Ein Novum am Ende einer langen Reihe

Gudrun Loster-Schneider und Gaby Pailer geben ein Lexikon zur deutschsprachigen Epik und Dramatik von Autorinnen aus den Jahren 1730 bis 1900 heraus

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte sind bereits zahlreiche Lexika sowohl zu gegenwärtigen wie auch historischen Autorinnen deutscher Zunge und zu ihren literarischen Werke erschienen. Dies wissen auch Gudrun Loster-Schneider und Gaby Pailer. Dennoch haben sie dieser "respektable Reihe" jüngst mit dem von ihnen herausgegebenen "Lexikon deutschsprachiger Epik und Dramatik von Autorinnen (1730-1900)" noch ein Nachschlagewerk hinzugefügt.

Da stellt sich sogleich die Frage, ob denn wirklich noch ein weiteres einschlägiges Lexikon notwendig gewesen war. Die Antwort ist schnell gegeben: dieses schon. Wieso, erläutern die Herausgeberinnen selbst. Alle bisherigen Lexika zum Thema fokussieren auf die Biografien und Gesamtwerke der Schriftstellerinnen, sind also "frauen- und autorzentriert". Dass "[d]er Blick" der bisherigen Lexika "biografisch codiert" bleibt, sei jedoch "kontraproduktiv" für deren eigentliches Anliegen: die "Einschreibung" der Literatur von Frauen "in die 'allgemeine' Bibliothek". Eben darum ist es folgerichtig, dass im Fokus des vorliegenden Lexikons die einzelnen Werke der Schriftstellerinnen stehen. Ihnen sind die jeweiligen Einträge gewidmet. Und eben das ist ein Novum in der langen Reihe der Lexika zu deutschsprachigen Autorinnen und ihren literarischen Schöpfungen.

Bei der Zusammenstellung der aufzunehmenden Werke konnten die Herausgeberinnen aus einem reichen Fundus von nicht weniger als 2.000 für den Zeitraum nachgewiesenen Titel schöpfen. Der "Zwang zur Selbstbeschränkung und Kompromissen" nötigte sie allerdings dazu, das Korpus auf 343 Werke von 170 Autorinnen zu reduzieren. Das ist immer noch recht ansehnlich.

Die Auswahl der vorgestellten Titel erfolgte nach drei Kriterien. Das erste bildet der zeitliche Rahmen mit den beiden Epochenschwellen 1730 und 1900. So werden Werke "der Frühaufklärung über Sattelzeit und Realismus bis zum Fin de siècle" erfasst. Entsprechend dem "textzentrierten Ansatz" des Nachschlagewerkes, beziehen sich die termini a quo und ante quem nicht auf die Lebensdaten der Literatinnen, sondern auf die Erscheinungsjahre ihrer Werke. Die strikten Schnittstellen 1730 und 1900 mögen manche Härte mit sich bringen, etwa indem von Hedwig Dohms wichtigstem Opus, ihrer Romantrilogie, nur die ersten beiden Bände "Sibilla Dalmar" und "Schicksale einer Seele" aufgenommen wurden. Gleichwohl ist die Entscheidung nachvollziehbar und überzeugend, würde doch das Kriterium des zu berücksichtigenden Zeitraums anderenfalls an den Rändern ausfransen. Zum zweiten besteht das ausgewählt Korpus - abgesehen von den wenigen aufgenommenen Epen - vor allem in Dramen und in "umfangreichere[r] erzählende[n] Prosa". Das dritte Auswahlkriterium wurde von dem Wunsch bestimmt, "die Vielfalt weiblicher Schreibweisen mit einer möglichst großen Anzahl von Autorinnen vorzuführen". So sind die einzelnen Autorinnen zwar "mit möglichst verschiedenen Genres" jedoch nur mit "maximal fünf Werken" vertreten. Unter diesen Vorgaben wurden insbesondere Texte berücksichtigt, "die mit der historisch kanonisierten Bibliothek oder auch untereinander dialogisieren".

Die behandelten Werke sind zunächst nach den "bekanntesten Veröffentlichungsnamen" ihrer Autorinnen geordnet. Die Werke einer Autorin sind sodann nach dem ersten Wort des Titels alphabetisiert. Mehr als 100 MitarbeiterInnen haben sich der 343 Titel angenommen und mit ihren Lemmata zum Gelingen des Unternehmens beigetragen. Dass die Herausgeberinnen ihnen verhältnismäßig strenge Vorgaben zum Format und zum Aufbau der Artikel auferlegten, gereicht den BenutzerInnen des Nachschlagewerkes zum Vorteil. Die Artikel - es handelt sich um Einzeltextanalysen - gliedern sich in drei Teile: Inhaltsangabe, Kommentierung und ein Anhang, der die bisherigen Ausgaben und wichtige Sekundärliteratur anführt.

