Mächtige Bilder

Louis Marins Theorie der Repräsentation auf deutsch

Von Daniel WeidnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Weidner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1702 wird Ludwig XIV wieder einmal ein Projekt vorgeschlagen, um den Ruhm des Sonnenkönigs zu verewigen: Die Prägung von Medaillen, deren eine Seite vom Bildnis des Königs, die andere von der Beschreibung seiner Taten eingenommen werden sollte. Als vollkommenstes Kunstwerk vereinigt die Medaille Bild und Schrift, wie ein Grabmal ist sie ein dauerhaftes Monument, aber zugleich ist sie beständig im Gebrauch. Durch ihre Prägung ist sie zugleich mehr als ein Zeichen, denn sie ist gewissermaßen ein direkter Abdruck der Macht, die sie autorisiert. Sie verbindet also das Visuelle, Taktile und Ökonomische zu einem eigentümlichen Eigenwert und kann daher paradigmatisch für die Frage nach der Macht des Diskurses und dem Diskurs der Macht stehen: Was passiert mit dem Zeichen, wenn die Macht sich seiner bedient, wie wird das Zeichen selbst zu einer Macht? Diese Frage ist das Grundthema von Louis Marins Studie "Das Porträt des Königs" - und in gewisser Weise auch seines gesamten Werkes, dem der Diaphanes-Verlag seit einigen Jahren eine Gesamtausgabe in deutscher Sprache widmet, um einen der aufregendsten und zugleich unbekanntesten der großen französischen Denker hoffentlich endlich auch einem deutschen Publikum zu erschließen.

Sakramentale Repräsentation

Der Begriff der Repräsentation hat sich in den letzten Jahrzehnten als höchst fruchtbar für die Analyse der 'Frühen Neuzeit' erwiesen, zu der so verschiedene Epochen wie Renaissance, Reformation, Barock, das französische klassische Zeitalter und die Aufklärung gehören. Repräsentation bezeichnet die Ordnung des Wissens wie die der Gesellschaft und umfasst wissenschaftliche Diskurse, politische Rituale und die kulturelle Bildwelt. Allerdings hat der Rekurs auf 'Repräsentation' in Deutschland nicht nur durch jenes Lagerdenken gelitten, das die 'französische' Theorie der 'deutschen' eher philologischen oder sozialhistorischen Forschung gegenüberstellte, sondern auch durch eine gewisse Verengung: Rezipiert wurde hierzulande fast ausschließlich das Werk Michel Foucaults und der Ansatz der Diskursanalyse, andere Theoretiker wie Michel de Certeau oder eben Louis Marin wurden jedoch kaum beachtet.

Inzwischen sind aber neue Themen wichtig geworden: Der Iconic turn der letzten Jahre lenkt die Aufmerksamkeit auf bildliche Repräsentation; auch das gelegentlich als 'religious turn' benannte Neuinteresse an der Religion wirft ein neues Licht auf den Repräsentationsbegriff. Und gerade die religiöse Dimension der Religion war bisher ein blinder Fleck, der von Foucault explizit aus der Analyse ausgeschlossen wurde - ein Ausschluss, der nicht zuletzt auch die Anwendung des Repräsentationsbegriffs auf die augenscheinlich religiöse Literatur des deutschen Barocks erschwerte. Tatsächlich hat die Untersuchung der Religion daher insgesamt kaum von den theoretischen Innovationen der letzten Jahrzehnte profitiert: Während es längst üblich ist, politische und auch wissenschaftliche Texte literarisch zu lesen und zu dekonstruieren, herrscht gegenüber theologischen in aller Regel Ignoranz oder eine instinktive Abwehr.

Am Schnittpunkt dieser beiden neuen Fragen - der nach der bildlichen Repräsentation und der nach der religiösen Dimension der Repräsentation - ist nun das Werk Louis Marins angesiedelt, und dieser Ort könnte ihm eine besondere Aktualität verleihen. Theorie ist für ihn immer auch eine Philosophie der Bilder, die sich dem Diskurs entziehen, und zugleich eine Theorie des Heiligen. Die Logik von Port Royal, für Foucault Ausdruck von Rationalität und Klarheit der klassischen Repräsentation, wird von Marin daher anders gelesen. Er sieht in ihrem Zeichenkonzept dunkle Stellen, die für das Funktionieren der Repräsentation konstitutiv sind: in der Rhetorik und in der Theologie. Nicht zufällig kommt die Logik immer wieder auf die Einsetzungsworte des Abendmahls zurück: "Dies ist mein Leib" ist ihr das Paradigma einer Aussage, einer Äußerung, die irgendwie 'übertragen' bedeutet und, durch seine Pronomen, auch das Subjekt in den Diskurs bringt. Die sakramentale Repräsentation ist für Marin das Urbild der Repräsentation, und die erwähnte Medaille somit eine Form der Hostie. Denn immer besteht die Repräsentation darin, einen Körper, der nicht da ist, durch komplexe Zeichenhandlungen zu ersetzen. "Er ist nicht hier (er ist auferstanden)", die Antwort des Engels zu den Frauen am Grab Jesu, ist die Urszene der Repräsentation, wie Marin in einer langen und höchst komplexen Analyse der Passionsgeschichte entwickelt, die zwar übersetzt vorliegt, aber leider nicht in die Gesamtausgabe aufgenommen worden ist.

Eine andere Politische Theologie

"Das Porträt des Königs" untersucht die verschiedenen Dimensionen der absolutistischen Repräsentation, ihre verscheidenen Künste und Medien, ihre Historiografen und Festveranstalter, ihre Dichter und Architekten, ihre Landvermesser und ihre Porträtisten, die alle versuchen, am Diskurs der Macht teilzuhaben, vor allem aber die Macht zu repräsentieren und Diskurs zur Macht werden lassen. Denn nirgendwo ist der König so souverän wie auf seinem Bild und auf den Beschreibungen und Inszenierungen dieses Bildes. Es ist mehr als eine vollkommene Kopie - es ist die eigentliche Repräsentationsform der Macht, durch die sich diese selbst darstellt: "Das Porträt de Königs in seinem Mysterium wäre jener sakramentale Körper, der zugleich den politische Körper des Reichs im historischen Körper des Fürsten bewirken und den historischen Körper im politischen Körper aufheben würde."

Wenn er über die Repräsentation des Souveräns schreibt, bezieht sich Marin immer auch kritisch auf Ernst Kantorowicz´ "The King's two Bodies" und den von diesem Buch ausgehenden Diskurs der politischen Theologie. Während aber die politische Theologie davon ausgeht - implizit bei Kantorowicz und explizit bei Carl Schmitt -, dass der Souverän schlicht die Stelle Gottes einnimmt, betont Marin, dass der paradoxe und gefährliche Akt der Repräsentation immer wieder vollzogen wird und dabei immer wieder auch jene sakramentale Matrix aufruft. Daher ersetzt die Politik die Religion nicht einfach, sondern steht in einem Verhältnis wechselseitiger Interdependenz; daher ist die Präsenz der Repräsentation auch nicht einfach ein naives Zusammenfallen von Ding und Zeichen, sondern setzt voraus, dass die Repräsentation sich ständig auflöst und, wie die eucharistischen Elemente, verzehrt wird. So ist das Spiel der Bilder und Diskurse nicht einfach ein zusätzliches Moment, dass das Mysterium der Politik einkleidet, sondern diese Einkleidung ist eben das Mysterium, weshalb die Politik immer wieder die Bilder braucht, die sie selbst nicht denken kann.

Skepsis und Bruch

Eine Schlüsselrolle neben der Logik von Port Royal spielt für Marin das Werk Blaise Pascals. Anhand von Pascals Reflexionen über Gewalt und Gerechtigkeit zeichnet Marin nach, wie die Gewalt zur Gerechtigkeit wird: Zwar sei es unmöglich, der Gerechtigkeit Gewalt zu verschaffen - man wird ihr immer widersprechen können -, aber das Umgekehrte kann geschehen, dass die Gewalt sich das Recht nimmt zu sprechen und Sprache wird. So werden Pascals Überlegungen zur Vorwegnahme von Marins Analysen: "Jede Politik ist Diskurs (Diskurs der Macht) und es könnte sein, daß jeder Diskurs politisch ist (Macht des Diskurses)." Aber Pascal macht auch das Umgekehrte denkbar, eine Art Devestitur der Macht, in Gestalt eines fiktionalen Experiments. Dazu erzählt Pascal eine Geschichte: Ein Schiffbrüchiger wird von den Bewohnern einer Insel irrtümlich für ihren verschollenen König gehalten. Die Anerkennung des Untertanen bestätigt den Schein, der die Legitimierung der Macht ist. Aber der neue König selbst ist doch mehr als ein Souverän, weiß er doch zugleich, dass er nur ein nackter Mensch ist. Hier ist eine verborgene ethisch moralische Selbstreflexion möglich und vielleicht sogar nötig, die das Politische aushöhlt, indem es das Private vom Öffentlichen unterscheidet.

Zugleich zeigt sich dabei die Schwierigkeit des Buchs: Pascals Werke sind hierzulande nicht jedem bekannt, Marins Texte, die zwischen mehr angedeuteten als ausgeführten Spekulationen und minutiösen Textlektüren hin und her oszillieren, setzen eine genaue Kenntnis aber schon voraus. Die Ausgabe enthält zwar immerhin im Anhang einen Abdruck von Charles Perraults "Eselshaut" (auf französisch), auf das sich Marin ebenfalls bezieht, kann aber nur auf eine eher entlegene Pascal-Übersetzung rekurrieren, die der Leser kaum zur Hand haben wird. Noch dazu ist "Das Porträt des Königs" eine Fortschreibung älterer Texte Marins, insbesondere des viel quellennäheren Buchs "La critique du discours" über Pascal und Port Royal, das leider nicht in der deutschen Gesamtausgabe erscheinen wird, so dass die Lektüre eine ziemliches Maß an Denkarbeit, wenn nicht Intuition braucht.

Das Bild ist der König

Dass sich solche Arbeit lohnen kann, zeigt der ebenfalls jüngst erschienene Band "Das Bild ist der König. Repräsentation nach Louis Marin"¸die erste deutschsprachige Veröffentlichung zu Marin. Er enthält einen Text von Marin über die Macht des Bildes und eine Reflexion Jacques Derridas über die Unmöglichkeit, das Bild in der abendländischen Epistemologie unterzubringen; beide betonen die Radikalität und das Potential von Marins Bildtheorie, die immer mehr sein will als eine bloße Klassifikation oder Interpretation von Bildern, sondern deren grundsätzliche und nahezu undenkbare Macht umkreist. Andere Texte verfolgen die Themen Marins weiter - so etwa Vera Beyer über die Entsprechungsverhältnisse zwischen Königsporträt und Christusbild - oder stellen seine Überlegungen in ihren oft nur impliziten Kontext - so Jutta Voorhoeve über seine Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte und insbesondere mit Erwin Panofsky. Dass Marins Überlegungen auch auf andere Bereiche machtvoller Bilder angewandt werden können, zeigt etwa Daniel Arasses Lektüre der Guillotine als Maschine, die Portäts produziert oder - nur noch in losem Anschluss an Marin - Viktor Stoichitas Aufsatz über ein Sklavenbildnis von Diego Velasquez. Manche dieser Texte sind nicht weniger schwer zu lesen als die Marins, aber gerade in ihrer Verschiedenheit können sie hoffentlich den einen oder anderen Zugang zu einem schwierigen Werk eröffnen und zeigen, wie Marins Denken über die Grenzen von Disziplinen hinweg fruchtbare Einsichten in die Problematik der Repräsentation ermöglicht.


Titelbild

Louis Marin: Das Porträt des Königs.
Übersetzt aus dem Französischen von Heinz Jatho.
Diaphanes Verlag, Zürich 2005.
448 Seiten, 49,00 EUR.
ISBN-10: 393530062X

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Vera Beyer / Jutta Voorhoeve / Anselm Haverkamp (Hg.): Das Bild ist der König. Repräsentation nach Louis Marin.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2006.
268 Seiten, 32,90 EUR.
ISBN-10: 3770540409

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch