Cassoulet statt Kimchi

Birgit Vanderbekes bunte Hexenküche

Von Nicole SchmidtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nicole Schmidt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit einem "Muschelessen" hat sie vor etwa zwei Jahrzehnten angefangen, die sonderbare Karriere der Birgit Vanderbeke, die nicht nur von einem eigenen, mutigen Schreibstil, sondern auch von phantasiereicher Themenauswahl und dem Ortswechsel aus der ehemaligen DDR über die Bundesrepublik nach Südfrankreich geprägt wurde.

Neben Beobachtungen zu gesellschaftlichen Themen wie Kindererziehung ("Gut genug") oder Liebesbeziehungen ("Alberta empfängt einen Liebhaber") sowie einer abgründigen Jugendrebellions-Komödie ("Sweet sixteen") hat die Autorin auch ihr Interesse am Kochen von Jahr zu Jahr ausgeweitet.

Ihre "Gebrauchsanweisung für Südfrankreich" bietet nicht nur amüsant aufbereitetes Insiderwissen für temporär oder längerfristig "Zugezogene", sondern auch zahlreiche Rezepte und Kochtipps für exotische Trüffel- und andere Gerichte. Seit 2006 wird noch kräftiger aufgetischt: "Schmeckt's? Kochen ohne Tabu" vereint Wachteln in der Papillote mit Schneckenspießen, Froschschenkeln, Krakenragout und anderen Delikatessen der französischen Küche, die uns auf der anderen Seite der Grenze wie verrückte Experimente mit Essbarem im Vergleich zur Kartoffelküche erscheinen, die wir - ganz weltoffen, wie wir meinen - neuerdings mit Pasta, Chutney und Sushi kombinieren.

In ihrem neuen Werk "Die sonderbare Karriere der Frau Choi" hat Birgit Vanderbeke versucht, die Handlung eines Romans mit den Eigenheiten der koreanischen Küche zu verrühren. Dabei herausgekommen ist ein südfranzösischer Eintopf, ein Cassoulet, dessen Geschmack durch zu viele Zutaten verdorben wird. Man hat den Eindruck, die Autorin ist zu lange über den Wochenmarkt der Ideen geschlendert und hat sich diesmal bei der Auswahl als zu wenig wählerisch erwiesen. Mit voll gepacktem Korb ist sie nach Hause gekommen und hat versucht, in einem großen Mahl alles unterzubringen, was sie da an Kuriositäten entdeckt hat. Das genau verdirbt beim Lesen den Appetit, denn je länger man liest, desto mehr fragt man sich, auf welche Geschmacksrichtung die vielen kleinen Häppchen eigentlich abzielen. Auch der Hauptgang ist unter all den überraschend kombinierten Beilagen nicht mehr auszumachen. Geht es hier um eine Kriminalgeschichte, um Globalisierungskritik, um südfranzösische Eigenheiten, seltene Falter und Pflanzenarten, alte Mythen und Legenden, oder um koreanische Architektur, östliche Philosophie - oder gar um das alte Verhältnis der Geschlechter in einer veränderten Welt? Als gute Köchin hat Frau Vanderbeke alles irgendwie zusammengemischt und mit viel Ironie und Humor dafür gesorgt, dass dem Leser der viel zu bunte Eintopf nicht im Halse stecken bleibt. Als vortreffliche Köchin jedoch hätte sie einiges davon eingemacht und später verwertet, statt einem einzigen Roman durch zu viele Zutaten die Würze zu nehmen. Der Nachgeschmack ist ein schaler.

Frau Choi, eine Koreanerin, kommt in einen abgelegenen südfranzösischen Ort und lässt dort die alte Seidenspinnerei zu einem koreanischen Restaurant umbauen, das sie zur Überraschung aller schnell nicht nur erfolgreich, sondern beispiellos beeindruckend führt. Nebenbei bepflanzt sie einen alten Pflaumenhain mit geheimen essbaren und nicht essbaren, giftigen und ungiftigen Kräutern, Früchten und Pilzen. Nur Frauen gewährt sie zu diesen Geheimnissen Zugang, Frauen wie der alten Mathilde von der Schäferei oder Yolande, der Autorin eines kleinen Büchleins über alte Legenden von Weißen Frauen und Werwölfen in dieser noch sehr ursprünglichen und unverfälschten Gegend Frankreichs.

Dann beginnen die Männer zu sterben - der alte Bürgermeister mit dem Bluthochdruck, dessen Frau lange schon nicht mehr das Bett mit ihm teilen wollte, dann Marc, der Ex-Liebhaber von Marie-Ange, der sie verfolgt und bedroht (hier spielt Birgit Vanderbeke mit einigen Worten sehr schön auf den Trendbegriff Stalking an, ohne ihn explizit zu erwähnen). Es folgt ein unangenehmer Kollege einer ehrgeizigen Pilzeforscherin, die zufällig während ihres Urlaubs Bekanntschaft mit Frau Choi und ihrer unvergleichlichen koreanischen Kochkunst gemacht hat, und spätestens dann ahnt man, dass auch der Tod des Mannes von Frau Choi selbst kein zufälliger war.

