Mit dem Ende als solchem habe ich kein Problem

Mit Walter Kempowskis Tod vollendet sich eine bürgerliche Biografie

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Er war eine knorrige, empfindsame und sehr verletzliche Persönlichkeit. Aber der feingliedrige, schmächtige Mann konnte auch austeilen, und nicht wenige seiner Zeitgenossen, seien es Schriftstellerkollegen, Kritiker oder einfach Leser, sind von ihm kurz abgefertigt und stehen gelassen worden. Ein streitbarer Zeitgenosse also, dem die deutsche Literatur der Nachkriegszeit gleichwohl viel verdankt.

Schon sein Erstling, das Gefängnistagebuch "Im Block" (1969), lässt die spezifische Qualität seiner Prosa erkennen: die aus dem persönlichen Schmerz destillierte Komik, die den Lebensstoff verfügbar und gestaltbar macht und sich für uns als unvergessliches Leseerlebnis manifestiert. Acht Jahre, von 1948 bis 1956, war Kempowski wegen angeblicher Spionage für den imperialistischen Westen im Gelben Elend in Bautzen inhaftiert.

Die Rostocker, deren größter Sohn er gewesen ist, konnten sich mit seiner "Deutschen Chronik" (1978 -1984) bislang nicht anfreunden. Sie erzählt die politische Topografie der Hansestadt am Beispiel der Reedersfamilie Kempowski, und zwar so genau und detailverliebt, dass sie einen Stadtführer ohne Weiteres ersetzen könnte. Kempowskis charakteristischer Montagekunst gelingt es dabei, authentisch-anschauliches Zeitkolorit mit den persönlichen Macken und Schnurren seiner Familie zu verknüpfen. Noch das Spätwerk kann als Hommage an seine Geburtsstadt gelesen werden: "Leute ohne eine Bindung an Heimat sind mir verdächtig", schreibt er im sehnsuchtsvollen Rückblick auf seinen ersten Rostock-Besuch nach der Wende, denn Heimweh ist ihm immer geblieben. Ehrlich entsetzt und den Tränen nahe über das traurige Erscheinungsbild der maroden mecklenburgischen Metropole nach 40 Jahren SED-Herrschaft, besucht er mit seinem Bruder die Stätten seiner Kindheit und Jugend: "Herrgott, wie sieht die Stadt aus!" Bitterkeit mischt sich in seine bisweilen melancholische, dann wieder kühl-taxierende Bestandsaufnahme: "keinerlei Aufmerksamkeiten", "kein Stehempfang, kein Goldenes Buch."

Gegen Ende seines Lebens, dem Tode schon geweiht, hat er diese Aufmerksamkeiten geradezu eingefordert - und bekommen: in Gestalt von Ehrungen (darunter die Ehrendoktorwürde der Universität, 2002), Preisen (darunter der Thomas Mann Preis der Stadt Lübeck, 2005) und Ausstellungen. Die umfassende Kempowski-Schau in der Berliner Akademie der Künste wurde im Mai 2007 durch Bundespräsident Horst Köhler eröffnet - durch einen Staatsakt beinahe, der in jedem Falle eine Würdigung für einen verdienstvollen Schriftsteller und sein eindrucksvolles Werk darstellte.

Dieses Werk hat mit dem "Echolot" von 1993, einem kollektiven Tagebuch aus den Kriegsjahren 1941, 1943 und 1945, eine atemberaubende Wendung genommen: Der Autor sprach fortan nicht mehr selbst, sondern versammelte die Stimmen der Zeitzeugen zu einem Chor historischer Stellungnahmen: Briefe aus dem "Feld" und von der "Heimatfront", Tagesbefehle aus dem Führerhauptquartier sowie Tagebuchaufzeichnungen aus deutschen Konzentrationslagern wurden zu einem Mosaik kollationiert, das seine Handschrift trug; denn seit den 70er-Jahren hatte Kempowski begonnen, private Fotos, Tagebücher und Lebensgeschichten zu sammeln, sie aufzubereiten und herauszugeben ("Haben Sie Hitler gesehen?", 1973; "Haben Sie davon gewußt?", 1989) und zu Hörspielen ("Der Krieg geht zu Ende", 1995) zu verarbeiten. Er schrieb auch wieder Romane ("Heile Welt", 1998; "Letzte Grüße", 2003; "Alles umsonst", 2006) und veröffentlichte seine Tagebücher ("Alkor", 2001; "Hamit", 2006), die mitunter in eine harsche Medienkritik mündeten ("Bloomsday '97", 1997).

Las er in Rostock, Schwerin oder Wismar aus seinem Werk, so war die Atmosphäre spannungsvoll geladen: Welchen Wein würde der Autor seinen Landsleuten diesmal einschenken? In der DDR hatte sein Werk bekanntlich nicht erscheinen dürfen - seine schonungslose Abrechnung mit den russischen Truppen, die 1945 Einzug im Lande hielten, vertrug sich nicht mit der verordneten Völkerfreundschaft.

Haus Kreienhoop bei Nartum, seine Wohn- und Wirkungsstätte seit den 1960er-Jahren, soll nun Museum werden - seit bald 30 Jahren war es Begegnungsstätte des literarischen Nachwuchses, dessen Förderung sich Kempowski auf die Fahnen geschrieben hatte. Aber auch bedeutende Namen wie Günter Grass, Martin Walser oder Siegfried Lenz zählten zu seinen Gästen.

Seine spezielle Ästhetik, Fakten und Fiktionen miteinander zu versöhnen, hat sich in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingebrannt - nicht zuletzt Dank Eberhard Fechner, Edda Seippel und Karl Lieffen, die seine "Deutsche Chronik" für die ARD und damit ein Millionen-Publikum kongenial ins Bild setzten ("Tadellöser & Wolff", 1975; "Ein Kapitel für sich", 1979).

Der Autor ist tot, sein Werk wird leben.