100 Millionen Mozartkugeln

Malte Korff beschreibt Mozarts Leben, Werk und Wirkung

Von Günter MeinholdRSS-Newsfeed neuer Artikel von Günter Meinhold

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

An preiswerten, einführenden Darstellungen zu Leben und Werk Mozarts besteht kein Mangel. Der Leser und die Leserin haben, um nur einige neuere Titel zu nennen, die Wahl zwischen Fritz Hennenbergs bei Rowohlt erschienener Monografie, dem dtv-portrait von Dirk Böttger oder dem Bändchen des renommierten Mozart-Forschers Gernot Gruber (Beck'sche Reihe Wissen). Im Mozart-Jahr 2006 - erinnert sich überhaupt noch jemand? - ist in der Reihe Suhrkamp BasisBiographien der von Malte Korff geschriebene Band hinzugekommen. Angesichts der älteren und der neueren biografischen Literatur fragt man sich, ob es wirklich nötig war, den bereits vorhandenen Arbeiten eine weitere hinzuzufügen. Man mag darauf hinweisen, dass ein Verlag, der eine neue Reihe BasisBiographie nennt, kaum auf Mozart verzichten konnte. Trotzdem nimmt man das Bändchen mit einiger Skepsis und mit der Frage in die Hand: "Musste das wirklich sein?"

Im ersten Teil - "Leben" - referiert Korff sachlich die be- und markanten Stationen in Mozarts Leben: also die frühen Jahre als musizierendes Wunderkind, das auf strapaziösen Reisen dem staunenden Publikum Europas präsentiert wird, die Konflikte mit dem Vater und dem Salzburger Fürsterzbischof Colloredo, die Heirat mit Constanze und die Übersiedlung nach Wien, die anfänglichen Triumphe in der österreichischen Metropole sowie in Prag. Die düstere finanzielle Situation in Mozarts 'späten' Jahren findet Erwähnung - die Forschung geht mittlerweile davon aus, dass Mozart ruinöse Spielschulden gemacht habe, was sich allerdings, wie Korff zu Recht feststellt, nicht beweisen lässt. Das alles ist solide und am neuesten Forschungsstand orientiert. Selbstverständlich wird auch Mozarts freimaurerisches Engagement angesprochen. Hier lässt sich Korff eine Gelegenheit entgehen, die Gelegenheit nämlich, einige genauere Bemerkungen zum kritischen Zeitgenossen Mozart zu machen. Wolfgang Hildesheimer schrieb in seinem Mozart-Buch: "Das Zeitgeschehen hat, soweit wir feststellen können, die Ebene seines Bewusstseins niemals erreicht."

Gewiss: Es gibt keine überlieferte Äußerung Mozarts etwa zu dem geschichtlichen Zentralereignis, also zur Französischen Revolution; und ebenso gewiss ist, dass Mozart kein homo politicus war. Ein politisches Interesse zeigt sich in Mozarts Oper "Le nozze di Figaro". Lorenzo Da Ponte hatte, wie bekannt, Pierre de Beaumarchais' Komödie "La folle journée, ou Le mariage de Figaro" zu einem Libretto umgeformt und damit auf ein politisch brisantes, skandalumwittertes Theaterstück zurückgegriffen, das zwar in Österreich im Druck erscheinen konnte, dessen Aufführung allerdings verboten war. Hierauf weist Korff hin, und er schreibt über Mozarts Komposition "Le nozze di Figaro": "Die brodelnde, 'gefährlich' wirkende Musik, schon in der Ouvertüre, lässt die Gesellschaftskritik deutlich ahnen." Aber nicht nur in der Musik zeigt sich der kritische Zeitgenosse Mozart, sondern ebenso in zahlreichen brieflichen Mitteilungen, in denen Mozart die gesellschaftlichen Zustände des Spätabsolutismus zum Teil scharf kritisiert.

