Kein Kinderhörbuch für Erwachsene

Axel Hackes Kindergeschichten "Ein Bär Namens Sonntag" und "Prálinek" gibt es jetzt auch als Hörbuch, gelesen vom Autor

Von Malte HorrerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Malte Horrer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Voller Vorfreude und Tatendrang mache ich mich mit meiner neuen Hörbuch-CD von Axel Hacke auf den Weg nach Hause. Doch kaum habe ich meiner Stereoanlage die CD verabreicht, beginnt das Debakel: Die Sprechtechnik von Hacke - denn der Autor liest seine Geschichten selbst - gefällt mir gar nicht; immer wieder klingt es mir zu genuschelt, zu glucksend oder zu gehetzt. Vor allem aber: Er langweilt mich! Die erste Geschichte, "Ein Bär Namens Sonntag", fesselt mich überhaupt nicht. Ich beginne nebenher, Unterlagen zu ordnen. Am Ende der Geschichte ist es, als hätte ich sie nicht gehört. Wie konnte das nur passieren? Der tolle Axel Hacke - und ich langweile mich!

Die Antwort ist einfach: Dieses Kinder-Hörbuch ist wirklich für Kinder. Und damit hatte ich einfach nicht gerechnet. Viele Kindergeschichten sind auch oder gar besonders etwas für Erwachsene, Harry Potter ist das prominenteste Beispiel. Sie sind wie für Kinder geschrieben und berühren doch - mal absichtlich, mal unabsichtlich - ganz stark das Kind in uns Erwachsenen. Bei Axel Hacke, dem langjährigen Journalisten von der Süddeutschen Zeitung, war das Absicht, als er 2004 mit "Der weiße Neger Wumbaba" sein wunderbares kleines Handbuch des Verhörens veröffentlichte. Da ging es vor allem darum, wie Kinder etwas falsch verstehen, wenn sie bestimmte Worte aus der Erwachsenenwelt nicht kennen oder wenn beim Singen Worte vernuschelt werden. Das ist so herrlich. Das haben wir uns seinerzeit in der Familie an Weihnachten laut vorgelesen und uns scheckig gelacht. Wir, die Erwachsenen, wohlgemerkt!

Das waren die Voraussetzungen, als ich mein Rezensionsexemplar von Axel Hackes Hörbuch-CD in den Händen hielt. Ich erinnerte mich an den wunderbaren Stil von Axel Hacke, der im "Wumbaba" die Verhörer nicht einfach aufgeschrieben, sondern sie mit ungeheuerer sprachlicher Eleganz, mit Charme und mit viel Witz geradezu inszeniert hat, und erwartete, dass es hier genauso sein müsste.

Aber nicht alle Bücher Hackes, die mit einer wunderbaren Bebilderung von Michael Sowa in dem kleinen, feinen Verlag Kunstmann erscheinen, sind Kinderbücher für Erwachsene. Die Geschichten "Ein Bär Namens Sonntag" und "Prálinek", die auf der gleichnamigen CD zu hören sind, sind keine "Geschichten für große und kleine Kinder", obwohl das der Untertitel verheißt, sie sind in allererster Linie Geschichten wirklich für Kinder. Und obwohl ich - ich gestehe es - bis heute gerne Kinder-Hörspiele höre, Pumuckl zum Beispiel, reicht das als Bewertungsmaßstab nicht aus, denn ich bin trotz allem kein Kind mehr. Kinder müssen her! In meiner Verwandtschaft werde ich fündig. Die Geschwister Mia, Julian und Jona müssen ran, ab auf die Couch und CD hören.

In "Ein Bär Namens Sonntag" muss der kleine Junge Axel auf seinen Teddybären Sonntag einen Tag und vor allem eine lange Nacht verzichten, weil er gewaschen werden musste und nun auf der Leine zum Trocknen hängt. Nachts träumt Axel, die Teddybären wären die weltbeherrschenden Lebewesen und er eines der vielen Kuscheltiere - ein altbekanntes Motiv aus unzähligen Geschichten. Er befindet sich als Verkaufsobjekt im Spielwarengeschäft von Herrn Spielbär und wäre um ein Haar von dem kleinen blöden Bärenjungen Pupsilein gekauft worden. Der aber entscheidet sich für ein anderes Spielzeug und Axel wird dann von einem anderen Bärenjungen gekauft, von Sonntag, der mit ihm spielt, als wäre Axel lebendig. Glück gehabt, Axel!

