Kein Grund für Gott

Christopher Hitchens' Buch "Der Herr ist kein Hirte"

Von Martin SpießRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Spieß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ende Oktober sprach der Vatikan 498 Katholiken selig, die während des spanischen Bürgerkriegs getötet wurden. Die katholische Kirche hatte den spanischen Diktator Franco 1936 nicht nur zur Macht verholfen, sondern ihn bis zu seinem Tod 1975 gebilligt, wenn nicht gar unterstützt. Der Papst sagte nach der Zeremonie, die Märtyrer seien "ausschließlich von ihrer Liebe zu Christus" motiviert gewesen. Der Vatikan hatte die Toten zu Märtyrern erklärt, um die Bestimmung zu umgehen, nach der sie ein Wunder vollbracht haben müssen, um selig gesprochen zu werden. Opfer des Franco-Regimes waren empört.

Christoper Hitchens würde sich wahrscheinlich ähnlich empört zeigen. Hitchens ist der Autor des gerade im Blessing Verlag erschienenen Buches "Der Herr ist kein Hirte. Wie Religion die Welt vergiftet". In dem Nr.-1-Bestseller der New York Times, für die das Buch ein "lebhafter, enorm geistreicher und wütend vorgetragener Angriff gegen sämtliche Aspekte der Religiösität" ist, vertritt Hitchens die Ansicht, dass die Welt entschieden besser dran wäre, wenn es keine Religion gäbe. Seine Argumentation ist so schlicht wie bestechend: Die Religion ist allen Erkenntnissen zufolge von Menschen gemacht, also besteht kein Anlass, davon auszugehen, dass es tatsächlich einen Gott gibt, an den man glauben oder dem man sich gar unterwerfen sollte. Außerdem räumt Hitchens Vernunft und Verstand einen größeren Raum ein als religiöser Unterwürfigkeit. Ein besserer Mensch werde man durch die Religion nicht. Im Gegenteil haben die Prinzipien Moral und Ethik für Hitchens nichts mit Religion zu tun. Und gerade die Religion hat sich - mit teilweise katastrophalen Folgen - in ihrer Geschichte immer wieder von diesen beiden Grundprinzipien menschlichen Zusammenlebens entfernt. Der Religion entgegen stellt Hitchens die sehr viel wahrscheinlichere Evolutionstheorie, nicht ohne auf die amerikanischen Kreationisten einzugehen, für die Adam und Eva der Ursprung der Menschen sind.

Hitchens' Ziel ist es, dass der Leser nach der Lektüre des Buches von der Religion ablässt. Wenn das auch etwas unrealistisch anmutet, verliert das Buch dadurch nichts von seiner durchschlagenden Feuerkraft. Denn Ereignisse wie die umstrittenen Seligsprechungen sind an der Tagesordnung: Als nach den Mohammed-Karikaturen überall in der Welt dänische Botschaften brannten, kritisierten der Papst und der Erzbischof von Canterbury nicht die islamistischen Vandalen, sondern die Zeitungen, die die Karikaturen veröffentlicht hatten. Hitchens beschreibt und kritisiert in "Der Herr ist kein Hirte" auf eloquente Weise die überbordende Negativität von Religion und Kirche. Und macht anschaulich, was doch eigentlich so klar ist: Dass die Welt weder Gott noch Religionen, sondern Verstand und Vernunft braucht. Am Ende des Buches zitiert Hitchens passenderweise einen der moralischsten und vernünftigsten Menschen, die es je gegeben hat. "Wenn etwas in mir ist, das als religiös bezeichnet werden kann, dann ist es die uneingeschränkte Bewunderung für die Struktur der Welt." Danke, Albert.


Titelbild

Christopher Hitchens: Der Herr ist kein Hirte. Wie Religion die Welt vergiftet.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Dr. Ulrich Mihr.
Blessing Verlag, München 2007.
350 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783896673558

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