Wahnsinnsfrauen

Claudia Hauser geht der Literarisierung 'weiblicher' Psychopathologien in Texten deutscher Autorinnen zwischen Spätaufklärung und Fin de Siecle nach

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Frauen gelten misogynen Männern oft nicht nur als das wahnsinnige Geschlecht, sogar von der "Krankheit Frau" war schon die Rede. Natürlich ist es barer Unsinn zu behaupten, dem weiblichen Geschlecht anzugehören sei pathologisch. Kein Unsinn ist allerdings, dass 'weiblicher Wahnsinn' immer wieder literarisiert wurde - und das nicht zuletzt von Frauen.

Eine jüngst erschienene literaturwissenschaftliche Arbeit geht anhand von zehn Romanen und Novellen acht deutschsprachiger Autorinnen solchen Literarisierungen zwischen der Spätaufklärung und dem Fin de Siecle nach. Unter den schreibenden Frauen, deren Werke hier betrachtet werden, befinden sich so unbekannte Literatinnen wie Eleonore Sophie Auguste Thon oder die fast ausschließlich als Publizistin bekannte Louise Otto. Aber auch Therese Huber, Louise Aston oder die zur Zeit durch die Herausgabe einer Gesamtausgabe gewürdigte Feministin Hedwig Dohm muss man nicht missen.

Verfasst wurde die vorliegende Studie von Claudia Hausser, und erschienen ist sie unter dem Titel "Politiken des Wahnsinns". Ziel der Arbeit ist es, anhand der Texte die in diesen Zeitraum fallende Vorgeschichte der nicht zuletzt in den 1970er- und 1980er-Jahren, also während der zweiten Welle der Frauenbewegung, oft vertretene "Kopplung" von weiblichem Widerstand und 'weiblichem Wahnsinn' zu untersuchen. Mit Hilfe einer "konsequente[n] Historisierung" des zweiten Topos werden die "Möglichkeiten und Grenzen" der Kopplungsthese auf den Prüfstand gestellt, um so - dies das eigentlich Anliegen Hausers - einen Beitrag zur "Revision feministischer Lesarten weiblichen Wahnsinns" zu leisten. Das Vorhaben ist mit dem "grundsätzlichen Anspruch" verbunden, die Geschichte des weiblichen Wahnsinns als Topos - oder genauer gesagt "die Geschichte seiner 'Topoisierung'" - zu beleuchten. Hierzu nimmt die Autorin seine "Konstruktion im diskursiven Feld und sein Verwoben-Sein im kulturellen Kontext" sowie seine "sich wandelnden Semantisierungen und literarische Inszenierungspraktiken" in den Blick. Wie Hauser darlegt, steht die "spezifische und distinktive Weise", nach welcher der Topos des 'weiblichen Wahnsinns' "funktioniert", in unmittelbarem Zusammenhang mit den "Vorstellungen, Zuschreibungen und Traditionen, die Weiblichkeit als diskursiven Effekt hervorbringen". Somit umschreibt die "Fügung 'weiblicher Wahnsinn'" in Hausers Studie nicht nur "das formale Arrangement 'Psychopathologie an weiblicher Figur'". Vielmehr steht sie zudem für eine "selbständige Tradition weiblichen Wahnsinns" jenseits der des allgemein gefassten Irreseins, die gleichwohl "auf vielfältige Weise" mit diesem verbunden ist. Hauser versäumt auch nicht darauf hinzuweisen, dass die "Geschlechterordnung des Wahnsinns" mit ihrer Unterteilung in "weiblich-körperliches" und "männlich-geistiges" 'Irresein' "die Kataloge der dichotomisch angelegten Geschlechtscharaktere und deren implizite Wertungen beleiht". Ein kurzer Hinweis auf Tasso und Ophelia genügen ihr, um dies offenkundig werden zu lassen.

Die titelgebenden "Politiken des Wahnsinns" werden nun in dreifacher Hinsicht untersucht. Zunächst geht Hauser ihrer Funktion bei der historischen Genese des von den Wissenschaften betriebenen Konstrukts eines 'weiblichen Wahnsinns' nach. Sodann untersucht sie die "Intentionen, die sich in der Aktualisierung des Topos abzeichnen". Ausgangspunkt ist hier die Hypothese, dass der Topos dazu dient, Weiblichkeit überhaupt zu "verhandeln" und er in der Zeit von der Spätaufklärung zum Fin de siècle zunehmend für die Diskussion um die 'Frauenfrage' in Anspruch genommen wurde. Da "Repräsentation und Inszenierung an eine 'Politik des Textes' rückgebunden werden können", erlaube der von ihr gewählte Fokus schließlich auch eine "Annäherung an textuelle Phänomene". So zielt ihre Analyse von Politiken des Wahnsinns letztendlich darauf, die literarischen Texte "auf die Möglichkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit dem dominanten Wissen um weibliche Schwäche, Reizbarkeit und um die Nähe der Frau zur Psychopathologie und den entsprechenden Repräsentationsstereotypen weiblichen Wahnsinns zu untersuchen" und die Frage zu beantworten, wie deren Autorinnen "Wissensvorräte und kulturelle Stereotypien über die Frau" behandeln. Repetierten sie das "dominante Wissen um Wahnsinn und Weiblichkeit und die entsprechende Repräsentationskonventionen" - oder lässt sich vielmehr ein "subversiver oder transgressiver Umgang" mit dem hegemonialen Diskurs über Weiblichkeit ausmachen? An Judith Butler anschließend, versteht (und propagiert) die Autorin unter dem Konzept der Subversion ein Drittes "zwischen Unterwerfung und Opposition", das, so führt sie aus, einen Ausweg aus der "Falle der feministischen Repressionsthese" einerseits wie auch aus der "romantisierenden Deutung" des 'Weiblichen Wahnsinns' als "Form offenen Widerstands" andererseits bieten könne.

Als "zentrale Tendenz" des untersuchten Textkorpus in der zur Frage stehenden Entwicklung zeigt die Autorin einen Wandel auf, der von der "moralischen Befrachtung" des Wahnsinnstopos etwa bei Karoline von Woltmann ("Wahnsinn und Liebe") und Caroline de la Motte Fouqué ("Roderich" und "Die blinde Führerin"), zu seiner Politisierung und insbesondere zu seiner Funktionalisierung für eine Kritik an der "Beschränkung und Repression der Frau" führt, für die Gabriele Reuters Roman "Aus guter Familie" (dessen kommentierte Neuausgabe von 2006 Hauser leider nicht mehr für die Untersuchung heranziehen konnte) und Hedwig Dohms Novelle "Werde, die du bist" stehen.


Titelbild

Claudia Hauser: Politiken des Wahnsinns. Weibliche Psychopathologie in Texten deutscher Autorinnen zwischen Spätaufklärung und Fin de siècle.
Georg Olms Verlag, Hildesheim 2007.
412 Seiten, 42,00 EUR.
ISBN-13: 9783487133942

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