Vati, Du Dreckschwein

Der Ausnahmeschriftstellerin Silvia Plath zum 75. Geburtstag

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Wie die Literaturwissenschaftlerin Christine Kanz vor einigen Jahren feststellte, gehört Silvia Plaths ursprünglich unter dem Pseudonym Victoria Lucas publizierter Roman „Die Glasglocke“ zu den Standardwerken jeder feministisch orientierten Bibliothek. Das kann man nur unterstreichen. Und vielleicht anmerken: Dieses Buch über ein erfolgsverwöhntes all american girl, das im ’schwarzen Sommer‘ des Jahres 1953 eine Reihe von Fehlschlägen erleidet und nach einem Nervenzusammenbruch in eine psychiatrische Heilanstalt eingewiesen wird, sollte überhaupt in keiner Bibliothek fehlen, die etwas auf sich hält. In allzu vielen zumindest der öffentlichen Bibliothek wird man es wohl auch tatsächlich nicht vergeblich suchen, handelt es sich doch um das bekannteste erzählerische Werk der amerikanischen Schriftstellerin.

Plath lässt die 20-jährige Protagonistin Esther Greenwood mit ironischer, ja oft satirischer Leichtigkeit von ihren Missgeschicken, kleinen und großen Schicksalsschlägen und vor allem von ihrem Ringen mit den Rollenerwartungen erzählen, denen sich eine junge amerikanische Frau in den 1950er-Jahren zu unterwerfen hatte. Diese Leichtigkeit und der, wie Ingeborg Bachmann schreibt, „kaum glaubliche Humor“ des Romans sind umso bewundernswerter als der Werdegang der Protagonistin sich zunehmend verdüstert, abgesehen von einem kleinem Lichtblick am Ende des Buches. Und sie ist mehr als nur verblüffend, trug sich Plath während der Arbeit an dem Werk doch ebenso wie ihre Protagonistin mit Todeswünschen, die sie dann anders als diese nicht lange nach Erscheinen des Romans gerade mal 30-jährig erfolgreich realisierte.

Weniger bekannt als ihr Roman sind Plaths Erzählungen und Kurzgeschichten. Dabei stehen sie der „Glasglocke“ durchaus nicht nach und so konnte sich ihre Autorin zurecht bereits als 17-Jährige über eine erste Veröffentlichung freuen. Etliche ihrer Erzählungen wurden später in zahlreiche Sprachen übersetzt. So liegt etwa ihr Erzählband „Johnny Panic and the Bible of Dreams“ unter dem Titel „Zungen aus Stein“ auch in deutscher Sprache vor.

Nicht die Erzählungen, sondern zwei der Lyrik der Beat-Generation zugerechnete Gedichtbände tragen neben der „Glasglocke“ zu Plaths ebenso anhaltendem wie berechtigtem Ruhm bei: „The Colossus“ und mehr noch der 1965 postum erschienene Band „Ariel“, der sich in den ersten Jahren nach seinem Erscheinen für einen Lyrikband außergewöhnlich gut verkaufte. Und man darf sagen, dass er auch heute immer noch seine KäuferInnen und LeserInnen findet.

Plath schrieb nicht nur wie viele ihrer schriftstellernden Geschlechtsgenossinnen in der Küche, sondern auch über sie. Abgeschnittene Fingerkuppen sind ebenso Thema ihrer ‚Küchen‘-Lyrik wie etwa das besondere Aroma, das sich ergibt, wenn sich der Duft von Bratkartoffeln mit den Ausdünstungen von ungewaschenen Windeln mischt.

Doch nicht nur die kritische Auseinandersetzung mit dem leidigen Dasein als Hausfrau und Mutter zieht sich von ihrer frühen Lyrik bis hin zu den in ihren letzten Lebensmonaten verfassten so genannten „Schockgedicht“, sondern ebenso die immer wieder thematisierten Ängste und die Todessehnsucht der Autorin. Hinzu tritt in den Gedichtbänden eine Abrechnung mit ihrem Vater. So etwa in „Vati“, dem wohl bekanntesten Gedicht des Bandes „Ariel“. „Vati, Vati, Du Dreckschwein. Ich hab’s überstanden“, lautet eine seiner aggressiven Zeilen.

Wurden „Die Glasglocke“ und der Gedichtband „Ariel“ in den literarischen Kanon aufgenommenund werden die Erzählungen ebenso wie – wenngleich in geringerem Maße – wohl auch die „Tagebücher“ und ihr „Briefe nach Hause“ immer noch gelesen, so istgeradezu unbekannt, dass Plath auch ein Kinderbuch verfasst hat: „The it-doesn‘t-matter-suite“.

Gedenktage sind für Verlage stets ein willkommener Anlass, ihre AutorInnen in Erinnerung zu rufen und auch schon mal eines ihrer vergessenen Werke auf den Markt zu bringen. In diesem Monat hätte sich dem Piper Verlag Gelegenheit dazu geboten. Am 27. Oktober wäre seine Autorin Silvia Plath 75. Jahre alt geworden.