Das Recht auf individuellen Glauben - Friedrich Wilhelm Grafs "Die Wiederkehr der Götter" in einer Neuauflage

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In seiner 2004 erstmals veröffentlichten Studie "Die Wiederkehr der Götter. Religion in der modernen Kultur" (siehe literaturkritik.de 6/2004) weist der Münchner Theologe Friedrich Wilhelm Graf auf die kulturelle Prägekraft von Kirche und Religion hin und betont deren Unentbehrlichkeit. Grafs Buch hat viel Resonanz gefunden und kontroverse Debatten ausgelöst. Gleich im Erscheinungsjahr wurde es dreimal aufgelegt. Später folgten zwei Sonderausgaben. Jetzt erschien in der Beck'schen Reihe eine, um ein zweites Vorwort und um ein Postskriptum erweitert, Neuausgabe. Leider ist die Nachschrift im Gegensatz zum bisherigen Inhalt des Buches für Leser, die Begriffe wie "coderite cognitive maps", "religious economics", "shared history", "déformation professionelle", "Pentecostals" nicht gerade zu ihrem täglichen Wortschatz zählen, auf Anhieb schwer verständlich.

Graf weist darauf hin, dass die Dynamik religiöser Wandlungsprozesse in der Moderne oft nur aus verengten europäisch-christlichen Perspektiven wahrgenommen wird und dass neue religionsstatistische Daten, die durchaus zur Verfügung stehen, kaum beachtet werden. Vor allem werden die vielfältigen Pluralisierungs- und Differenzierungstendenzen unterschätzt, die die Geschichte des Islams, aber auch die christliche Gesellschaft in unserer Zeit kennzeichnen. Eine deutliche Mehrheit der Christen nimmt laut Graf eine andere Haltung ein als kirchliche Spitzenakteure. Mehr oder weniger folgt jeder seinem eigenen Lebensentwurf, den er für christlich legitim hält. Viele Emigranten wiederum, die aus dominant muslimischen Gesellschaften nach Deutschland kommen, definieren sich nicht in erster Linie religiös. Vielmehr leiten sie ihre Identität von ihren Herkunftsländern ab und fühlen sich daher eher als Türken, Perser oder Marokkaner denn als Muslime.

Glaubensabgründe der Moderne, führt Graf weiter aus, ließen sich nicht von gelehrten Religionsdeutern mit alterprobten Theorieinstrumenten ausloten. Man sollte, schlägt der Autor vor, den einzelnen individuellen Glauben ernster nehmen als bisher und im jeweiligen Glauben selbst den Reflexionsort entdecken, der es dem Frommen erlaubt, auch Andersgläubigen das Recht auf ihren Glauben oder Unglauben zuzugestehen.

U.H.


Titelbild

Friedrich Wilhelm Graf: Die Wiederkehr der Götter. Religion in der Modernen Kultur.
Verlag C.H.Beck, München 2007.
336 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783406548086

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