Düsseldorf, Hort des Verbrechens?

Horst Eckert versucht aus einem Porscheparkplatz ein Korruptionszentrum zu machen

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Niemand muss Düsseldorf wirklich kennen, wenn er/sie denn kein Alt trinkt und sich zur obligatorischen Jugend-der-Welt-Feier freitags- und samstagsnachts gesellen will. Niemand muss Düsseldorf wirklich kennen, es sei denn er/sie schätzt es, am Rheinufer zu sitzen (rechtsrheinisch) und auf den Strom zu blicken und angenehm zu plaudern. Oder er/sie schätzt eine gute Kunstmeile, eine ansehnliche Theater- und Musikszene, das eine oder andere besuchbare Lokal und dergleichen - was man eben heutzutage in großen deutschen Städten so findet. Die Stadt ist ganz angenehm geworden, mit hoher Lebensqualität, und gelegentlich nicht mehr ganz so betont extravagant wie früher. Kann es dort so etwas wie Verbrechen geben? Schwerverbrechen? Bandenkriminalität? "Russenmafia" oder dergleichen?

Keine Ahnung. Aber taugt dieses schöne, sommerliche, kulturelle Düsseldorf, das sich ganz gut zu feiern weiß, als eine Art New York Nordrhein Westfalens? Medial wenigstens. Dass es hier das gewöhnliche Verbrechen von nebenan gibt, haben die "Tatort"-Folgen der siebziger Jahre gezeigt, die in Düsseldorf spielen. Aber was ist mit der archaischen Gewalt, die von jenseits des Rheins (= Sibirien) ins mittlerweile zivilisierte Deutschland schwappt?

Horst Eckert probiert es immerhin aus, Erfahrung hat er genug, die Liste seiner Bücher ist beeindruckend. Düsseldorf kennt er gleichfalls, ebenso wie er sich in der internationalen Krimiszene auskennt und weiß, was die Kolleginnen und Kollegen tun oder lassen und was als Tatort taugt oder nicht. Aber möglicherweise ist er mit "Königsallee" an seine Grenzen gekommen.

Die Mixtur enthält alles, was über 400 Seiten Spannungslektüre brauchen: Gewalttätige Ex-Machthaber aus einem ehemaligen Staat der Sowjetunion, von dort vertrieben, allerdings mit allem Geld, was sie zuvor haben aus dem Land pumpen und beiseite haben schaffen können, ein Oberbürgermeister, der über seine Stadt herrscht wie ein Despot (gleich und gleich gesellt sich gern) und gleichfalls weiß, wie er seine Schäfchen ins Trockene bringt, eine junge, ehrgeizige Assistentin, die (in Hamburg!) als Edelprostituierte gearbeitet hat und mit einem ehemaligen Kunden konfrontiert wird. Bullen, die korrupt und karrieregeil bis in die Haarspitzen sind, die eine oder andere Leiche, die auf den Düsseldorfer Straßen herumliegt, Schauplätze, die vor allem nachts und bei Regen die nötige Rauhigkeit besitzen - ein idealer Plot, ein Umfeld, dass passt, eine Szenerie, die grauenhaft genug ist. Was sollte also falsch sein?

Nichts, außer Düsseldorf. Nun mag man einwenden, dass niemand die Augen davor schließen kann, dass der Niedergang des Sozialismus und die Zerstörung des Eisernen Vorhangs in irgendeiner Form auch in Düsseldorf ihren Niederschlag finden müssen. Die Globalisierung macht zudem auch nicht vor den nieder- und westdeutschen Provinzmetropolen Halt. Niemand wird bezweifeln, dass es Drogenschmuggel, Korruption und Versorgungskartelle gibt, die zweifelsohne kriminelle Züge haben - auch wenn die Kölner Konkurrenz in diesen Fällen gerne von Klüngel reden wird (der allerdings der linksrheinischen Bischofsstadt vorbehalten bleibt). Trotzdem ist es schwierig, der Düsseldorfer Szenerie jenen aufgeladenen, bedeutungsschwangeren und beinahe mythologischen Charakter zuzuschreiben, den der harte Polizei- und Politkrimi, den wir hier angeblich vor uns haben, nun einmal braucht.

Hinzu kommt, dass Eckert seinen dickleibigen Roman ein wenig überfrachtet: Kunstraub, Drogenhandel, Prostitution, Mord, Polizistenbestechung und die Willfährigkeit der politischen Elite, sich kaufen zu lassen, sobald nur genug Geld geboten wird - dafür sind selbst gut 400 Seiten zu wenig Raum, um das auch nur einigermaßen entwickeln zu können. Hinzu kommt, dass Eckert den Versuch unternimmt, realistisch und zugleich modern zu schreiben. Das kann man mögen oder auch nicht. Der Realismus jedoch scheitert an dem Versuch, die politische Szene einer westdeutschen Großstadt darzustellen, ohne konkrete Personen nennen zu müssen. Wer derzeit Düsseldorfer Oberbürgermeister ist, weiß außerhalb Düsseldorf wahrscheinlich kaum jemand. Dass er mit seiner Stadt auch nur annähernd umspringt, wie Eckerts Kunstfigur es tut, wirkt unglaubhaft (Provinzfürsten, naja). Dass er sich und seine Stadt an eine "Russenmafia" verkauft, das mag zwar sein, aber Geld stinkt nicht. Es ist sogar vielleicht ein wenig romantisch gedacht, wenn die gute alte Macht sich vor allem dadurch auszeichnet, dass sie einen Freibrief gewährt, sich all jener Attraktivitäten (Frauen, Kunstschätze, Drogen) zu bemächtigen, die schon die guten alten Diktatoren alter Prägung gerne für sich in Anspruch nahmen.

Wenn wir so denken, dann muss die Archaik derart dominant sein, dass nichts mehr neben ihr bestehen kann (David Peace ist so etwas gelungen). Nehmen wir doch einfach einmal an, dass Macht und Gewalt, ja Machtmissbrauch heute in den Industriegesellschaften anders aussehen als noch vor hundert Jahren. Was sie nicht weniger skandalös macht.


Titelbild

Horst Eckert: Königsallee. Roman.
Grafit Verlag, Dortmund 2007.
411 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783894256548

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