Der Sturm

Simon Beckett versetzt seinen Helden auf eine mythische Insel

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine Insel, ein Sturm, ein unerhörtes Ereignis, ein Held - die Zutaten für eine mythisch angehauchte Story sind relativ einfach und in der Geschichte des Erzählens immens beliebt. Sturm und Insel zeigen immer eine Welt an, in der alles anders geschieht als gewohnt und in der der Held der Erzählung besonderen Prüfungen unterzogen wird. Zugleich gibt aber die Sturm- und Inselausstattung dem Autor die Möglichkeit, seine Helden in eine Art Experimentalsituation zu versetzen und zu schauen, was die armen Leute denn anstellen, wenn sie mit einem Mal von allem abgeschnitten sind, was sie sonst so gewöhnt sind und gerne um sich haben: Die Freundin im fernen London, den Polizeipräsidenten auf dem Festland, Hilfe und vor allem das gute neue Hightech-Labor, das dem Forensiker von Rang ja erst seine wahre Macht verleiht. All die Hilfstruppen eben, die dem modernen Menschen zur Verfügung stehen und die ihn davon ablenken, dass er - allein auf sich gestellt - ganz schön hilflos sein kann.

David Hunter wird einer solchen quasi-göttlichen Prüfung unterzogen, um sie selbstverständlich intellektuell bravourös, wenngleich körperlich derangiert zu bestehen - sowas weiß man vorher. Beckett geht freilich derart systematisch zu Werke bei der Inszenierung seines Ausnahmezustandes, dass es eine helle und zugleich einigermaßen entsetzte Freude ist, ihm dabei zuzusehen, wie er seinem Helden Gewalt antut und ihn seiner Hilfsmittel beraubt.

Die Eskalisierungsstrategie Becketts greift dabei von Anfang an: David Hunter ist auf dem Rückweg von einem Termin, als er gebeten wird, sich eine Leiche auf einer der abgelegenen Insel der äußeren Hebriden anzuschauen. Schon zu Beginn ist alles auf Extrem gestellt, denn Hunter wird nur geschickt, weil die Restpolizei alle Hände voll zu tun hat, um einen vermeintlichen Terroranschlag aufzuklären. Er kriegt einen unerfahrenen Constable, einen versoffenen und einen pensionierten Kriminalbeamten zur Seite gestellt, die jeder ihr Teil dazu beitragen werden, die Situation noch verworrener und schlimmer werden zu lassen. Hinzu kommt, dass der arme Hunter verschärften Ärger mit seiner Freundin hat, die seinen Umgang mit den Gemeuchelten misstrauisch beäugt und arg verärgert ist, als Hunter die Verzögerung seiner Rückkehr mitteilt. Es ist wieder eine Leiche, die ihn von der Heimat fernhält, und wieder mal eine, die auch ein anderer hätte "bearbeiten" können. Auf Leichen kann zwar niemand eifersüchtig sein, aber an der geistigen Stabilität eines Menschen zu zweifeln, der sich darin zu versenken versteht, sie in ihre Teile zu zerlegen, ist durchaus erlaubt. Gestehen wir es den unwilligen Freundinnen unserer Krimihelden zu. Immerhin stehen Paarbeziehungen, ja Liebe für das Gegenteil des Todes - auch wenn das dann oft zum Tode führt.

Dass sich der ganze Aufwand nicht wirklich lohnt, ist geschenkt, zumal es sich hier auf den ersten Blick um einen Unfall zu handeln scheint und nicht um einen Mord. Selbstverständlich findet Hunter schnell heraus, dass es sich doch um Mord handelt, aber die versprochene Hilfe kann nicht herbeieilen, weil der aufgezogene Sturm - nennen wir ihn Kyrill - sämtliche Verbindungen zum Festland kappt, per Telefon, per Funk und erst recht per Boot oder Helikopter. Klar ist auch, dass unser Mörder nur von der Insel stammen kann. Aber die Suche nach ihm gestaltet sich einigermaßen schwierig.

Denn Hunter ist kaum auf der Insel, als ihm nach und nach seine Beweisstücke, seine Instrumente und seine eigene körperliche Unversehrtheit abhanden kommen. Ja mehr noch, er nimmt ihm sogar seine Leichen, die ihm ja anzeigen, wer ihnen etwas angetan hat. Am Ende bleibt ihm eigentlich nichts mehr außer zu fragen. Der arme und enteignete Naturwissenschaftler ist also gezwungen, so zu agieren, als wäre er ein ganz normaler Fernsehpolizist und müsste sich durch Fragen, Spekulieren und Raten durch die kriminale Welt schlagen. Wer dahinter einer Art Destruktion des naturwissenschaftlich imprägnierten Forensiker- und Crime-Scene-Krimis sehen möchte, der hat wohl nicht ganz unrecht.

Allerdings gibt Beckett die Charakteristika des Forensiker-Genres nicht völlig auf. Es ist selbstverständlich der scharfe, vom naturwissenschaftlichen Denken geschulte Intellekt, der die Lösung des Geheimnisses findet, das sich auf dieser einsamen Insel verbirgt. Und die Auflösung ist - Beckett scheint hier in der Tat ein gelehriger Schüler des Dekontruktivismus zu sein - wiederum ein kleines Kabinettstückchen in Sachen Krimiplot und seinen Variationen.


Titelbild

Simon Beckett: Kalte Asche.
Wunderlich Verlag, Reinbek bei Hamburg 2007.
430 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783805208123

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