Dilettantismus als Konzept

Ein Sammelband zur Kultur um 1800

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der aus dem Sonderforschungsbereich "Ereignis Jena-Weimar" an der Universität in Jena hervorgegangene Sammelband vereinigt die Ergebnisse eines im März 2006 veranstalteten Symposions zum Phänomen des Dilettantismus um 1800. In vier Abschnitten wird von 22 Autoren versucht, dem Begriff als auch seinen Erscheinungsformen um 1800 näher zu kommen. Der Band ist in die Abschnitte "Dilettantismus um 1800: Begriff und Phänomen", "Dilettantismus in Literatur und Künsten", "Dilettantismus in den Wissenschaften" und "Dilettantismus als Politikum" unterteilt. Dabei war den Herausgebern vor allem daran gelegen, auf die problematische Begriffsverschiebung aufmerksam zu machen, welcher der Begriff "Dilettantismus" seit zweihundert Jahren unterliegt. Wird der Begriff "Dilettantismus" in der Gegenwart eher abwertend und als Gegensatz zur Professionalität verwendet, bezeichnete er um 1800 eher die Position des Kunstkenners und Liebhabers kultureller Erscheinungen.

In der Einleitung des Sammelbandes formulieren die Herausgeber die Rahmendefinition, unter der die sich anschließenden Aufsätze das Thema "Dilettantismus" behandeln: "Sowohl in der von Friedrich Schlegel 1784 anerkannten und von Heine 1828 erinnerten 'Kunstperiode' als auch im Fin de siècle meistert das Genie seine als autonom bestimmte Kunst, der Dilettant folgt als sein Schatten, als Nachahmer, Kopist, sich in seiner eigenen Bildung Ver-suchender oder als Sammler und Liebhaber der schönen Künste und Wissenschaft, der seinen Neigungen spielerisch nachkommt. Der Dilettant ist also eine Kontrastfigur. Ja und Nein. Zwar figuriert er um 1800 als Intimfeind des meisterhaft genialischen Schöpfertums, gleichzeitig ist er aber aus dem Kunstbetrieb nicht wegzudenken und in seiner Eigenschaft als Rezipient und auch Konsument unabkömmlich."

Über die Verschiebungen des Begriffes und seinen Wandel von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart informiert das Vorwort der Herausgeber. Dabei ist es wie so oft ein Goethe'sches Wort, das Versöhnung mit den negativen Konnotationen des Begriffes in Aussicht stellt. Die Goethe'schen Exemplifikationen zum Dilettantismus, die am nutzbringendsten im Umgang mit der Thematik erscheinen, erörtert Golz in seinem Beitrag detailliert. Im Nachwort von Goethes Farbenlehre heißt es: "Wie aber dennoch aus mancherlei Ursachen schon der Künstler den Dilettanten zu ehren hat, so ist es bei wissenschaftlichen Gegenständen noch weit mehr der Fall, daß der Liebhaber etwas Erfreuliches und Nützliches zu leisten im Stande ist".

Die vier Themenkomplexe werden mit dem Beitrag von Jürgen Stenzel zum "Ästhetischen Dilettantismus in der Literatur" eingeleitet, es folgten der schon erwähnte begriffsgeschichtliche Aufsatz von Golz über den Dilettantismus bei Goethe, Uwe Wirth mit einem weiteren Diskussionsbeitrag zur Begriffgeschichte und Nikolas Immer mit dem Beitrag "Der Dilettant als Nachahmer". Die im zweiten Abschnitt zusammengefassten elf Aufsätze beschäftigen sich mit dem Dilettantismus in der Literatur und in den Künsten. Vom Liebhabertheater, über das "Tiefurter Journal" und der Almanach- und Taschenbuchliteratur bis hin zu Christian August Vulpius, Ernst Wilhelm Wolf und dem Naturwissenschaftler Gotthilf Heinrich Schubert als dilettierendem Romanautor werden verschiedene Aspekte und Phänomene des Dilettantismus erörtert. Dabei leitet der Beitrag über Schubert zum dritten Abschnitt "Dilettantismus in den Wissenschaften" über. Von Novalis' Enzyklopädistik, Goethes Morphologie und Humboldts Kosmos-Vorlesungen bis hin zum Dilettantismus bei Wagner, Hitler und Thomas Mann werden auch abseitige und vom Leser nicht vermutete Aspekte des Themas exemplifiziert. Das Personenregister schließt den ordentlich gemachten und gut ausgestatteten Band auf das erfreulichste ab.

Aus den zweiundzwanzig Aufsätzen heben sich der Beitrag über Goethe und über Schubert besonders positiv ab. Im ersteren zitiert der Verfasser aus einem Brief von Goethe an Zelter vom 21. Januar 1826, was als abschließender Kommentar zum Dilettantismus dort wie auch hier verstanden sein möchte: "Am Ende stellt sich alles her, wenn derjenige welcher weiß was er will und kann, in seinem Tun und Wirken unablässig beharrt."


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Stefan Blechschmidt / Andrea Heinz (Hg.): Dilettantismus um 1800. Kultur um 1800.
Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2007.
398 Seiten, 54,00 EUR.
ISBN-13: 9783825353247

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