Mit dem Bentley beim Bebop

Eine Fotoband der Jazz-Barnonesse Pannonica de Koenigswarter überrascht mit intimen Aufnahmen und Wünschen von Jazz-Musikern

Von Bernd BlaschkeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bernd Blaschke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine Flaschenpost besonderer Art wurde voriges Jahr in Frankreich in die Buchhandlungen gespült. Sie erhielt umgehend den Preis der 'Académie du Jazz' als bestes Buch des Jahres. Gut 40 Jahre nachdem Pannonica de Koenigswarter 300 Jazzmusiker nach ihren dringlichsten drei Wünschen befragte und unzählige Polaroids schoss, hat ihre Großnichte den Wunsch der 1988 gestorbenen Baronesse erfüllt. Diese fand nämlich zu Lebzeiten keinen Verleger für ihre Schnappschüsse und Schrumpf-Interviews mit Jazz-Größen oder weniger bekannten New Yorker Musikern. Die Nichte entdeckte einen Schuhkarton mit den schon angegilbten Fotos und fand schließlich auch einen Verleger in Frankreich. Die deutsche Ausgabe ist nun im Reclam Verlag erschienen. Auch eine englische Ausgabe ist im Entstehen begriffen - ein keineswegs untypischer Umweg in Sachen Publizität amerikanischer Jazz-Künstler, die seit 60 Jahren eher in Europa als im eigenen Land ein Auskommen und Anerkennung finden.

Pannonica de Koenigswarter war ein besonderer bunter Vogel im New Yorker Jazz-Milieu, das gewiss nicht an einem Mangel an Exzentrikern litt. Sie entstammte der englischen Linie der legendären Bankiersfamilie Rothschild, ihr Vater war neben seinem Finanzberuf ein leidenschaftlicher Schmetterlingsforscher und Pionier der Naturschutzbewegung. Und er sammelte Jazzplatten. Die 1913 in London Geborene hatte in den frühen 1930er-Jahren in München Kunst studiert, bevor sie nach der Machtergreifung der Nazis ihre Zelte hier abbrach. Sie heiratete einen französischen Diplomaten, startete eine Pilotenausbildung, lebte lange in Afrika und Mexiko und gebar fünf Kinder. Nach ihrer Trennung zog sie nach New York und lernte den Pianisten Teddy Wilson kennen, bei dem sie Klavierunterricht nahm.

Von 1952 bis in die 1980er-Jahre wirkte sie als eine Art gute Fee der unter Diskriminierung, Drogen- und Gesundheits-Problemen leidenden Jazz-Künstler. Mit ihrem Bentley klapperte sie in den 1950er- und 1960er-Jahren die New Yorker Clubs ab. Im 'Five Spot', 'Village Vanguard' oder 'Birdland' wurde sie von den mit ihr befreundeten Musikern aufs herzlichste begrüßt. Mehr als 20 Jazztitel sind ihr gewidmet. Nach ihr benannt sind Stücke wie "Nica"' von Sonny Clark, "Nicas Dream" von Horace Silver, Kenny Dorhams "Tonica", Kenny Drews "Blues for Nica" und am berühmtesten wohl Tommy Flanagans "Thelonica" sowie Thelonious Monks "Pannonica". Oft ging es nach den Club-Konzerten noch zu einer Session in ihre Hotelsuite - durchaus zum Leidwesen der Hotelbetreiber, die sie freilich auch durch drastisch erhöhte Mietpreise nicht davon abbringen konnten. Charlie Parker starb übrigens 1955 in ihrer Hotelsuite, sein viel zu frühes Ende konnte auch sie nicht verhindern.

Später kauft sie eine große Villa in New Jersey, die einst dem Regisseur Josef von Sternberg gehörte. Gelegen am Hudson River, mit schöner Aussicht auf Midtown Manhattan ist sie auch heute noch ein Konzert- und Ausstellungszentrum. Hier lebte Thelonious Monk jahrelang mit seiner Familie bei der Baronesse. Er gab dem Anwesen auch seinen Namen, "Cathouse", worin eine doppelte Referenz liegt. De Koenigswarter umsorgte nicht nur Jazzmusiker, die sich untereinander gerne als "Cats" bezeichneten. Sie beherbergte auch Katzen, am Ende angeblich 120. Neben ihrer großzügigen Gastgeberrolle und finanziellen Unterstützung zahlreicher Musiker, denen ihre Villa als Probe- und Erholungsort zur Verfügung stand, gestaltete sie auch einige Plattencover. Als Mäzenin des Bebop wurde sie in Clint Eastwoods Jazz-Hommage "Bird" verewigt. Freilich klagte sie - Exzentrik oblige -wegen der ihre Rolle mimenden Darstellerin gegen den Film, sie sehe aus 'wie ein Pferd'.

Pannonicas nun publizierte Fotos verfügen über reichlich Patina. Die Bilder des so schlicht wie schön gestalteten Bandes verhalten sich zu den edlen Hochglanzaufnahmen des Jazz (etwa von William Claxton) wie die leicht klirrenden, nach verstimmtem Klavier klingenden Soloaufnahmen Thelonious Monks zu den digital konservierten Solowanderungen Keith Jarretts, der in den Konzertpausen bekanntlich den Steinway nachstimmen lässt. Diese Polaroids sind nach 40 Jahren vielfach mit gut sichtbaren Fingerabdrücken versehen, zerkratzt oder an den Rändern heftig ausgefranst. Die Farbveränderungen geben den Schnappschüssen häufig eine leicht psychedelische Note. Diese fügt zu den teilweise überraschend privaten Settings, in denen uns die Musikgenies hier begegnen, einen weiteren Effekt hinzu. Das Schmökern in diesem Coffeetable-Bilderbuch - das in keiner wohlsortierten Jazzerbibliothek und in keinem coolen Bohème-Loft fehlen sollte - wird so zu einem kurzweiligen Vergnügen. Zu den Motiven gehören ein tanzender Thelonious Monk, der auf einem anderen Foto mit freiem Oberkörper Tischtennis spielt, Miles Davis wird entspannt mit aus der Hose hängendem Hemd gezeigt.

Die Antworten der nach ihren drei Wünschen befragten Künstler fallen übrigens häufig recht ähnlich aus. Neben Frieden, Gesundheit persönlicher und musikalischer Perfektionierung und Wohlergehen für Frauen und Kinder ist es das Geld, nach dem sich die Musiker am meisten sehnen. Dies ist keinesfalls verwunderlich, eingedenk der Sozialgeschichte dieser Musikform. Die überwiegend afroamerikanischen Künstler gehören gewiss in die Ahnengalerie der Vorläufer und Pioniere einer Lebensweise, die man heute Prekariat nennt. Der bekannte Ausspruch, dass man sich mit Künstlern fast nur über Geld unterhalten könne und niemand lieber und leidenschaftlicher über Kunst plaudere als Banker, findet hier reichlich neue Belegstellen. Eine kleine Auswahl des artikulierten Begehrens nach finanzieller Sicherheit klingt etwa so: "Genug Geld zu besitzen, um mir einen eigenen Club kaufen zu können." (Roy Eldridge), Charles Mingus kommt erst mit Verzögerung drauf: "ICH HABE KEINE WÜNSCHE! [...] ÜBERHAUPT KEINE! Gut, es wäre nicht schlecht, genug Geld zu haben, um meine Rechnungen bezahlen zu können!". Bob Brookmeyer wünscht "1. Eintausend Dollar! 2. Eine Million! 3. Eine Billion! (Und Frieden)". Wynton Kelly steigert sich ähnlich: "1. Ein bisschen Geld zu verdienen. 2. Mehr Geld zu verdienen." Jimmy Forrest begehrt "eine Million... eine Million...eine Million!" Benny Carter wünscht in fallender, sich bescheidender Reihung - verdient aber offenbar schon genug, um an die Steuern zu denken: "1. Drei Millionen Dollar steuerfrei. 2. Zwei Millionen Dollar steuerfrei!".

Herbie Mann freilich (und andere ebenso) präzisiert die Bedeutung des Geldes als Wunsch nach Freiheit und zur Ermöglichung von Kreativität: "2. Ich glaube, ich wäre gerne reich, finanziell unabhängig, so daß ich die Freiheit hätte zu spielen, was ich spielen möchte und wann ich spielen möchte...". Denn geschaffen wurde der Bebop und auch die nachfolgenden avantgardistischen Entwicklungsschübe des modernen Jazz nicht von Bentley-Fahrern. Die reiche Dame im Luxuscoupé war freilich vielen im Alltag behilflich und chauffierte sie auch gelegentlich, wie es die Fotos wundervoll belegen. Und uns beschenkt sie, zwanzig Jahre nach ihrem Tod, mit einem eindrucksvollen Band mit ausdrucksstarken Bildern. Die Musik muss man hören. Die Menschen, die sie schufen, kann man hier in vielen Aufnahmen aus großer Nähe betrachten.


Titelbild

Pannonica de Koenigswarter: Die Jazzmusiker und ihre drei Wünsche.
Reclam Verlag, Leipzig 2007.
312 Seiten, 35,00 EUR.
ISBN-13: 9783150106532

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