Aller Anfang ist Beat

Peter Kemper referiert die Geschichte der Beatles

Von Friedhelm RathjenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Friedhelm Rathjen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Gefahr, das eigene Bild der Beatles verändern zu müssen, besteht bei der Lektüre von Peter Kempers Reclam-Bändchen "The Beatles" nicht, denn der Autor müht sich redlich, alle altbekannten Klischees über die folgenreichste Pop-Band der Welt zu wiederholen und neue zu vermeiden. "Mit den Beatles fing letztlich alles an", schreibt er: in der Tat kann man das so sehen, und so bleibt das eigentlich Problematische an diesem Satz wohl das Kleisterwort "letztlich", das wir als unterdrücktes Unbehagen an der eigenen Formulierungskunst interpretieren wollen. Als solches ist es durchaus angebracht, denn Kemper schreibt einen Nicht-Stil, der, wenn er sachlich sein will, immer fast korrekt daherkommt - wenn er begeistert sein will, klingt er hingegen immer nach Musiklehrer. Wenigstens die ärgsten Schnitzer (à la "Am Freitag, den 13. April") hätte ein ernsthaftes Lektorat dem Büchlein austreiben müssen, nur geht es hier halt gar nicht um ernsthaftes Treiben.

Es geht um das Ungefähre, und die Sehnsucht nach diesem Ungefähren bedient Kemper vortrefflich. Nichts, was wirklich wichtig gewesen wäre an der Entwicklung der Beatles, lässt er aus. Also lesen wir alles, was wir eh schon wissen: wie John Lennon auf die chaotischen Familienverhältnisse und den Verlust des Vaters (der sich früh vom Acker machte) und der Mutter (die ihn erst an seine Tante abschob und sich dann auch noch von einem Auto überfahren ließ) mit gewalttätiger Aufmüpfigkeit reagierte, die ihn zum Rock'n'Roll brachte; wie er bei einer Gartenparty den adretten Paul McCartney kennenlernte, der jünger und folglich eigentlich nicht ernstzunehmen war, aber leider besser Gitarre spielte als er; wie aus dieser Kumpanei nach etlichen Personalwechseln und hunderten von brachialen Auftritten in den stickigsten Schuppen Liverpools und Hamburgs die Beatles hervorgingen; wie die Band fast über Nacht alle Teenies dieser Welt eroberte und dann auch noch einen beträchtlichen Teil der übrigen Welt; wie die Beatles schließlich daran gingen, ihre anfangs betont spaßige Musik immer ernster zu nehmen und manch andere Dinge auch; wie der Gruppenzusammenhalt über die zunehmende Individualisierung der "Fab Four" (und speziell der "Two of us" in ihrem Zentrum) verlorenging und für Herrn Lennon plötzlich Frau Ono wichtiger wurde als die Restbeatles; wie das schlimme Ende mit Gezanke kam und die lange Geschichte des immerwährenden Wartens auf eine Wiedervereinigung begann. So ungefähr.

Jeder ernstzunehmende Beatles-Fan weiß das alles natürlich schon lange, und Kemper sagt ihm, dass er es richtig weiß. An einer neuen Sicht auf die Beatles und ihre Geschichte, an einer Neubewertung ihrer Leistungen gar oder auch nur an der Mitteilung neuer Detailerkenntnisse ist er nicht interessiert, eigentlich überhaupt nicht an Details, aber das ist ja verständlich, wenn man für eine Gesamtdarstellung nur 130 Textseiten zur Verfügung hat. Kemper geht mit der Raumbeschränkung souverän um, indem er komplizierte Themen ganz weglässt, tiefergreifende Analysen vermeidet und das bisschen Rest, das dann noch übrigbleibt, so wortreich erzählt, dass es schon fast wieder zeilenschinderisch wird. Das Ergebnis liest sich wider Erwarten flüssig und ergibt eine außerordentlich nette Auffrischungslektüre für alle, die sich noch einmal in Erinnerung rufen wollen, wie's damals eigentlich war. Ob diejenigen, die solche Erinnerungen nicht haben, etwas mit einer so oberflächlichen Darstellung anfangen können, steht auf einem anderen Blatt, das zu beschreiben diesem Rezensenten nicht zusteht.

Die Oberflächlichkeit der Darstellung bietet neben anderen Vorteilen im übrigen auch noch den, dass sie die Verbreitung wirklicher Falschinformationen wirksam verhindert. Wenn man die Dinge nicht so genau nimmt, stimmt eigentlich alles, jedenfalls so halbwegs, und mehr als halbwegs muss man's auch gar nicht wissen. Sicher, die Aufzählungen der besonderen Errungenschaften einzelner Songs (meistens stark durch Ian Mac Donalds Buch "The Beatles - Das Song-Lexikon" inspiriert) können nie erklären, was an diesen Stücken denn nun so faszinierend sein soll, aber das erfährt man ja auch besser, indem man sie sich einfach anhört, und alles weitere ist dann einigermaßen überflüssig. Klar, bei den Songs "Mother" und "My Mummy's Dead" handelt es sich nicht, wie Kemper schreibt, um "nicht enden wollende Hymnen" Lennons auf seine Mutter, denn diese sehr unhymnischen Liedchen enden durchaus, im einen Fall sogar schon nach 54 Sekunden - aber wir wissen ja, was Kemper meint, dass nämlich die Reihe solcher schnell endenden Songs schier endlos scheint, und soweit ist das wohl richtig. Zugegeben, der Oberlehrer im Rezensenten möchte Kemper wieder mal erklären, dass George Harrisons vorläufiger Ausstieg am 10. Januar 1969 einen ganz konkreten Anlass hatte, der bei Lennon und nicht bei McCartney zu suchen ist und auf den unter Sammlern kursierenden Aufnahmen der "Get-Back"-Sessions, die Kemper offenbar nicht kennt, ganz gut dokumentiert ist - aber so oberflächlich, wie Kemper auch die desolate Geschichte besagter Sessions in seinem Büchlein abhandelt, sagt er vielleicht ein bisschen wenig, aber nichts wirklich Falsches, und so gibt sich der Oberlehrer dann doch lieber dem Musiklehrer geschlagen.

Also alles im gelben Bereich, die Beatles sind in Reclams universeller Schulheftreihe angekommen und passen erstaunlich gut hinein. Warum gab's damals eigentlich soviel Aufregung um diese angeblich so langhaarigen, angeblich so lauten, angeblich so wilden Kerle? Die heutige Schuljugend wird es aus Kempers Buch ganz gewiss nicht erfahren, aber warum sollte sie auch - das, was hier wie in einem Pflichtreferat vorgestellt wird, ist Urgeschichte, ewig lang her, und dient wohl doch nur der Selbstvergewisserung nicht ausgestorbener Saurier darüber, wie alles angefangen hat, "letztlich".


Titelbild

Peter Kemper: The Beatles.
Reclam Verlag, Stuttgart 2007.
144 Seiten, 4,40 EUR.
ISBN-13: 9783150184974

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