Und das ist (vielleicht) der Haupt-Handlungsstrang dieses Buches, das uns noch viele andere Personen in kurzen Skizzen vorstellt, den Geflügelzüchter Alphonse, Yves und seine Eltern, die Bürgermeistergattin Odile, den Kellner Matthieu, den Architekten Eric und all die anderen Bewohner des Ortes, in dem Frau Choi ankommt, um alles zu verändern. Die Figuren an sich sind der Autorin wie üblich gelungen. Sie hat ein seltenes Talent dafür, eine Person mit nur wenigen Sätzen zu charakterisieren und für die Imagination des Lesers viele klug angelegte Leerstellen zu lassen. Der Personen Eigenheiten, die bei Vanderbeke meist eher typisch als wirklich eigen sind, werden von ihr mit gängigen und doch ausgesuchten Wörtern so angedeutet, dass jeder weiß, was gemeint ist. Da gibt es Spezialisten für Pilze, für Falter, für Mythen, für Computerprogramme - und sie alle werden in raschen Strichen entworfen von einer Autorin, die Spezialistin darin ist, Klischees zu benutzen, um sie dann selbst mit Ironie zu unterwandern. Doch sie nutzt diese Begabung hier nicht, denn statt daraus ein glaubwürdiges Ensemble von Personen im Hintergrund zu formen, ein stimmiges Milieu aus den Bewohnern des südfranzösischen Örtchens zu bilden, erzählt sie uns noch mehr von all diesen Leuten, zuviel, wie man bald merkt. Denn wer will wissen, warum die Engländerin, mit der Marie-Anges Ex-Liebhaber eine Affäre hatte, ihn sitzen ließ? Durch welches Computerprogramm sich der Sohn von Yves und Yolande sein Taschengeld verdient und welche Vorteile beim Entwerfen von Flyern es bietet? Wofür genau die Architektur des koreanischen Architekten Itami Jun berühmt ist? Worüber Koryphäen der modernen Forensik streiten und wie der Orellanin-Test nach Pöder und Moser durchgeführt wird? Welche Verbindungen dazu führen, dass eine Gesellschaft von Entomologen und Pflanzenkundlern eine Internet-Initiation für Frauen anbietet? Was es mit dem Widerstand in Südfrankreich gegen das Militär auf sich hat? Wie das alles mit der Fußballweltmeisterschaft und dem 2002 nicht eingesetzten "Zizou" zusammenhängt?

Dies alles und noch viel mehr wird kurz angerissen - um abzulenken? Zu verwirren? Es wird nicht klar, welche Absicht die Autorin damit verfolgt.

Viele Male erwähnt sie die eindrucksvolle Fülle des nach koreanischem Stil leeren Raumes hinter dem Restaurant von Frau Choi, in dem geheime Dinge besprochen und behandelt werden. Sie selbst hat es leider nicht verstanden, dieses fernöstliche Prinzip umzusetzen. Denn ihr Buch ist überfüllt und wirkt dadurch flach und leer. Spannung wird aufgebaut, um ohne jede Erklärung ins Leere zu verpuffen, und Handlungsstränge werden durch Kleinigkeiten ohne jede symbolische Bedeutung verknüpft und könnten genauso gut einfach nebeneinander her laufen, da kein Gesamtkunstwerk daraus entsteht.

Ihren "Sie wissen ja, was ich meine, ich erzähle Ihnen da sicherlich nichts Neues"-Erzählstil hat die Autorin schon vor langer Zeit gefunden und noch verfeinert, das zeigt sie in diesem Buch aufs Neue. Noch besser, noch lässiger ist sie geworden, von sich selbst überzeugter und dadurch überzeugender. Denn wieder fügt sie gekonnt gängige Klischees, einen schnellen Erzählrhythmus, einen eigenen Humor, eindringliche Wiederholungen und Gedankensprünge zu einem temporeichen, sehr eigenen, pointierten Stil zusammen, der auch vor kleinen Ausflügen in wissenschaftliche Themenbereiche mit satirischen Spitzen keine Angst hat. Doch auch diese Könnerschaft macht aus dem Buch noch kein gelungenes Lesevergnügen, man ist zu satt von den vielen Vorspeisen und am Ende zu enttäuscht vom fehlenden Hauptgericht, um sich an der Erzählkunst zu erfreuen.

Hier hat eine erfahrene Köchin mit eigenem Stil versucht, ihre Küche zu globalisieren - und ist gescheitert.


Titelbild

Birgit Vanderbeke: Die sonderbare Karriere der Frau Choi.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
123 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783100870865

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