Der Affe, der sich an mir festkrallt

Über die Dialektik der Anpassung in Gene Luen Yangs graphic novel-Parabel "American born Chinese"

Von Fabian KettnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Kettner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Affenkönig ist zwar ein Gott, ist aber nicht zur großen Götterparty eingeladen. Er erscheint trotzdem, doch die Wache lässt ihn nicht ein: Er möge zwar formal dazugehören, bleibe aber immer noch ein Affe. So beginnt Gene Luen Yangs graphic novel, und die Problematik ist damit bereits erklärt: Wie kann man dazugehören, wenn man anders ist? Kann man es überhaupt? Für seine Erörterung - und vielleicht auch Beantwortung - dieser Frage wurde Lang hoch gelobt. Er wurde Finalist beim "American Book Award" und gewann den "Michael L. Printz Award for Excellence in Young Adult Literature" von der "American Library Association".

Yang verfolgt abwechselnd drei Erzählstränge. Jin Wang und Danny haben die gleichen Probleme wie der Affenkönig. Jin Wang ist ein Kind chinesischer Einwanderer. Er wurde in den USA geboren, wuchs die ersten Jahre seines Lebens in der Nähe von San Franciscos Chinatown auf und gelangte erst im Alter von neun Jahren in eine ,normale' amerikanische Umgebung. Man lässt ihn nicht dazugehören, aber er will Amerikaner sein. Hierzu hält er sich von der einzigen weiteren Asiatin in seiner Klasse fern und will auch mit dem später hinzukommenden Wei-Chen Chun nichts zu tun haben. Er meidet, was ihn an den eigenen Makel erinnert. Aber aus der Misere heraus, dass der eine kulturelle Kontext die beiden Jungen verbindet und der andere sie ausschließt, freunden sie sich doch an.

Danny ist ein typischer amerikanischer Jugendlicher, er hat nur ein Problem: seinen Cousin Chin-Kee, eine grotesk stereotypisierte Karikatur eines Chinesen in traditioneller Kleidung und mit langem Zopf. Er sagt "R" statt "L" und "L" statt "R". Sein Gesicht besteht nur aus Grinsen, wodurch von seinen Augen nichts außer Schlitzen zu sehen ist und seine Hasenschneidezähne noch kräftiger hervorstehen. Er ist laut, aufdringlich, lächerlich und ein Streber. Das Übertriebene dieser Geschichte hat Yang dadurch noch gesteigert, dass er Panels mit Lachern wie aus einer Sitcom unterlegte. Einmal im Jahr kommt Chin-Kee zu Besuch, geht ein bis zwei Wochen mit Danny zur Schule, bis dieser für alle anderen nicht mehr Danny ist, sondern bloß noch Chin-Kees Cousin - also Exemplar einer Gattung.

Alle drei versuchen, ihr Problem zu lösen. Der Affenkönig trainiert magisches Kung Fu, überwindet sich immer wieder, um kein Affe mehr zu sein. Denen, die dies immer noch nicht einsehen, kann er, durch Kampfkunst unbesiegbar geworden, einprügeln, dass er kein Affe, sondern ein großer Weiser, gleich dem Himmel, sei. Doch die oberste Gottheit Tze-Yo Tzuh kann er nicht überwinden. Denn Tze-Yo Tzuh ist "der, der ist": Seinem Sein kann der Affenkönig nicht entkommen. Tze-Yo Tzuh setzt den Affenkönig fest, und dieser kommt erst wieder frei, nachdem er all das abgelegt hat, wodurch er kein Affe mehr sein wollte.

Die drei Erzählstränge werden am Ende zusammengeführt. Danny erweist sich als überassimilierter Chinese, der in Gestalt seines Cousins seine Herkunft, die ihn immer wieder einholt, bekämpft. In einem allegorischen Kampf merkt er, dass er ihn nicht besiegen kann, es sei denn, er tötet ihn. Was ihm als Kind eine alte chinesische Kräuterfrau mit auf den Weg gab - "Du kannst alles erreichen, wenn du deine Seele verkaufst." - das hat sich erfüllt. Der Affenkönig rät Danny zu erkennen, "wie gut es ist, ein Affe zu sein."

Akzeptiere, was ist, wie es ist. Du kannst dich dagegen auflehnen, so sehr du willst - du bleibst, was du bist. Füge dich, und du wirst zufrieden sein. Das ist ebenso grundfalsch und gefährlich, wie es leider wahr ist. Erstens stimmt nicht, dass man sich nicht verändern kann. Zum zweiten ist von größerer Bedeutung, ob die eigene Umwelt die Möglichkeit gibt, anders zu sein. Zum dritten ist es noch wichtiger, eine Umwelt zu haben, in der man anders sein kann, weil die Andersartigkeit zwar weiterhin wahrgenommen, aber toleriert wird.

"American born Chinese" ist ein schöner Comic, er ist schön, klug, einfühlsam, sensibel, witzig und traurig zugleich, gut beobachtet und noch besser umgesetzt. Sein Problem besteht nur darin, dass er in Partien einen differenztheoretischen kulturalistischen Rassisten (sei's der altbekannt rechtsextreme, sei's der links-multikulturelle) ebenso anspricht wie den kritischen Dialektiker. Man könne seiner Abstammung nicht entkommen und sollte daher nicht die Sünde begehen, es zu versuchen - ist dies die Moral? Oder die Trauer darüber, dass noch das Anders-sein-Wollen den Stempel seiner Herkunft trägt, desto mehr, je verzweifelter man es will? Demütiger Dienst am Sein - oder kritische Reflexion auf die Herkunft, um sich dadurch besser von ihr distanzieren zu können? Mehrdeutigkeit und Unbestimmtheit, so heißt es, ist das Privileg der Kunst. Aber hier besteht das Problem darin, dass der Comic zu viele gefährliche Ansichten befördern könnte.


Titelbild

Gene Luen Yang: American born Chinese.
First Second Books, New York 2007.
235 Seiten, 12,06 EUR.
ISBN-13: 9781596431522

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