Rot-Grün revisited

Der Soziologe Ulrich Beck gibt eine Diagnose der Globalisierung und das geeignete Gegenrezept zum Besten

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man kann es auch als eine Art Zeitreise sehen: Zehn Jahre nach der Erstpublikation hat der Suhrkamp Verlag nun Ulrich Becks Schrift "Was ist Globalisierung?" neu herausgebracht. Und es ist beinahe so, als ob man sich das Büchlein nicht zuletzt daraufhin ansehen soll, in welchem Maße Beck im Jahr 1997 Recht oder Unrecht gehabt hat, und zugleich, wie weit sich die rot-grüne Koalition an den Vorgaben des prominenten Soziologen messen lassen kann.

Das Ausgangsszenario ist dabei verblüffend frisch geblieben: Mit der Globalisierung der Märkte und politischen Szenerie sind die nationalstaatlichen Organisationsformen ausgehebelt worden. Arbeit wandert in jene Weltgegenden ab, in denen sie billig ist, die rechtsstaatlichen Institutionen und bürgerrechtlichen Maßstäbe werden unter dem Druck der Kostensenkung und Konkurrenz der Produzenten unterlaufen, Armut wird damit auch wieder in den Industrieländern verstärkt, der Integrationsgrad verringert und die Integrationsfähigkeit der zivilisierten Gesellschaften zermürbt. Mit der Zunahme übernational agierender Akteure und dem Kompetenz- und Machtverlust vor allem nationalstaatlicher Institutionen - inklusive ihrer demokratischen Kontrollmechanismen - geht zugleich das Subjekt von Politik verloren. Die internationalen Konzerne können diese Aufgabe nicht übernehmen, die Bevölkerungen der einzelnen Länder und Ländergruppen (wie etwa der Europäischen Union) scheinen überfordert oder nicht interessiert. Das Projekt der Moderne, so Beck, sei offenbar gescheitert.

Dem stehen allerdings Handlungsalternativen und Entwicklungschancen entgegen. Im Zeitalter der "Globalität", das heißt der real existierenden Weltgesellschaft, sei nicht das Ende der Politik zu konstatieren, sondern, ganz im Gegenteil, deren Neubeginn. Zwar seien die alten Institutionen, Strukturen und Verfahren in der Tat wirkungs- und funktionslos geworden. Man müsse sich also von gewohnten Formen politischen Handelns verabschieden. Gerade aber in der Neuentwicklung adäquater neuer politischer Institutionen und Strukturen sieht Beck die Aufgabe der Politikergeneration, die gegen Ende des 20. Jahrhunderts das Sagen hatte und zum Teil heute noch hat. Und in der Tat machte sich erst im Laufe der späten 1990er-Jahre bemerkbar, welch grundsätzlicher Paradigmenwechsel mit dem Fall der Mauer und des Eisernen Vorhangs für die Gesellschaften im einzelnen wie für die Welt insgesamt eingetreten war. Waren- und Geldströme veränderten ihre Wege derart drastisch, dass dagegen die Störung des Golfstroms wie eine banale Nebensächlichkeit des weltweiten Wandels erscheinen mag. Die Faktizität einer Weltgesellschaft war freilich auch zuvor kaum zu ignorieren, allerdings wandelten sich ihre Strukturen im Laufe der späten 1980er-Jahre, kulminierend mit dem Jahr 1989. Für die bundesdeutschen Akteure in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft steht dies in der Regel unter der prägenden Trias von Demontage von Arbeitsplätzen, Niedergang der Wertegesellschaft in der Massen- und Vergnügungsgesellschaft und der radikalen Segmentierung der Gesellschaft, die große Teile in die Dauerarmut schickte. Historisches Pech, dass wieder einmal die Sozialdemokratie wie in den 1920er- und 1970er-Jahren die gesellschaftliche Krise meistern sollte (in den 1920er-Jahren unter Druck gesetzt durch ihre eigene Mitglieder, in den 1970er-Jahren mit Ölkrise und RAF-Terror konfrontiert). Letztlich manifestierte sich dieses politische Phänomen in der Agenda 2010 und in Hartz IV, mit denen eine Sozialpolitik alten Stils aufgegeben wurde. Dass es dieses Mal die Armen oder von Armut bedrohten Teile der Gesellschaft waren, die die Sozialdemokratie abstraften, passt ins beinahe schon gewohnte Bild.