Anliegen des Buches ist es, "vorhandenes Wissen durch und zur Literatur von Autorinnen [zu] ergänzen und zugleich deren (Neu-)Rezeption [zu] erleichtern". Hierzu haben sich die Herausgeberinnen entschlossen, zwar überwiegend "Texte 'innerhalb', aber auch solche 'außerhalb' und 'unterhalb'" des "'klassischen' Lektüre- und Bildungskanons" zu erfassen. Eine kluge Entscheidung. Denn so wurde nicht nur ein Standardnachschlagewerk für GermanistInnen geschaffen, sondern darüber hinaus eine wahre Fundgrube für alle literarisch Interessierten, die mit so mancher Leseanregung aufwartet.

Eine der vielen weithin unbekannten Autorinnen, von denen ein Werk aufgenommen wurde, ist Helene Druskowitz, die man nicht nur in Kindlers neuem Literaturlexikon vergeblich sucht, sondern auch im vom Gisela Brinker-Gabler, Karola Ludwig und Angela Wöffen in den 1980er-Jahren zusammengestellten "Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen 1800-1945" oder auf Mark Lehmstedts CD-ROM "Deutsche Literatur von Frauen". In dem vorliegenden Nachschlagewerk ist sie nun mit einem Eintrag zu ihrem so gut wie unbekannten satirischen Stück "Die Emancipations-Schwärmerin" vertreten, dessen Lacher auf Kosten der in der Titelheldin personifizierten Frauenrechtlerinnen des ausgehenden 19. Jahrhunderts gehen. Dass es überhaupt einen Eintrag zu diesem frühen Stück Druskowitz' gibt, ist mehr als erfreulich. Eine kleine kritische Anmerkung kann dennoch nicht unterbleiben: Obwohl das Lexikon werkzentriert ist, wäre doch eine kurze Bemerkung zur feministischen Zukunft der Autorin dieser emanzipationssatirischen Komödie angebracht gewesen.

Ein wenig bekannter als Druskowitz ist Freiin Frieda von Bülow. Die mit Lou Andreas-Salomé befreundete und zeitweilig mit dem berüchtigten Afrika-Kolonialisten und Schwarzen-Schlächter Carl Peters liierte Autorin ist denn auch gleich mit drei Werken ("Die stilisierte Frau", "Tropenkoller" und "Zwei Menschen") vertreten. Literarisiert von Bülow in der "stilisierten Frau" den "Zurichtungsprozess der Frau zur präraffaelitischen Kunstfigur", so zeichnet sie in den Protagonistinnen der Erzählung "Zwei Menschen" literarische Porträts von prominenten Frauen ihres Bekanntenkreises, etwa der Feministin Sophia Gouldstikker oder von Lou Andreas-Salomés, die zumindest von Hedwig Dohm als "Antifeministin" gescholten wurde. Selbstverständlich sucht man sowohl die Gescholtene als auch die Scheltende im vorliegenden Lexikon nicht vergeblich. Ebenso wenig wie die konservativen Autorinnen Eugenie Marlitt oder Ida Boy-Ed, die später mit der "Opferschale" ein nur schwer erträgliches Loblied auf die heldenhafte Opferbereitschaft deutscher Frauen während des Erstens Weltkriegs sang. Auf feministischer Seite sind mehr Namen vertreten, als hier zu nennen möglich wäre. Erwähnt seien aber zumindest Helene Böhlau und Gabriele Reuter mit ihren Bestsellern "Halbtier" und "Aus guter Familie".

Nur ausnahmsweise schleichen sich einmal kleinere Irrtümer und Ungenauigkeiten in einzelne Artikel. So reiste Franziska zu Reventlow nicht nach Wien, "um sich zur Malerin ausbilden zu lassen", wie Mitherausgeberin Gaby Pailer in dem Text zu "Das gräfliche Milchgeschäft" schreibt, sondern nach München.


Titelbild

Gudrun Loster-Schneider / Gaby Pailer (Hg.): Lexikon deutschsprachiger Epik und Dramatik von Autorinnen (1730-1900). + CD-ROM.
Francke Verlag, Tübingen 2006.
491 Seiten, 128,00 EUR.
ISBN-10: 3772081894
ISBN-13: 9783772081897

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