Im zweiten, dem "Werk" gewidmeten Teil befasst sich Korff mit den wichtigsten der über sechshundert Kompositionen Mozarts. Knapp, im Rahmen einer Einführung völlig ausreichend, werden die sieben großen Opern vorgestellt. Korff beschreibt überdies sinfonische Werke, Konzerte für Soloinstrumente, Klaviersonaten und Sakralkompositionen. Die Vokal- und Instrumentalkompositionen sind vor allem unter dem Aspekt der musikalischen Entwicklung Mozarts ausgewählt worden: "von der galanten homophonen Gesellschaftsmusik bis hin zu sinfonischen und polyphon konzipierten 'Bekenntniswerken' von großer Spiritualität." Die Formulierung "Bekenntniswerke" findet sich allenthalben im Zusammenhang mit Mozarts Kompositionen ab etwa 1786. Gemeint ist hiermit Mozarts "persönliche[r] Stil [...], der zunächst mit seiner so rätselhaften Leichtigkeit, Grazie und Herzlichkeit bezaubert und später so tiefgründige oder dramatische Züge annimmt - bis hin zu Auflehnung, Trauer und Schmerz." Es schwingt in dem Ausdruck ein biografisches Moment mit - als könnte man jene Werke mit konkreten Lebenssituationen und psychischen Verfassungen Mozarts erklären. Der oben zitierte Wolfgang Hildesheimer hat in seinem Mozart-Buch in aller Eindringlichkeit dargelegt, dass von der Biografie kein gangbarer Weg zur Musik führe (wie übrigens auch Korff im dritten Teil seiner Biografie anlässlich der knappen Vorstellung von Hildesheimers Werk vermerkt). Dieser Warntafel folgt der Autor weitgehend.

Die genannte Wandlung zum "Bekenntnismusiker" bereitete damaligen Hörern erhebliche Probleme; Mozarts Musik wurde als "zu schwer, zu exaltiert", zu wenig populär empfunden (was bereits der Vater Leopold Mozart moniert hatte), und das Interesse an Mozarts Musik begann spürbar nachzulassen. Zwar nahm der Bekanntheitsgrad Mozarts nach seinem Tode dank des sensationellen Erfolgs der "Zauberflöte" zu, aber ein Kleinmeister wie zum Beispiel Karl Ditters von Dittersdorf rangierte in der Gunst des Publikums vor Mozart. Diese und andere interessante Informationen kann man dem dritten und letzten Teil - "Wirkung" - entnehmen, ein Teil, der die Lektüre des Buches dann doch lohnend macht. Auf wenig mehr als zwanzig Seiten entfaltet Korff ein rezeptionsgeschichtliches Panorama, das instruktive und aufschlussreiche Kommentare zu Mozarts Rezeption im Konzertsaal und Opernhaus, in der wissenschaftlichen und belletristischen (um nicht zu sagen trivialen) Literatur enthält; Korff geht auf filmische Adaptationen ein und schreibt schließlich über Mozart als "Wirtschaftsfaktor".

Korff zeigt, wie Mozart in den Jahren von 1800 bis 1830 allmählich zum Klassiker avanciert, seine Lobredner degradieren die vorangegangene Musik geradezu zur bloßen Vorgeschichte. In der Zeit von 1830 bis 1900, einem Zeitraum, in den die Veröffentlichung der monumentalen Biografie Otto Jahns fällt und Ludwig Ritter von Köchel das nach ihm benannte Werkeverzeichnis publiziert, setzt eine Gegenbewegung ein. Vor allem Richard Wagners Musik verdrängt diejenige Mozarts. Der Komponist des "Tristan" äußert sich durchaus ambivalent, nicht selten abfällig über seinen Kollegen: "[M]ir ist es wenigstens bei den so stabil wiederkehrenden und lärmend sich breit machenden Halbschlüssen der Mozartschen Symphonie, als hörte ich das Geräusch des Servierens und Deservierens einer fürstlichen Tafel in Musik gesetzt." Im 20. Jahrhundert dann beginnt, nachdem Mozart nacheinander als klassisch und romantisch, als nicht mehr zeitgemäß und schließlich als trivial-rokokohaft wahrgenommen wurde, die "Suche nach dem 'wahren' Mozart". Das Problem, ob man den wahren Mozart gefunden hat oder ob jede Bemühung in dieser Hinsicht zwangsläufig zum Scheitern verurteilt ist, mag auf sich beruhen bleiben.

Heutzutage ist Mozarts Rang unumstritten, sein Status der einer "Kultfigur". Kein Wunder, dass ganze Industriezweige Mozart vermarkten. Beispielsweise gibt es Idomeneo-Zigarren und Köchelverzeichnisse, bei denen es sich aber um Kochbücher handelt. Nicht zu vergessen schließlich die Mozartkugel, jenes süßliche Gemisch aus Marzipan, Nougat und Schokolade, von dem allein in Österreich jährlich angeblich 100 Millionen Stück produziert werden.

In seinem "Fragment über Musik und Sprache" schrieb Theodor W. Adorno: "Sprache interpretieren heißt: Sprache verstehen; Musik interpretieren heißt: Musik machen." Und wenn man nicht in der Lage sein sollte, selbst Musik zu machen, sollte man, so wäre hinzuzufügen, sie mindestens hören.


Titelbild

Malte Korff: Wolfgang Amadeus Mozart. Leben Werk Wirkung.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
157 Seiten, 7,90 EUR.
ISBN-10: 3518182102

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