Hinzu kamen allerdings noch jene Bilder der Globalisierung, die zeigten, dass sich nicht nur die bundesdeutsche Wohlstandsgesellschaft von gewohnten Verhaltensweisen und Belohnungen verabschieden musste, sondern die Globalisierung auch international radikale Konsequenzen hatte: Flüchtlingsströme, die ins Nichts wandern, vor allem in der Dritten Welt, ethnisch legitimierte Kriege auf allen Kontinenten, die Entstehung und Verslumung der Megacities, eine unabsehbare ökologische Krise, deren Auswirkungen weltweit sein würden, offene Gesellschaften, die sich einzumauern beginnen.

Dem setzt Beck ein entschieden offenes und politisiertes Handlungsprofil entgegen. Denn, so der Autor, all diese Phänomene mögen komplex sein, riesige Ausmaße annehmen und massenhaft auftreten: Sie alle sind von Menschen gemacht. Er plädiert deshalb für ein politisch kompetentes und engagiertes Handeln auf allen gesellschaftlichen Ebenen, in der internationalen Zusammenarbeit, in der transnationalen Kooperation, in der Einbindung ökonomischer und ökologischer Prozesse, in der Bildungspolitik und in der Bürgerarbeit. Er plädiert dafür, den Mut zu haben, neue Formen von Politik zu suchen und einzusetzen. Damit dementiert er keineswegs diejenigen Phänomene, die er bereits in "Risikogesellschaft" beschrieben hatte. Die Individualisierung ist in den Industriestaaten ebenso wenig zurücknehmbar wie die Akkumulation des internationalen Kapitals. Er entwirft damit ein pragmatisches wie visionäres Bild einer selbstbewussten und kompetenten Weltzivilgesellschaft, die eben nicht das Ende der Modernisierung bedeutet, sondern deren Fortsetzung auf neuem Niveau. Denn selbst wenn die Modernisierung untrennbar mit der Entwicklung der Nationalstaaten verbunden wäre: Sie weist weit über sie hinaus. Sie ist ein beständiger Prozess, der freilich keine Garantie dafür bietet, dass am Ende eine bessere Welt als zuvor stünde. Allerdings ist dies ohne die aktive Mitgestaltung der Prozesse auf allen Ebenen der Gesellschaft auch kaum zu erwarten. Spätestens daran lässt sich erkennen, dass Becks Schrift vor allem aus der Sackgasse führen soll, in der die Globalisierung in der öffentlichen Rede zu geraten drohte. Sich damit zufrieden zu geben, dass sie alles verändert und nichts bestehen lässt und die einzelnen gegen sie machtlos sind, kann für eine offene Gesellschaft kein Handlungsmuster sein. Ebenso wenig wie ihre imperiale Abschottung. Gerade in den neuen internationalen Konfliktlinien, die sich nach 1989 massiv in den Vordergrund gedrängt haben, ist die Offenheit der politischen und gesellschaftlichen Systeme, ihre Toleranz wie ihre Selbstsicherheit so notwendig wie lange nicht mehr. Das aber wird sie, so lässt sich Becks Büchlein eben auch heute verstehen, nur aktiv für sich in Anspruch nehmen können. Insofern weist "Was ist Globalisierung?" weit über das Jahr 1997 hinaus, in dem das Buch erstmalig erschienen ist. Damit aber erweist es sich weniger als soziologische Studie denn als politische Denkschrift, die noch immer bedeutende Denkanstöße liefern kann.


Titelbild

Ulrich Beck: Was ist Globalisierung? Irrtümer des Globalismus - Antworten auf Globalisierung.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
267 Seiten, 8,50 EUR.
ISBN-13: 9783518458679

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch