Chronistin der linken Bewegung

Warum Doris Lessing nicht in den neokonservativen Zeitgeist passt

Von Tanja DückersRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tanja Dückers

Über diese Entscheidung kann man sich mal so richtig freuen: Doris Lessing (geb. 1919) hat den Nobelpreis bekommen - für Bücher, in denen es um die Frage nach politischem Engagement in den Wohlstandsgesellschaften ("The Good Terrorist"), um Kolonialismus und Rassenkonflikte in Afrika ("The Grass is Singing", "Children of Violence") und um das Verhältnis der Geschlechter ("The Golden Notebook") geht. In Lessings Werk fließt ihre eigene, auf drei Kontinenten beheimatete Biografie mit ein: In Persien und in Rhodesien (heute Simbabwe) ist sie aufgewachsen, bis 1956 - Niederschlagung des ungarischen Aufstands - war sie überzeugte Kommunistin, dann nach England gezogen. Die über die Rolle der Frau in den angeblich schon so aufgeklärten Gesellschaften schreibende Autorin war also auch eine Chronistin der linken Bewegungen. Doch jedes neue Buch blieb eine Überraschung. Die experimentierfreudige Schriftstellerin hat auch Science-Fiction geschrieben und sich mit dem Sufismus beschäftigt.

Nach Elfriede Jelinek 2004 ist Lessing die elfte Frau, die den Literatur-Nobelpreis erhält. Seit der ersten Vergabe 1901 stehen dem 93 männliche Autoren als Preisträger gegenüber.

Lessing hatte kaum Kenntnis von der Preisvergabe erhalten, da meckerten schon ausgerechnet eher links angesiedelte Zeitungen wie die taz und die SZ, dass diese Entscheidung aus Schweden keine "literarische", sondern eine "politische" gewesen sei. Dass Lessing von Alice Schwarzer hofiert wird und sich eben meistens (gesellschafts-)politischer Themen annimmt, scheint für manche Kritiker ein Indiz dafür zu sein, dass ihr "Engagement" wichtiger sei als Kunst, als Literatur. Als würden politisch denkende Autoren nicht auch hervorragende Romane schreiben können. Vielleicht wird Lessing auch noch ihr Buch "The Sweetest Dream" (2002) übel genommen, in dem sie sich retrospektiv mit den Hoffnungen der 68er-Aktivisten befasst. Das passt hierzulande nicht so in den neokonservativen Zeitgeist.

Manche unken sogar, der stets über alte Männer mit Prostataproblemen und einer Schwäche für junge Dinger schreibende Philip Roth hätte den Preis eher verdient. Nein, hat er nicht.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text erschien bereits in der "Jungle World". Nr.42, vom 18. Oktober 2007. Wir danken der Autorin für die Publikationsgenehmigung.