Auch in "Prálinek" führen Spielfiguren ihr Eigenleben. Dort bekommt der Junge Arthur von seinem Vater am Heiligen Abend eine Geschichte erzählt, während sie auf die Bescherung warten. In dieser Geschichte baut Arthur aus einer Pralinenschachtel, einem Waschmittelkarton, leeren Klopapierrollen, Korken und Draht einen kleinen Roboter, den er seinem Vater zu Weihnachten schenken will. Wie Pinocchio wird diesem Roboter quasi mit seiner Fertigstellung Leben eingehaucht: "Bitte knusperzart programmiere mich! Ich bin volle Waschkraft ein kleiner Roboter." Und Arthur programmiert ihn darauf aufzuräumen. Während er seiner Aufgabe nachgeht, lernt der Roboter Prálinek das Spielzeugmonster Golongbong und den Dinosaurier Dino kennen. Gemeinsam versuchen sie, einer batteriebetriebenen Spielfigur, die nach "Saft" schreit, zu neuer Energie zu verhelfen, machen sich deshalb gestapelt wie die Bremer Stadtmusikanten am Kühlschrank zu schaffen, um Saft zu holen, und stürzen samt Safttüte zu Boden, als Arthurs Vater die Küche betritt.

Die Enden der Geschichten ähneln sich; sie reißen ab. In der ersten Geschichte erwacht Axel aus seinem Traum und freut sich über seinen Bären Sonntag, der von allein von der Wäscheleine zu ihm ins Bett gekommen ist, in der zweiten unterbricht Arthur mit einer Nachfrage die Erzählung, die dann nicht mehr weitergeht, weil das Glöckchen zur Bescherung klingelt. Die Geschichten sind geschlossen, aber irgendwie doch nicht zuende erzählt. Und die Parallelen gehen weiter: Spielfiguren sind lebendig, neue Spielfiguren brauchen einen Namen.

Gerade in der phantasievolleren Geschichte "Prálinek" zeigen sich die Qualitäten des Textes und der Hörbuchfassung: Das beginnt bei dem Wortwitz, dass Prálinek in seine Sätze immer Wörter einbaut, die auf den Packungen stehen, aus denen er gebaut wurde, und endet nicht bei den wunderschönen Bildern, die in einem entstehen, wie dem von den drei Spielfiguren am Kühlschrank, denn auch der nicht perfekte Vorleser Hacke hat seine Stärken. Wenn er Begeisterung und Engagement einer Figur herüberbringen muss, gelingt ihm das fabelhaft: "Platz da für Herrn Prálinek, meinen Freund!" lässt er Golongbong rufen und ich sehe Golongbong vor mir, den majestätischen Schritt, die stolzgeschwellte Brust, wie er vor Prálinek her marschiert, und wünschte mir dieser Prálinek zu sein, der da einen Freund hat, der ihn gegen die ganze Welt verteidigen würde.

Hinter den Geschichten stecken die Beziehungen: Beziehungen zwischen Freunden, zwischen Eltern und ihren Kindern, zwischen Kindern und ihrem Spielzeug. Und man erfährt, was Geschenke über diese Beziehungen aussagen, weil ein Geschenk immer auch eine Aussage ist, eine seelische Standortbestimmung des Schenkenden zu dem Beschenkten. Und deswegen hat ein Roboter aus alten Produktverpackungen mehr Leben in sich als ein ferngesteuertes High-Tech-Spielzeug; und vielleicht auch deswegen, weil Axel Hacke zur Nachkriegsgeneration gehört, geboren 1955 in Paderborn (kleiner Insiderwitz am Rande), wo man eben nur einen einzigen Teddybären hatte und etwas Selbstgebasteltes, und wo nicht jede Woche ein neues Spielzeug dem anderen Konkurrenz machte.

Bei meinen drei kleinen Verwandten aber ist die Konkurrenz groß: Da gibt es das High-Tech-Spielzeug, professionelle Murmelbahnen, Eisenbahnen und natürlich den Fernseher und Computerspiele. Wie hat sich die Hörbuch-CD von Axel Hacke da geschlagen? Die 11-jährige Mia ist für diese Geschichten schon etwas zu alt. Sie hat sie ein Mal gehört, findet "Ein Bär Namens Sonntag" besser und hat ansonsten genug andere Interessen. Der 6-jährige Jona kann mit dieser Hörbuch-CD wenig anfangen, sein Kassettenrecorder kann sie nicht abspielen. Der 7-jährige Julian aber liebt die CD, besonders die Geschichte "Prálinek", und hat sie, so seine Mutter, "rauf und runter gehört". Na also, keine CD für alle, aber eine für alle 7-jährigen Julians!


Titelbild

Axel Hacke: Ein Bär namens Sonntag / Prálinek. Zwei Geschichten für große und kleine Kinder. CD.
Mit Musik von Christoph Well.
Verlag Antje Kunstmann, München 2006.
14,90 EUR.
ISBN-10: 3888974569

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch