An der Schwelle zur Moderne - Hartwig Schulz hat eine "Einmalige Jubiläumsausgabe" der "Sämtlichen Gedichte Eichendorffs in zeitlicher Folge" herausgegeben

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wozu sollte man noch heute - 150 Jahre nach seinem Tod - Joseph von Eichendorffs Gedichte lesen? Was sagen uns seine Lyrik und seine Versepen, wie sie der Herausgeber der sechsbändigen Eichendorff-Werkausgabe im Deutschen Klassiker Verlag (1987) und Verfasser einer soeben erschienenen Eichendorff-Biografie (siehe literaturkritik.de 12/2007) Hartwig Schulz jetzt noch einmal komplett, in chronologischer Ordnung und in der ursprünglichen Form ihrer Erstdrucke im Insel Verlag herausgegeben hat?

"Seine Überlegenheit über alle Reaktionäre, die heute die Hand nach ihm ausstrecken, bewährt sich daran, daß er, wie die große Philosophie seiner Epoche, die Notwendigkeit der Revolution begriff, vor der ihn schauderte", antwortet uns Theodor W. Adorno in seinen "Noten zur Literatur" (1958). Eichendorff verkörpere "etwas von der kritischen Wahrheit des Bewußtseins derer, die den Preis für den fortschreitenden Gang des Weltgeistes zu entrichten haben." Kurz: "Eichendorffs entfesselte Romantik führt bewußtlos zur Schwelle der Moderne."

So stellt denn auch Schulz in seinem Nachwort zur Wiederauflage seiner erwähnten Werkausgabe aus den 1980er-Jahren, deren erstem Band die vorliegende Ausgabe folgt, fest, Eichendorff sei wohl nicht zuletzt wegen der unzähligen Liedvertonungen seiner Verse der einzige Dichter der deutschen Romantik, "der bis heute ein breiteres Publikum erreicht". Nach dem Zweiten Weltkrieg entdeckten neben Adorno auch viele namhafte Germanisten, darunter Emil Staiger, Eichendorffs Werk neu. Schulz unterstreicht, dass die chronologische Anordnung seiner Gedichtausgabe "die allmähliche Entfaltung und Veränderung von Eichendorffs Bilder- und Formenwelt" erkennen lasse. Letztere laufe schließlich auf ständig wiederholte Metaphern-"Leerstellen" hinaus, die der Fantasie und den Emotionen des Rezipienten Spielraum ließen. Möglicherweise verbirgt sich hier die geradezu zeitlose Wirkung dieser Lyrik. Vermag sie doch dadurch "das gefährliche Chaos der Traumwelt zu gestalten und zu bändigen", wie es Schulz formuliert.

Ergänzend enthält Schulz' "Einmalige Jubiläumsausgabe" sämtlicher Gedichte einige Eichendorff-Übersetzungen von Romanzen spanischer Barockdichter sowie seine Versepen "Julian", "Robert und Guiscard" und "Lucius", "in denen sich die religiösen und politischen Konflikte seiner eigenen Zeit spiegeln".

J.S.


Titelbild

Joseph von Eichendorff: Sämtliche Gedichte und Versepen.
Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
608 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783458173656

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch