Unhinterfragte Sprachgemeinschaft

Über Albrecht Wellmers Rundgang durch Bedeutung und Verstehen

Von Fabian KettnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Kettner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der vorliegende Band enthält die ausgearbeiteten Manuskripte von Albrecht Wellmers letzter Vorlesung an der FU Berlin aus dem Sommersemester 2000 und dem Wintersemester 2000/01. Der erste Teil führt vor allem in das Werk Ludwig Wittgensteins ein und behandelt daran anschließende Problemstellungen Alfred Tarskis und Donald Davidsons. Gegen Ende wird das Verhältnis von Wahrheit und Rechtfertigung anhand von Hillary Putnam, Jürgen Habermas, Karl-Otto Apel und Richard Rorty erörtert. Im zweiten Teil widmet Wellmer sich mit Martin Heidegger und Hans-Georg Gadamer der Hermeneutik.

Der Autor hat den Anspruch, "eine systematische Einführung", keinen "Überblick" über Sprachphilosophie zu geben; insofern ist der Titel des Buches irreführend. Der Originaltitel, "Konzeptionen des Verstehens im 20. Jahrhunderts. Eine Einführung in die hermeneutische Sprachphilosophie", wäre hier exakter gewesen. Aber auch die Umsetzung von Wellmers Intention einer philosophischen Einführung, das heißt nicht "Kenntnisse" zu vermitteln, sondern "in philosophische Fragestellungen hineinzuführen", scheint gefährdet, wenn Wellmer äußerst ausführlich die Positionen der einzelnen Philosophien nacherzählt. Wer sich - beispielsweise auf Grund des Vorlesungscharakters - eine Einführung erhoffte, der wird keinen Problemaufriss bekommen, sondern sich über lange Strecken retten müssen, in denen der Gedanke auf der Stelle tritt, vorsichtshalber aber noch einmal wiederholt wird.

Das kommt nicht von ungefähr. Denn der linguistic turn - und vor allem seine begeisterten Epigonen - führte seine Einsichten umso häufiger aus, je weniger er hatte. Er habe die "Sprachvergessenheit" in der Philosophie beendet, das heißt Sprache nicht mehr nur als Mittel der Kommunikation betrachtet. Indem er sich gegen eine "Namenstheorie der Bedeutung" wandte und nachwies, dass Bedeutung nicht durch eine Namensgebung ursprünglich konstituiert wird, sondern nur in einem "Verweisungszusammenhang" sich entwickelt, konnte er das Erkenntnissubjekt der klassischen Philosophie dekonstruieren. Aber so kritisch Wittgensteins Bezeichnung des Sprachlernens als "Abrichten" klang: die Erklärung, wie Bedeutung und Sinn konstituiert wird, wurde nur verschoben, vom "Vermögen" des Erkenntnissubjekts in die "soziale Praxis", die "Sprachgemeinschaft", die man dann nicht weiter untersuchte. Das in der klassischen Philosophie angeblich überschätzte Subjekt wurde zugunsten "immer schon" gegebener "Lebenswelten", "Horizonte" und "Seinsweisen" aufgegeben. Die Kritik der Metaphysik lieferte ihr Subjekt dem Ganzen aus. Bei Heidegger und Gadamer wurde der "Hintergrund" hypostasiert. Die deutlich restaurativen Züge ihrer Philosophie, die zum Hinnehmen des Gegebenen und zum sich Fügen auffordern, die Apotheose der Tradition und der Überlieferung, bemerkt Wellmer immerhin bei zweiterem. Ansonsten werden sie unhinterfragt reproduziert.


Titelbild

Albrecht Wellmer: Sprachphilosophie. Eine Vorlesung.
Herausgegeben von Thomas Hoffmann, Juliane Rebentisch und Ruth Sonderegger.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2004.
473 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-10: 3518292927

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