Tod auf der Insel

Henning Mankells Roman "Die italienischen Schuhe"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Frederik Welin, ein ehemaliger Chirurg von Mitte 60, lebt (nach zwei gescheiterten Ehen) zurückgezogen auf einer kleinen Insel in den Schären - wie ein zeitgenössischer Robinson Crusoe mit "einem Ameisenhaufen im Wohnzimmer." Nach einem Kunstfehler ist er in die Einsamkeit geflüchtet. Seit 12 Jahren hat Welin fast nur noch Kontakt zum Postbootfahrer Ture Jansson, mit dem er stets kleinere Zankereien austrägt.

Neben seinen erfolgreichen Wallander-Krimis und seinen erzählerischen Ausflügen nach Afrika präsentierte der schwedische Erfolgsautor Henning Mankell in jüngster Vergangenheit ein drittes literarisches Standbein - den psychologisch ambitionierten "Familienroman". Nach "Tiefe" und "Kennedys Hirn" liegt nun mit "Die italienischen Schuhe" das dritte Werk des neuen, etwas anderen Mankell vor.

Mit der selbstgewählten Abgeschiedenheit des Mankell-Protagonisten ist es schnell zu Ende. Vom Postboot wird eine alte, gebrechliche Frau auf die Insel gebracht, die sich nur mittels Gehhilfe mühsam aufrecht halten kann. Bei der todkranken Frau handelt es sich um Harriet Hörnfeldt, Frederiks Jugendliebe, aus deren Leben er sich vor langer Zeit spurlos verabschiedet hat.

"Ich bin nicht hergekommen, um dich anzuklagen, sondern um dich zu bitten, dein Versprechen einzulösen", erklärt die vom Krebs zerfressene Frau, die ihre Schmerzen nur durch immer höhere Dosen Morphium ertragen kann. Der von Schuldgefühlen gepeinigte Protagonist kann der todkranken, ehemaligen Geliebten den letzten Wunsch nicht ausschlagen und reist mit ihr in den Norden - zu einem kleinen See, an dem er seine Kindheit verbracht hat und über den er Harriet in ihrer gemeinsamen Zeit in schwärmerischen Tönen erzählt hat.

Henning Mankell erzählt diesen Roman ähnlich schwungvoll wie seine besten Wallander-Krimis und hält auch bis zum Ende ein beträchtliches Spannungsmoment aufrecht. Auf der Reise in den Norden kommt es zu einer weiteren gravierenden Zäsur in Frederiks Leben. Er begegnet einer jungen, kauzigen Frau namens Louise, die in einem Wohnwagen campiert und Protestbriefe an Politiker aus aller Welt verschickt. Jene Louise ist nicht nur Harriets, sondern auch Frederiks Tochter. Die Schuldgefühle türmen sich wie eine zentnerschwere Last auf den Schultern des ehemaligen Mediziners. Die wegen Betrugs vorbestrafte Tochter folgt wenig später (mit samt Wohnwagen) ihren Eltern auf die Insel.

Doch damit nicht genug an Schicksalsschlägen. Frederik bietet der Sozialarbeiterin Agnes, die eine Gruppe schwer erziehbarer weiblicher Teenager betreut, seine Unterstützung an und nimmt ein iranisches Mädchen auf seiner Insel auf. Jene Sima stirbt später nach einem Selbstmordversuch in Welins Haus.

Als Wiedergutmachung bietet er Agnes an, ihre Gruppe auf der Insel einquartieren zu können. Doch auch mit dieser gut gemeinten Idee löst Frederik wieder Zwist aus. Seine Tochter Louise widersprich vehement: "Willst du mir nicht einmal etwas von deinem Nachlass gönnen, wenn ich bisher schon nichts bekommen habe."

Mit Wallanders Protagonist will man wahrlich nicht tauschen. Nachdem er etwas unfreiwillig sein Eremitendasein aufgegeben hat, überstürzen sich die Ereignisse, und sein einst ruhiger Alltag wird von Turbulenzen übersät.

"Bist du mir böse, weil ich in deinem Haus sterben will?", artikuliert Harriet einen zweiten Wunsch, den ihr Welin ebenfalls nicht abschlagen kann. Gemeinsam mit seiner Tochter arrangiert er ein rauschendes Abschiedsfest, zudem er einige flüchtige Bekannte auf die Insel einlädt. Harriets Tod scheint an Frederik nicht spurlos vorüber gegangen zu sein. Erst allmählich kommt er nach zwei leichten Herzanfällen wieder auf die Beine. Eine kleine Freude gönnt Henning Mankell seinem leidgeprüften Protagonisten am Ende doch noch. Er erhält ein Paket mit einem Paar handgefertigter italienischer Schuhe, die der betagte Schumacher Gianconelli seiner Tochter Louise versprochen hatte.

Schuldgefühle und gescheiterte Wiedergutmachungsversuche sind die Kardinalthemen dieses exzellent erzählten und bis zur letzten Seite aufwühlenden Romans, der sich wie eine Dostojewski-Lightversion im zeitgenössischen Gewand liest.


Titelbild

Henning Mankell: Die italienischen Schuhe. Roman.
Übersetzt aus dem Schwedischen von Verena Reichel.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2007.
365 Seiten, 21,50 EUR.
ISBN-13: 9783552054158

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