Wer war Karl-Otto Saur oder: Wie belastet fühlen sich Familien durch Nazitäter?

Karl-Otto und Michael Saur geben Auskunft

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit dem "Dritten Reich" verbindet man Namen wie Adolf Hitler, Hermann Göring und Joseph Goebbels. Doch was weiß man von Karl-Otto Saur? Ist er genau so bekannt wie etwa Fritz Todt und Albert Speer? Wohl kaum, und dabei steht er in Hitlers Testament und war langjähriger Stellvertreter von Hitlers Rüstungsminister Speer.

Aufschluss darüber, wer Karl-Otto Saur war und was er getan hat, gibt jetzt das von seinem Sohn und seinem Enkel gemeinsam herausgegebene Buch "Er stand in Hitlers Testament. Ein deutsches Familienerbe." Der Journalist Karl-Otto Saur und sein in New York lebender Sohn Michael Saur - auch er ist Journalist und Schriftsteller - beschreiben, was es bedeutet, einer durch Nazi-Verbrechen belasteten Familie anzugehören, wie das verordnete Schweigen dort bis zum Tod des Vaters anhielt und wie sehr die Vergangenheit des Vaters die Entwicklung seines Sohnes geprägt hat. Immerhin handelt es sich bei den beiden Autoren um den Sohn und den Enkel eines Nazis, der als Hauptamtsleiter im NS-Rüstungsministerium für Kriegstote und Zwangsarbeit verantwortlich war. Beide verfassten, auf der Suche nach der Wahrheit, unabhängig voneinander je zwölf Kapitel, in denen sie ausführlich auch über ihr eigenes Leben berichten, über einzelne Episoden aus ihrer Kindheit und der eigenen Familie - wobei Konflikte nicht verschwiegen werden - sowie über ihre unterschiedlichen Begegnungen mit Juden und über ihre Erfahrungen in New York.

In den ersten Jahren seines Lebens wusste der 1944 geborene Sohn Karl-Otto Saur von seinem Vater nicht eben viel. Es hieß, er sei in einem Lager. Als potenzieller Zeuge im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess musste er sich 1945/46 zu Verfügung halten. Mit drei Jahren sah der Sohn den Vater zum ersten Mal. Von 1949 an lebte die Familie mit ihm wieder zusammen in einem kleinen Holzhäuschen in Pullach. Der Vater selbst unterhielt ein Ingenieur-Büro in München, mit dem er allerdings kaum Geld verdiente, oder, wie der Enkel kühl konstatiert: "Was mein Großvater nach dem Krieg geschäftlich anfasste, misslang ihm."

Karl-Otto Saur junior beschreibt seinen Vater als leicht aufbrausend und ungerecht gegenüber seinen Kindern. Im Grunde habe er das Familienleben nur gestört. Erst allmählich, als er älter wurde, erfuhr der Sohn von Hitler und dem "Dritten Reich", in dem sein Vater offensichtlich eine wichtige Rolle gespielt hatte. Als er elf Jahre alt war, wurde er in der Schule zum ersten Mal mit dem nationalsozialistischen Massenmord an den Juden konfrontiert. 1960 hörte er zum ersten Mal den Namen Adolf Eichmann. Zu Hause indes wagte er nicht, das Thema anzuschneiden. Doch begann von jetzt an "eine mühsame Suche nach der Wahrheit über einen Vater". Eine Weile glaubte er die im Elternhaus gepflegte Legende, dass dieser als Techniker mit den Verfolgungen und Ermordungen im "Dritten Reich" nichts zu tun gehabt habe.

Gleichwohl bemühte er sich um Bücher und Nachschlagewerke, um mehr über die unheilvollen zwölf Jahre Hitlerdiktatur zu erfahren, und suchte sich nach und nach manches aus Erinnerungen, Dokumenten und Akten zusammen, wobei er sich zuweilen eines gewissen Stolzes erwehren muss, der ihn überkommt, als er liest, dass Hitler in seinen letzten Gedanken seinen Vater erwähnt hat.

Aber die Protokolle der Rüstungsgespräche mit Hitler, die Speer und sein Vater regelmäßig mit ihm führten und die der Sohn liest, bestärken ihn in seinem Zweifeln und seiner Skepsis, zumal die Eltern sich als die eigentlichen Leidenden sahen, die kein Unrecht getan hätten, sondern vom Schicksal geschlagen gewesen seien.

"Sein Selbstmitleid war größer als alle möglichen Schuldgefühle. Er fühlte sich ungerecht behandelt, ohne zu bemerken, wie ungerecht er gewesen war, welche Schicksale er zerstört hatte."

