salons, doch dies reichte ihr nicht. Sie schrieb Briefe voller Esprit und Einfühlung, konnte präzise formulieren und benennen, interessierte sich leidenschaftlich für die gesellschaftlichen und politischen Fragen ihrer Zeit und wurde zur Freundin jüngerer Zeitgenossen wie Heine oder Bettine von Arnim.

Zu dieser Generation gehört eine hochbegabte Französin, die in Coppet in der Schweiz ein offenes Haus führte und manchmal 30 Dauergäste beherbergte. Germaine de Staël schrieb nicht nur Romane, Abhandlungen, Essays und ihr berühmtes Deutschlandbuch, sondern war auch politisch aktiv und mischte sich ein. Napoleon verbannte sie aus ihrem Vaterland Frankreich. Sie war mit A. W. Schlegel befreundet, den sie auf ihrer Deutschlandreise kennen gelernt hatte, Dorothea Schlegel übersetzte ihren Roman "Corinne" ins Deutsche. Da sie finanziell autonom war, lebte sie frei und kümmerte sich nicht um Gerede und Rollenzuschreibungen.

Ein weiteres Wunderkind war Dorothea Schlözer, die bereits mit 17 Jahren ihr Doktorexamen bestand. Ihr Vater war sehr an Pädagogik interessiert und wollte an seiner Tochter zeigen, dass man Mädchen sehr wohl wissenschaftlich ausbilden könne, ohne sie für ihre 'natürliche Rolle' zu verbilden. Er sah darin die Voraussetzung für ein autonomes Leben. Seine Tochter heiratete nach ihrer wissenschaftlichen Karriere.

Völlig ohne Skandale und mit dem Wunsch, Künstlerin zu werden und sich damit einen Kindheitstraum zu erfüllen, zog Johanna Schopenhauer, im gleichen Jahr geboren wie Germaine de Stael, 1806 nach Weimar, der Kunst- und Kulturmetropole. Sie war seit kurzem Witwe und musste ihre Kinder versorgen. Also begann sie zu schreiben und hatte damit Erfolg. Aber auch ihre Teegesellschaft, zu der unter anderem Goethe oft kam, wurde gern besucht. Geistreiche Konversation war nicht ihr Anliegen, sondern Geselligkeit in bürgerlichem Ambiente.

Sich einen Lebensentwurf zu schaffen, der ihr ein Leben als autonome Künstlerin ermöglicht - das versuchte auch die Autorin Karoline von Günderrode. Sie scheiterte an den Grenzen, die ihr als Frau, dazu verbannt in ein Stift mit harten Regeln, auferlegt wurden. Ihre Hoffnung, durch Liebesheirat ein Leben im Zeichen der Literatur und Kunst leben zu können, erfüllte sich nicht. Auch mit ihren lyrischen und dramatischen Werken wurde sie an den Rollenvorstellungen der Zeit gemessen: Frauen schreiben nicht, sondern sind Ehefrauen, Hausfrauen und Mütter. Schließlich tötete sie sich selbst, Ausdruck ihres persönlichen Verständnisses von Freiheit. Karoline von Günderrode gehörte wie ihre Freundin Bettine von Arnim zu der Generation von Frauen, die um 1780 geboren wurden und mit den Schlagworten der Spätaufklärung und den Nachwirkungen der Französischen Revolution aufwuchsen. Doch es gelang kaum, diese theoretischen Errungenschaften in die Praxis umzusetzen, um Freiheit und Gleichheit für die Frauen zu schaffen. Doch schon einige Jahrzehnte später entdeckten die Frauen aus dem Umkreis der 1848er-Revolution die Vorgängerinnen und setzten sich mit deren Lebensentwürfen produktiv auseinander.

In den biografischen Essays wird nicht immer deutlich, welche emanzipatorischen Aspekte mit den Lebensläufen verbunden sind. Stattdessen wird in komprimierter Form Biografisches berichtet, das aus den in den letzten Jahren erschienenen zahlreichen Anthologien über Frauen aus der Zeit um 1800 allgemein bekannt ist. Es wäre dem Thema günstiger gewesen, auch Frauen vorzustellen, die weniger erforscht sind als die Frühromantikerinnen, wie zum Beispiel die Gelehrte Luise Adelgunde Gottsched, die Pietistin Johanna Eleonore Petersen oder die emanzipierte Dichterin Sidonia Hedwig Zäunemann. Vor allem Sophie von La Roche, die erste Berufsschriftstellerin Deutschlands, und in ihrem Engagement für eine bessere Mädchenbildung ganz dem Bildungsideal der Aufklärung verbunden, wurde für die nachkommenden Schriftstellerinnen-Generationen ein Vorbild.


Titelbild

Elke Pilz (Hg.): Bedeutende Frauen des 18. Jahrhunderts. Elf biographische Essays.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2007.
204 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-13: 9783826035524

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