Jiddische Lieder beim Schafehüten

Sam Apple erzählt von Österrreich, dem Antisemitismus und sich selbst

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das hätte man nicht erfinden können. Es hätte einem auch niemand geglaubt: Hans Breuer ist der letzte Wanderschäfer Österreichs, der mit seinen 625 Schafen durch Wien, Niederösterreich und die Steiermark zieht, quer über alle Wiesen und Almen und manchmal auch durch die Dörfer. Und: Hans Breuer singt dabei jiddische Lieder, manchmal provozierend laut, manchmal auch als Schlaflied für seine Schäfchen. Nein, so etwas traut man sich nicht zu erfinden.

Aber es gibt ihn wirklich, diesen Hans Breuer. Sam Apple, ein 25-jähriger New Yorker Journalist jüdischer Herkunft, lernt Breuer bei einem Vortrag in New York kennen und entschließt sich, ihn in Österreich einige Wochen lang auf seinen Wanderungen zu begleiten. Um etwas über ihn, über Europa, Österreich und den Antisemitismus zu erfahren. Schließlich wurde Apple von seiner Großmutter Bashy dazu erzogen, überall Feinde des Judentums zu wittern: "Hin und wieder gab es Momente, da lief ich durch die geschäftigen Flure meiner High School und kam mir vor wie ein lebender Anachronismus, als gehörte ich in eine andere Zeit, an einen anderen Ort und als wäre ich nur aus Versehen im späten zwanzigsten Jahrhundert inmitten von Cowboystiefeln tragenden Nichtjuden gelandet. Die Grenze zwischen Jude und Nichtjude war bei mir genauso scharf gezogen wie bei jedem anständigen Antisemiten."

Apple fährt also nach Österreich und erfährt vieles, einiges sogar über sich selbst: "Väterlicherseits bin ich Amerikaner der zweiten, mütterlicherseits der dritten Generation. Ich hatte allen Grund, mich in meiner amerikanischen Haut wohlzufühlen, und doch wusste ich im Grunde meines Herzens, dass 99% der Leute, mit denen ich Tag für Tag zu tun hatte, in der gegnerischen Mannschaft spielten. Als ich [...] nach Österreich aufbrach, um über Juden, Nichtjuden und Antisemitismus nachzudenken, hatte ich einiges mehr an Gepäck dabei als nur meinen Rucksack."

Eine Mischung aus Reisebericht, Dokumentation und Schelmenroman ist dabei herausgekommen. Stets inszeniert sich Apple als ironischen, etwas naiven hypochondrischen Neurotiker à la Woody Allen. Er provoziert den Leser, spielt mit den Vorurteilen, bildet aber auch den immer noch tief sitzenden Antisemitismus ab, dem er tagtäglich begegnet, sobald er nur ein klein wenig an der Oberfläche kratzt. So will in dem kleinen Ort namens Judenburg, niemand wahrhaben, dass er wirklich auf ehemals dort ansässige Juden anspielt.

Aber auch Hans Breuers Geschichte selbst ist sehr reizvoll. Er ist Sohn eines jüdischen Vaters und einer kommunistischen Mutter und leidet sehr an seiner politischen Umwelt: "Ich kam nach dem Holocaust zur Welt, ich wusste, dass meine Mutter gefoltert wurde. Für mich war alles kaputt. In der Mitte war dieses große, kaputte Etwas. Keine Heimat. Keine Nation. Kein Gefühl von Sicherheit. Überall Verbrecher. Und bei so einem Hintergrund und bei allem, was ich von meinen Eltern gelernt hatte, stand ich vor der Wahl, entweder mich vor lauter Angst nicht zu rühren oder radikal zu werden." Und so ist das Buch auch ein Romanbericht über diesen Hans Breuer. Darüber, wie er zu diesem sehr seltsamen Querkopf wurde, warum er ständig die jiddischen Lieder singt, wie sehr er an sich und Österreich leidet. Das bedeutet einen langen Weg für Apple: "Langsam erkannte ich, dass Hans überhaupt keine Maske trug", schreibt er. "Er war über die Maßen ehrlich und in seiner Ehrlichkeit über die Maßen verletzlich."

Alles alte Nazis: Wir kennen solche Statements vom Österreich-Hasser Nummer eins, Thomas Bernhard. Auch Breuer und Apple teilen uns viele Fakten mit, die wir meistens lieber nicht zur Kenntnis nehmen wollen, erzählen von Greueltaten der österreichischen Bevölkerung an den Juden und vom Wahlerfolg der FPÖ, die "ein direkter Nachfahre der österreichischen NSDAP" sei. Aber das ist zum Glück nicht alles. Denn das Buch ist auch noch ein Entwicklungsroman, in dem der junge Apple, der nie aus seiner behüteten Umgebung herausgekommen ist, und nie einen Antisemiten getroffen hat, sich den Anforderungen des Lebens stellt, sich verliebt und langsam erwachsen wird.

Geschrieben ist dieses "etwas andere Reisebuch" leicht und locker, abgründig, aber manchmal auch etwas gezwungen flott, nur wenig selbstironisch und auch etwas hypochondrisch, so dass es seinem Leser zwischendurch zwar schon etwas auf die Nerven gehen kann. Insgesamt aber ist es doch eine gute Geschichte. Vor allem wohl, weil es die vielen Fakten mit einem ganz radikal subjektiven Blick verknüpft.


Titelbild

Sam Apple: Schlepping durch die Alpen. Ein etwas anderes Reisebuch.
Übersetzt aus dem Englischen von Monika Schmalz.
Atrium Verlag, Zürich 2007.
320 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783855350001

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