Erst spät, viele Jahre nach dem Tod seines Vaters stieß der Autor bei seinen Nachforschungen über das Wirken seines Vaters im "Dritten Reich" auf das Lager Dora bei Nordhausen im Harz. Erst nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten geriet das letzte große Waffen- und Munitionswerk in den Blick der breiten Öffentlichkeit.

Zu Lebzeiten erzählte der Vater nach und nach zwar Geschichten und Anekdoten aus der Vergangenheit - aber nur solche, die die Momente des Glücks und des Erfolgs enthielten. Der Sohn wiederum traute sich nicht, nach den anderen Dingen zu fragen. Gleichwohl enthüllt sich ihm dann mit der Zeit die ganze schlimme Wahrheit. Ob der Vater seine Taten bereut und sich ihrer geschämt hat, hat sich der Sohn oft gefragt, aber darauf nie eine Antwort erhalten. Auch nach Hitlers Selbstmord und der Kapitulation ließ der Vater nicht den geringsten Zweifel an der Größe des "Führers" zu. "Der Ehrgeiz meines Vaters ist so groß, dass er auch noch 1945 an den Endsieg glaubt." Speer hat ihn einmal als "schreckenerregenden Mann" charakterisiert.

Zwischendurch vergleicht sich der Sohn mit seinem Vater, zieht Parallelen, stellt Vergleiche an und ist darauf bedacht, sich von ihm abzugrenzen und sich anders zu verhalten gegenüber seiner Familie und seiner Umwelt. Nebenbei schildert er den Werdegang des Vaters und seine anfängliche Karriere bei Thyssen und die spätere unter Hitler.

Schon 1931 tritt Saur in die NSDAP ein und lernt Todt kennen, den Leiter des Hauptamtes für Technik in der Reichsleitung der NSDAP in Essen, wo Karl-Otto Saur später hauptamtlich arbeitet. Im Februar 1942 verunglückt Todt mit seinem Flugzeug tödlich, und Adolf Hitler beauftragt Speer, das Rüstungsministerium, das bis dahin Todt innehatte, zu übernehmen. Trotz aller Trauer um Fritz Todt, der für ihn eine Vaterfigur war, überträgt Karl-Otto Saur seine Solidarität sofort auf Speer, um so dem engsten Kreis der Machthaber nahe zu bleiben oder noch näher zu kommen. Nie hätte er es gewagt, eine Entscheidung Hitlers in Frage zu stellen. So steigt er auf zum hochdekorierten Staatssekretär im NS-Rüstungsministerium und designierten Albert-Speer-Nachfolger. Am 15. Mai 1945 wird Saur von den Amerikanern in Gefangenschaft genommen, aus der er im Juli 1948 entlassen wird. Bei den Entnazifizierungsverfahren wird er als Mitläufer eingestuft.

Die ersten Erinnerungen von Michael Saur führen in ein Dorf am Rande des Allgäus, wo die Familie damals wohnte. Der Vater arbeitete als Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung und kam nur am Wochenende nach Hause. Er war, schreibt Michael Saur, der Sohn eines autoritären Mannes, der sich auf beinahe lächerliche Weise Adolf Hitler verschrieben hatte, der in seinem Arbeitsumfeld als Despot bekannt und gefürchtet war. Er stand Hitler bis zuletzt loyal zur Seite, war aber nach dem Krieg gezwungen, dies nach Kriegsende wie ein Geheimnis zu hüten. Er war, befindet der Autor, ein bürokratischer Karrierist, ein "Anti-Speer", ein fleißiger Arbeiter an zweifellos wichtiger Stelle. Unbarmherzig ins Gericht geht der Enkel mit dem Großvater, den er persönlich gar nicht kennen gelernt hat, denn als Michael 1967 auf die Welt kommt, ist dieser gerade ein Jahr tot.

"Er stand in Hitlers Testament" ist zweifellos ein bemerkens- und lesenswertes Buch, das die bisher erschienenen Werke von Nachkommen der Nazitäter um einige wichtige Perspektiven ergänzt. Leider haben Autoren und Verlag, trotz der vielen Bücher und Personen, die in dem Band erwähnt werden, auf Literaturhinweise und Register verzichtet.


Titelbild

Michael Saur / Karl Otto Saur (Hg.): Er stand in Hitlers Testament. Ein deutsches Familienerbe.
Econ Verlag, Berlin 2007.
240 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783430200264

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