Mythen der Macht

Robert Harris schreibt einen Thriller über einen abgehalfterten Premier, der an seinen Memoiren bastelt

Von Hans Peter RoentgenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hans Peter Roentgen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Als ich hörte, wie McAra gestorben war, hätte ich aufstehen und gehen sollen. Heute weiß ich das. Ich hätte sagen sollen: ,Tut mir Leid, Rick, das ist nichts für mich, irgendwie stinkt die Sache', hätte austrinken und gehen sollen. Aber Rick war ein außerordentlicher Geschichtenerzähler. Wenn er erst einmal angefangen hatte, kam ich nie auch nur eine Sekunde lang auf den Gedanken, ihm nicht zuzuhören. Oft dachte ich, er hätte Schriftsteller und ich Literaturagent werden sollen."

Adam Lang war lange Jahre britischer Premier, eine charismatische Gestalt, die seine Partei zurück an die Macht brachte, vom Erfolg verwöhnt, aber schließlich musste er gehen. Ein Schicksal, das so manchem Politiker zuteil wurde, eigentlich allen, egal ob sie Bismarck, Schröder, Adenauer oder Blair hießen.

Jetzt möchte Lang seine Memoiren schreiben und damit wenigstens noch einmal die große Popularität genießen. Leider macht er einen Fehler. Er beauftragt seinen Berater und "Mädchen für alles" McAra mit den Memoiren. Doch der ist ein penibler Sesselfurzer, einer, auf den man sich verlassen kann, ein Pendant, der nichts übersieht - und denkbar ungeeignet, eine lebendige Autobiografie zu verfassen. Es kommt zum Krach, McAra fällt im Sturm vom Schiff und ertrinkt. Möglicherweise, ja fast sicher ist es Selbstmord, in seinem Körper findet sich eine gewaltige Menge Alkohol.

Jetzt braucht Lang einen neuen Ghostwriter. Und findet ihn in Gestalt des Ich-Erzählers der Geschichte, der von Politik keine Ahnung hat und Autobiografien von Stars und Sternchen verfasst hat. Doch gerade deshalb ist er so geeignet. Denn auch Lang war ein Star, ein Meister darin, die Menschen zu faszinieren, fotogen und mediengeil. So wird der Ich-Erzähler Langs neuer "Ghost".

Und stellt fest, dass die Autobiografie, die bereits in der Rohfassung vorliegt, absolut unbrauchbar ist. Langweilige Fakten, unzusammenhängende Texte. verfasst von einem Pendanten, der nicht weiß, was ein Text braucht, um Leser bei der Stange zu halten: Gefühle nämlich, Geschichten und - wenn sie so nicht ganz stimmen, macht es nichts. Dass Lang nur deshalb in die Politik ging, weil er seine spätere Frau kennenlernte und diese beeindrucken wollte, ist so eine rührende Geschichte. Sie kann zwar so nicht ganz stimmen, weil Lang doch schon früher in die Partei eintrat, das entdeckt der neue Ghost bald.

Leider ist das nicht das einzige, das irritiert. Denn Lang hat den USA und ihrem Präsidenten die Treue gehalten im Kampf gegen den Terror, hat ihnen sogar britische Staatsbürger ausgeliefert, die gefoltert wurden, einer verstarb gar daran. Jetzt wird er vom internationalen Gerichtshof in Den Haag angeklagt. Noch ist er sicher, da er in den USA wohnt und die den Gerichtshof nicht anerkennen. Peinlich ist die Sache dennoch. Und der Ghost wundert sich, warum ein so geschickter Politiker sich auf eine derart unpopuläre Sache eingelassen hat, die ihm bei seinen Wählern immer mehr Stimmen kostete. In den Unterlagen entdeckt er ein Foto eines amerikanischen Professors, der angeblich für die CIA arbeitete. Lang und dieser Professor waren in derselben Laienspielgruppe. War Lang ein Agent?

Robert Harris entpuppt sich einmal mehr als ein Meister des Spannungsromans. "Ghost" ist ein Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen mag. Nicht zuletzt spürt man, dass der Autor sich mit der Politik wirklich auskennt - er war lange mit Tony Blair befreundet und hat seinen Aufstieg begleitet - und den Leser in die Irrungen und Wirrungen der Politik hineinführt, in die Geschichten, die irgendwo stimmen, aber gleichzeitig zurechtgemacht werden, damit sie gut wirken.

Harris nimmt uns auch mit in die Welt der Ghostwriter, die das Leben der Schönen und Erfolgreichen schreiben und immer im Zwiespalt stehen, dass das, was eine Person von sich erzählen möchte, oft völlig uninteressant ist, während das, was die Leser fesselt, zwar nicht unbedingt die Wahrheit ist, wohl aber etwas, das Leute eher ungern erzählen.

Geschichte, Wahrheit und Schein, diese Dinge prägen das Buch, die Medien, die Verlagsbranche, all das ist der Hintergrund von "Ghost"; der "Krieg gegen den Terror" und die zunehmende Verrohung derer, die gegen ihn kämpfen die zweite Seite. Nicht zu vergessen die faszinierenden Figuren: Adam Lang, der glamouröse Politiker ohne jede Ideologie, der Medienstar; seine Frau, die politischen Verstand und Instinkt hat, aber keine Ausstrahlung und deshalb immer im Hintergrund steht; der intrigante ehemalige Außenminister, der sich rächen will, Adam Lang anzeigt und das mit seiner Sorge um die Menschenrechte tarnt.

Ob Lang nun Tony Blair ist oder nicht, spielt gar keine Rolle. Denn das, was Harris beschreibt, den abgehalfterten Politiker, der mit seinen Memoiren noch einmal die Öffentlichkeit sucht, der Geschichten erzählt und einen Mythos schaffen will, all das traf und trifft auf unzählige andere genauso zu, man denke nur daran, wie Bismarck nach seiner Entlassung ebenfalls mittels seiner Memoiren am eigenen Mythos bastelte.

Leider ist Harris' Buch auch ein Thriller. Und so sollte wohl am Schluss noch eine große Auflösung her, die erklärt, warum Adam Lang den USA derart die Nibelungentreue hielt, gegen alles politische Gespür, obwohl es ihn die Macht kostete. So verlässt auf diesen letzten zwanzig Seiten auch Harris sein Gespür für Politik und Geschichten. Denn dieser Schluss ist an den Haaren herbeigezogen und absolut unglaubwürdig.

Doch das ändert nichts daran, dass die anderen 380 Seiten Lesekost vom Feinsten bieten, sowohl spannend wie auch eine lebendige Einführung in die Welt der Politik wie die der Autoren.


Titelbild

Robert Harris: Ghost. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Wolfgang Müller.
Heyne Verlag, München 2007.
400 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783453265752

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch