Humor ist, wenn man deswegen lacht

Wilhelm Busch zeichnet und liest Arthur Schopenhauer

Von Ludger LütkehausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ludger Lütkehaus

Wilhelm Buschs Zeichnung mit dem Titel "Schopenhauer" ist die populärste aller Schopenhauer-Karikaturen, noch vor Olaf Gulbranssons "Schopenhauer und Kant". Doch handelt es sich wirklich um eine Karikatur?

Der in der Rückenansicht gezeigte Schopenhauer, im Ausgehrock, mit Handstock bewaffnet, mit Hut gegen die Eventualitäten des Weltwetters gewappnet, geht spazieren. Wo? Natürlich in der "Welt als Wille". Sein Spaziergang hat eine entschiedene Richtung. Und sein knapp bemessenes Resthaar krümmt sich mit stacheliger Energie nach vorne, als ob es jenen Stacheln nachgebildet wäre, die in Schopenhauers berühmter Parabel von den Stachelschweinen für gehörigen Abstand zwischen den allzu menschlichen Tieren sorgen.

Aber der philosophische Flaneur ergeht sich auch in der "Welt als Vorstellung". Eine Kübelpflanze repräsentiert die schöne, wenngleich nicht mehr unberührte Natur. Es scheint die Sonne, wie man aus den Schatten schließen kann - kein wolkenverhangener Tag eines schwarzsehenden Pessimisten. Deswegen muss der Spaziergänger den Hut, den er dem Betrachter wie jemand entgegenhält, der um eine generöse Gabe bittet, auch einstweilen nicht aufsetzen. Die Sonne steht ihm freilich im Rücken. Er geht ihr nicht entgegen. Aber der als notorischer Einzelgänger verschrieene Philosoph ist nicht allein. Insofern führt der lapidare "Schopenhauer"-Titel in die Irre. Sein Pudel, wahrscheinlich ist es "Atma", so Schopenhauers Sanskrit-Name für das mit der Weltseele identische tierische Selbst, leistet ihm Gesellschaft. Leicht zurückversetzt, wie es die menschliche Rangordnung verlangt, folgt er seinem Herrn. Die Harmonie der beiden Spaziergänger ist ausgeprägt: ein altes Paar. Atmas Schwanz ragt rechts etwa so in die Welt wie des Meisters Resthaar. Und dann ist da noch links unten die zeichnerische Andeutung eines Knicks im Papier. Das hübsche Blatt gibt sich beiläufig; sichtlich ist es nicht für die Ewigkeit geschaffen. Nachhaltig ist es schon.

Populäre anekdotische Züge aus Schopenhauers Leben in Frankfurt am Main sind in Wilhelm Buschs Zeichnung eingegangen. Aber das "haarige" Klischee-Bild des Misanthropen wird zu dem eines behaglichen philosophischen Philisters gemildert. In Pudelbegleitung wird der einsame Meisterdenker gleichsam resozialisiert. Sogar in der schlechtesten aller möglichen Welten scheint offenbar gelegentlich die Sonne, freilich mit dem Effekt, dass der philosophische Pessimist par excellence selber es ist, der zusammen mit seinem tierischen Alter Ego den Schatten wirft.

Wenn es sich also um eine Karikatur handeln soll, so eher um eine liebevolle, geprägt von einem Humor, den die deutsche Tradition gerne "versöhnlich" nennt. Die Wilhelm-Busch-Forschung feiert ihren Helden denn auch gerne als den "lachenden Philosophen des Pessimismus" (Roelof Deknatel). Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Existenziellere Lesarten dieser Stammtisch-Version des Humors sprechen zumindest vom "lächelnden Dennoch über allem Leid der Welt" (Friedrich Bohne). Aber wird das Buschs Art des Humors und seinem Bezug zu Schopenhauer gerecht? Blättert man in Buschs Briefen, ergötzt man sich an seinen Bildergeschichten, liest vor allem seine späten, weitgehend unbekannt gebliebenen Erzählungen ("Eduards Traum", "Der Schmetterling") - wirft er da nicht einen böseren Blick auf die Welt, der im Unterschied zu seiner Zeichnung auch den philosophischen Meister selber trifft?

Wilhelm Busch hat das Werk Schopenhauers erst 1867, im Alter von 35 Jahren, sieben Jahre nach dem Tod Schopenhauers, kennengelernt, und zwar im Frankfurter Haus der Bankiersfamilie Kessler, in dem Buschs jüngerer Bruder Otto, später selber Autor eines Buches über Schopenhauer, als Hauslehrer tätig war. Die Frankfurter Spur führt nicht nur auf den langjährigen Wohnort Schopenhauers und seiner diversen Pudel, sondern auch auf ein zentrales Kapitel aus dem zweiten Band der "Welt als Wille und Vorstellung": die "Metaphysik der Geschlechtsliebe" - jenes berühmt-berüchtigte Stück, in dem der Leib-Philosoph Schopenhauer, der im Widerspruch zur Legende vom Nur-Misogyn zumindest in seinen Anfängen ein leidenschaftlicher Frauen-Liebhaber war, alle Mysterien der ätherischen Liebe fleischlich auf das Buchstäblichste inkarniert. Jeder "Hans", das kann man mit dem gemeinten Doppelsinn gleich auch richtig lesen, will doch nur seine "Grete". Wie weiland Hölderlin im Frankfurter Bankiershaus Gontard seine Diotima, so hat wohl auch Busch in der Bankiersfrau Johanna Kessler Geschlechtsmetaphysisches, wenn nicht erlebt, so doch empfunden. In seinen "Abenteuern eines Junggesellen" hat Busch das Geschlechtsleben in spe des noch unverehelichten Tobias Knopp verewigt, dem der trunksüchtige weise Eremit Krökel vergeblich das gereimte, aber garstige Lied vom Welt- und Frauen-Ekel singt. Für die beiden Junggesellen Schopenhauer und Busch blieb der sexuelle Realismus der Geschlechtsliebe eine prekäre Philosophie.

Charles Darwin war Buschs erster auch lebensphilosophischer Mentor. Doch "in den Schopenhauer" hat er sich nach seinem autobiografischen Zeugnis "Was mich betrifft" (1886) mit noch größerer "Leidenschaft und Ausdauer" vertieft. Allerdings hat die "Begeisterung" für beide zu diesem Zeitpunkt schon "etwas nachgelassen. Ihr Schlüssel scheint mir wohl zu mancherlei Türen zu passen, in dem verwunschenen Schloss dieser Welt, nur nicht zur Ausgangstür."

Die Vorbehalte gegen Schopenhauer nehmen im Lauf der Zeit zu, und zwar aus eben den Gründen, die den guten Ausgang, Schopenhauers paradox optimistische Erlösungslehre, sowie den prinzipiellen erkenntnistheoretischen Optimismus der Philosophie betreffen, dass es überhaupt passende Schlüssel zu den verschlossenen Türen im nicht erwünschten, sondern verwunschenen "Schloss dieser Welt" gebe. Im übrigen glaubt Busch zu wissen, dass es "mit dem besten Pessimismus" nichts ist. "An den Glücklichen gleitet er ab, wie Wasser an der pomadisierten Ente, und der Unglückliche weiß ohne weiteres bescheid."

Andererseits wirft Busch schon vor seiner ersten Bekanntschaft mit der Philosophie Schopenhauers einen pessimistischen Blick auf die Welt. Und nach seiner ersten Lektüre ist Schopenhauer derjenige gewesen, den er wie keinen anderen Philosophen so "mit Leidenschaft und Ausdauer" studiert hat, dass Interpreten in seiner Lyriksammlung "Kritik des Herzens" ein "Laienbrevier der Schopenhauerschen Philosophie" entdecken konnten.

Die zentrale Quelle für Buschs Schopenhauer-Rezeption sind die Briefe an eine seiner (Brief-)Freundinnen, die verwitwete niederländische Schriftstellerin Maria Anderson. Auch hier sind die Physik und Metaphysik der Geschlechtsliebe wieder im Spiel.

Zumal das Verhältnis von Wille und Vorstellung treibt Busch im Gefolge Schopenhauers um. Was Schopenhauer den "Willen" nennt, ist der "allgegenwärtige Drang zum Leben; überall derselbe, (...) im Himmel und auf Erden; in Felsen, Wasser, Sternen, Schweinen, wie in unserer Brust." Die Krone der Schöpfung, das (Stachel-)Schwein, der Mensch. "Hans Huckebein, der Unglücksrabe", die erste Bildergeschichte Buschs unter dem direkten Einfluss Schopenhauers, und "Fipps, der Affe", vergegenwärtigen drastisch die tierische Menschen-Natur.

Der Intellekt sitzt im "Oberstübchen" und schaut dem übermächtigen Willenstreiben zu. Er ist "Nr. 2", der Wille aber der "Starke, Böse, Wirkungsvolle, Erste". Was will er? Die Geschlechtsliebe hatten wir schon, darüber hinaus jede andere Form von Leben und Genuss, nur dass er es statt dessen, unselig und selbst widersprüchlich, wie er ist, immer nur zu "kurzer Lust und langer Sorge", zu Enttäuschung, Alter, Krankheit und Tod bringt. "Hinter jedem neuen Hügel" taucht nur eine neue "Unendlichkeit" unstillbarer Wünsche auf. Hier wie auch sonst öfters denkt und spricht Busch wie Schopenhauer in seiner Rolle als "Buddha von Frankfurt" buddhistisch.

Demgemäß wäre es nur schlüssig, wenn die malträtierten, sich selber malträtierenden Menschen ihrem gierigen Lebenswillen entsagten und im "verwunschenen Schloss dieser Welt" die Ausgangstür suchten. Das war die Resignationsidee Schopenhauers gewesen. Gerade weil aber der Wille das Stärkere, Wirkungsvolle, Erste ist, führt er den Intellekt immer wieder am Gängelband. Und die Menschen halten bei Busch eben mit ihrem Willen, ihrer "energischen Bestialität", an ihrem Willen, an ihrem unausrottbaren, unüberwindbaren Ich fest. Sie wollen gar nicht den Schlüssel zur Ausgangstür. Sie wollen weiterhin erstaunlicherweise sich. Wie "Fipps, der Affe": "Auch hat er ein höchst verruchtes Gelüst, / Grade so zu sein, wie er eben ist." Busch, das ist ein Schopenhauer ohne Erlösung, dafür - nun wieder in Übereinstimmung mit Schopenhauers Lehre von der Unveränderlichkeit des Charakters - mit um so stärkerem Willen zur Selbstbehauptung.

Aus diesem Willen nähren sich die Täter wie die Opfer der Busch'schen Bildergeschichten. Von der Wiege bis zur Bahre. Daher ihre hartnäckige Unverbesserlichkeit. Sie sind immer die Gleichen. Deswegen kann die Rollenverteilung in Buschs Welt so typisiert sein.

Auch, gerade die eigentlichen Helden seiner Bilderwelt, die Kinder, sind wie seine Tiere nichts weniger als unschuldige Natur, sondern jene Übeltäter von Anfang an, aus denen der grausame Wille Klartext spricht. In den Kindern feiert die Schadenfreude ihre größten Triumphe - jenes Gefühl, das in Buschs Welt an die Stelle des von Schopenhauer verkündeten Universalgefühls des Mitleids tritt. Buschs Kinder sind inkarnierte Schadenfreude. Wenn ihre Triumphe so vergnüglich sind, so deswegen, weil ihre Schadenfreude durchweg die Richtigen trifft - die unüberbietbar dummen, selbstgerechten Erwachsenen, vor allem die Frömmler, die Busch noch sarkastischer als Schopenhauer aufs Korn nimmt. Gerecht, immerhin, geht es bei Busch schon diesseits, nicht erst nach den Prinzipien der metaphysischen Gerechtigkeit zu. Die Anarchie der Kinder ist die angemessene Rache an der Herrschaft der so genannten Erwachsenen.

Scheint aber wie in Schopenhauers Welt auch bei Busch ausnahmsweise einmal die utopische Möglichkeit einer anderen Welt mit anderen Menschen auf, etwa indem man diesen Neidkreaturen wie in Buschs allegorischer Erzählung "Eduards Traum" im egalitären "Land der Zukunft" die "Konkurrenzdrüse" wegoperiert, so mündet das öde Schlaraffia, in dem es nichts mehr zu lachen gibt, in die Langeweile. Und die Menschen hängen sich, was sie bei Schopenhauer nicht dürfen, gleich scharenweise an den Bäumen des Lebens und der Erkenntnis auf. "An jedem Baum hing wer." Auch mit dieser Ausgangstür ist es also nichts.

Busch radikalisiert so die Welt- und Menschendeutung Schopenhauers. Er versperrt die Ausgänge. Er verweigert die bei Schopenhauer noch verbleibenden mildernden Umstände. Und trotzdem wird in Buschs Welt weit mehr als in der Schopenhauers gelacht. Wie das möglich ist? Nun, weil die Schadenfreude selbst unter Philosophen die größte Freude ist. Das Lachen, heißt es in "Eduards Traum", ist die "aufrichtige Freude an der Bestätigung unserer überwiegenden Konkurrenzfähigkeit." Lachen ist Lachen-Über, Verlachen. Humor ist, wenn man nicht trotzdem, sondern deswegen lacht.

Der "kahle Mann", der in "Eduards Traum" erklärt: "Das Leben ist ein Irrtum! Ich denke ihn weg!", hat sich "schon alle Haare weggedacht und dachte doch immer noch weiter." Lässt der Zeichner Busch ihm aber in einer Anwandlung von humaner Milde wenigstens ein paar Haare, dann zeichnet er ein Philosophenporträt, das Herr und Hund für die Dauer eines Spaziergangs in nachmittäglich freundlichem Lichte zeigt, harmonisch weltabgewandt und doch ohne sich gleich auf den Weg zur "Ausgangstür" zu machen.