Der Sprachschreiner

Im Ausstellungskatalog "Karl Valentin. Filmpionier und Medienhandwerker" wird das Leben und Werk des fast vergessenen Sprachvirtuosen nachgezeichnet

Von Nikolai WojtkoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nikolai Wojtko

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Als Neuschöpfer ist er unvermeidlich ein Zerstörer[...]Er ist nicht mit der instrumentellen Welt einverstanden, kann seine Machtlosigkeit aber nur dadurch demonstrieren, dass er gnadenlos entlarvt, wie unvollkommen die Warenwelt ist, die ihn bedrängt. Seine Zerstörungswut lässt noch von Ferne jenes utopische Denken erkennen, das dem Machbarkeitsglauben des 20. Jahrhunderts zugrunde liegt."

Fast ist man geneigt, in diesen Zeilen Willi Winklers einen Nachruf auf Theodor W. Adorno hören zu wollen, doch weit gefehlt - es sind Reflexionen zu einem der bekanntesten und zugleich weit unterschätzten Komiker und Medienhandwerker des letzten Jahrhunderts: Karl Valentin. Wie aber kommt es, dass dieser Workaholic in der gängigen Meinung lediglich als Volkskomödiant seinen Platz gefunden hat? Vielleicht wollte man zu lange nicht wahrhaben, dass dieser Mann mit seiner Art, die Sprache aufs Genaueste zu vermessen, nicht nur ein kritischer Begleiter der Moderne, sondern auch ein Sprachakrobat sonder Gleichen war. Ironischerweise sieht sich Valentin selbst in eine Apparatur eingezwängt, die ihn an seinen Schreibtisch fesselt, um ihn in einem gleichförmigen Ablauf wie am Fließband neue kreative Ideen abzuzapfen.

Ein Handwerk erlernte der junge Karl Valentin mit 15. Er wurde Schreiner und Zeit seines Lebens wird seine kreative Ader durch diese hier erworbenen handwerklichen Kenntnisse geformt und gefördert. Er wird stets wiederkehrend mit Bohrer, Hammer und Säge die neuen Arbeitsgeräte, das Sitzpult und den Schreibtisch zerstören. Selbstredend unternimmt er dies in der vollmundigen Absicht, sie lediglich auf ihr richtiges Maß zu stutzen und macht damit deutlich, dass in seiner Interpretation das Handwerk des Schreibens, das des Schauspielerns und das des Schreinerns wechselseitig aufeinander verweisen.

Seine Filme, in denen er zusammen mit Liesl Karlstadt eine Groteske nach der anderen erlebt, sind lediglich ein Teil seiner komischen Hinterlassenschaft, welches sich bei genauerer Betrachtung insgesamt als ein multimediales Gesamtkunstwerk zwischen Kino, Bühne, Rundfunk, Schallplatte und fotografischer Selbstinszenierung entpuppt.

Im Zusammenspiel der einzelnen Medien zeigt sich Valentin nicht nur als Neuschöpfer, sondern auch als grandioser Mediendiagnostiker, denn stets geraten seine Figuren durch die neuen Medien - die ihnen eigentlich bei der Verständigung helfen sollen - in Situationen, in denen sie Opfer der Tücken des jeweiligen Kommunikationsmediums werden.

Der Einzelne in der Moderne erscheint bei Valentin als Vereinsamter und sein Bemühen um Verständigung wird von den Apparaten selbst ad absurdum geführt. Aber Valentin wäre nicht Valentin, wenn nicht auch hier der Trost durch die Technik selbst kommen würde: immerhin erfahren wir das Problem des Nicht-Verstanden-Werdens als ein technisch vermitteltes und nicht als ein grundlegend menschliches.

Der Band, welcher nun bei Henschel sorgsam editiert herausgegeben wurde, verbindet nicht nur einen sehr kenntnisreichen Aufsatz zu Leben und Wirken Valentins, er bietet vor allem Exponaten der gleichnamigen Ausstellung einen breiten Raum, die zu einer umfassenden Werkschau einladen. Dieser Medien-Virtuose des 20. Jahrhunderts hat es nicht nur aus handwerklicher Sicht längst verdient, das man ihm im 21 Jahrhundert ein gebührendes Denkmal setzt.

Schließlich ist Valentin ein Meister darin, das Verschwindende zu erhalten. Er verstand den Film vor allem zunächst als Medium, um etwas Flüchtiges wie den Bühnenauftritt mit Hilfe des Zelluloids zu archivieren. Schon in seinem Film "Karl Valentins Hochzeit" aus dem Jahr 1912 wird deutlich, dass er nicht nur den Plot der Filme seiner Zeit ironisch auf die Spitze treibt, also seinen spezifischen Kommentar zum Medium abgibt, sondern dass er zugleich versucht, das Theater auf die Leinwand zu übertragen. Nicht zufällig spielt die Szenerie auf einer Bühne, die ihrerseits in der freien Natur steht und damit auf formaler Ebene zu Rückschlüssen über den gezeigten Inhalt einlädt.

Valentin erkannte nicht nur die aufkommende Konkurrenz zwischen den neuen Medien, sondern machte sie parodistisch zu seinem eigentlichen Thema, etwa wenn er in "Telefonschmerzen" die Möglichkeiten fehlgeleiteter Kommunikation darstellt und die Theorien Marshal McLuhans vorwegzunehmen scheint, oder wenn er in "Das Heimkino" zusammen mit Liesl Karlstadt von einer Bildschallplatte als Trägermedium träumt. Stets geht es ihm dabei um einen archivarischen Aspekt. Denn - so gibt er kurz vor seinem Tode zu Protokoll - was er über das Speichermedium gelernt habe, ist, dass es für einen Künstler zwar ein Jenseits gibt, er aber dem Diesseits durch seine Leinwanddarstellung stets erhalten bleibe.

Nachdem mehrer seine Filme von der NS-Zensur verboten worden waren, trat Valentin aus der "Reichsfachschaft Film" aus und konnte daraufhin seine Kinoträume lediglich auf Manuskriptpapier verwirklichen. Der nun arbeitslose Valentin hoffte, in der Nachkriegszeit wieder Fuß zu fassen. Allerdings wurde er auch nach 1945 ausgegrenzt.

Für ihn selber bot sein eigenes Verschwinden einen letzten Anlass zu einer sehr sarkastischen Parodie. Er verfasste ein fiktives Interview, in dem er gefragt wird, wie er die schwere Zeit denn überstanden habe. Sie habe ihn leichter gemacht, denn er wiege jetzt nur noch 98 Pfund und dabei präsentiert er ein Bild von sich im Badeanzug. Die fiktiven Reporter reagieren entsetzt. "Das ist ja ein Sinnbild der Fettlosigkeit." Worauf hin Valentin in seiner gewohnten Art sich noch einmal zum Wortvermesser aufschwingt: "Fettlosigkeit? Das ist ja mein Glück. Knochenlosigkeit wäre mein Unglück, da wär' ich überhaupt nicht mehr da."

Noch einmal archiviert er etwas in seinem Verschwinden Befindliches. 1948 stirbt Valentin bis auf die Knochen abgemagert an den Folgen einer Lungenentzündung. Der Band holt der Verschwundenen wieder zurück ins Diesseits der Betrachtung.

Das Buch ist der Begleitband zur Ausstellung im Deutschen Filmmuseum, Frankfurt/Main bis November 2007. Ab Januar 2008 wird die Ausstellung im Theatermuseum Hannover zu sehen sein.


Titelbild

Klaus Gronenborn (Hg.): Karl Valentin. Filmpionier und Medienhandwerker.
Henschel Verlag, Berlin 2007.
192 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783894875886

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