Akribische Quellenstudie

Othmar Plöckinger hat die Entstehungs-, Publikations- und Rezeptionsgeschichte von Adolf Hitlers "Mein Kampf" untersucht

Von Kurt SchildeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kurt Schilde

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Buch "Mein Kampf" von Adolf Hitler ist ein "Symbol des Nationalsozialismus", über das relativ wenig bekannt ist. Nun bringt der Salzburger Gymnasiallehrer Othmar Plöckinger Licht in die bisher dunkle Entstehungsgeschichte, informiert über die komplexe Publikationsgeschichte und geht auf die Rezeptionsgeschichte im In- und Ausland ein. In dem ambitionierten Unternehmen geht es dem Autor vor allem um die Infragestellung gängiger Ansichten vom ungelesenen und unbeachteten Bestseller - wie auf dem Umschlag seiner voluminösen Studie hervorgehoben wird und um die Geschichte des Mythos "Mein Kampf". Plöckinger hat eine akribische Quellenrecherche hinter sich bringen müssen. Er stützt sich im Wesentlichen auf zeitgenössische Quellen, Unterlagen aus der Zeit nach 1945 wurden erst in zweiter Linie berücksichtigt.

Im ersten großen Abschnitt wird die komplexe Entstehungsgeschichte beleuchtet: Nachdem zunächst auf die Vorstufen und Vorarbeiten Hitlers eingegangen wird, referiert Plöckinger ausführlich die Entstehung des ersten Bandes. Dieser entstand wesentlich in der Festung in Landsberg, in der Hitler nach dem gescheiterten Putsch am 9. November 1923 einsaß. Als er die Festung im Dezember 1924 verließ, "muss er über ein Manuskript verfügt haben, das weit über ein Konzept hinausging, in vielen Teilen bereits druckfertig war." Genau weiß das bis heute offenbar niemand, denn Originalmanuskripte der Endfassung - auch nicht des zweiten Bandes - scheint es nicht mehr zu geben. Eine Veröffentlichung wurde immer wieder hinaus geschoben, bis der erste Band im Juli 1925 in den Handel kam.

Der Titel "Mein Kampf" ist wohl eher ein "Zufallsprodukt". Der ursprüngliche Titel war "4 1/2 Jahre Kampf gegen Lüge, Dummheit und Feigheit. Eine Abrechnung von Adolf Hitler", wie eine frühe Ankündigung des Franz Eher Nachf. Verlag ausweist. (Die Phrase ;4 1/2 Jahre Kampf' war eine zeitgenössische Chiffre für den Weltkrieg.) Der Inhalt des Buches spielt bei Plöckingers Betrachtungen keine große Rolle: Ursprünglich als politische Abrechnung konzipiert, sollte Hitlers Buch bald autobiografisch angelegt werden und wurde schließlich eine Mischung von beidem - eine politisch-biografische Schrift. Das Erscheinen des zweiten Bandes verzögerte sich ebenfalls, aber auch dies ist aufgrund der Quellenlage schwierig zu rekonstruieren. "Mein Kampf", Teil 2 erschien im Dezember 1926 und verkaufte sich im Vergleich zum ersten Buch nur sehr schwer. Nur mit diesem zusammen stieß es überhaupt auf Interesse.

Die komplizierte Publikationsgeschichte stellt Plöckinger im zweiten Kapitel dar, indem er vergleichend Alfred Rosenbergs "Mythus des 20. Jahrhunderts" heranzieht. Der Verkaufspreis des ersten Bandes lag mit 12 Mark relativ hoch: "Auf eine breitere Leserschaft kann bei dem Preis kaum spekuliert worden sein." Die erste Auflage mit 9.473 Stück verkaufte sich gut, es folgte bald die zweite und dann gab es einen Einbruch, bis 1933 die Verkaufszahlen in die Höhe schnellten. Alle Ausgaben zusammengenommen ergibt sich mit der letzten nachweisbaren Auflage von 1944 eine Gesamtzahl von 12.450.000 gedruckten Exemplaren. Unklar bleibt, ob die zahlreichen fremdsprachigen Versionen darin enthalten sind. Leider enthält das Buch keine Aufstellung der Ausgaben von "Mein Kampf".

Der dritte abschließende Teil bildet den Schwerpunkt der Untersuchung Plöckingers. Er umfasst zwei Drittel des Buches und dient der Ausbreitung der Rezeptionsgeschichte im In- und Ausland. Es wird ausführlich auf die publizistische Beschäftigung mit "Mein Kampf" beziehungsweise das Nichtbehandeln eingegangen - in Gerichtsprozessen, allgemeiner, christlicher und jüdischer Publizistik sowie in völkischen und nationalsozialistischen Organisationen und politischen Parteien. Beispielhaft sei eine Besprechung des ersten Bandes in der jüdischen Presse aus dem Jahr 1925 zitiert: "Man legt Hitlers Buch mit einem Gefühl der Befriedigung beiseite: Solange die völkische Bewegung keine anderen Führer an ihre Spitze zu stellen weiß, solange werden noch manche Wasser ins Meer fließen, bis sie im Land der Dichter und Denker siegen wird." Diese Unterschätzung ist nicht die Einzige gewesen. Auch im sozialdemokratischen "Vorwärts" stand 1924 ähnliches, zum Beispiel "politisch ist Adolf Hitler keine Gefahr mehr." Am 30. Januar 1933 stellte sich bekanntlich der Irrtum heraus, als der Verfasser von "Mein Kampf" zum Reichskanzler ernannt wurde.

Der Autor hat auf eine Zusammenfassung seiner wichtigen Studie verzichtet. Die kurzen Resümees der Kapitel sind nur ein unzureichender Ersatz. Der Gebrauchswert der Untersuchung liegt in der auf akribischem Quellenstudium basierenden Darstellung der Geschichte der wichtigsten Referenzschrift des Nationalsozialismus. Es werden bislang unbekannte und teilweise von Legenden überlagerte Zusammenhänge aufgedeckt. Ein Namensregister erleichtert das Arbeiten mit der elementaren Untersuchung.


Kein Bild

Othmar Plöckinger: Geschichte eines Buches: Adolf Hitlers „Mein Kampf“. 1922-1945. Eine Veröffentlichung des Instituts für Zeitgeschichte.
Oldenbourg Verlag, München 2006.
632 Seiten, 49,80 EUR.
ISBN-10: 3486579568
ISBN-13: 9783486579567

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch