Die Schwierigkeiten der Ebene

Werner Hecht mit gesammelten Etüden zur Brecht-Biografie

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Werner Hecht als Spezialisten in Sachen Bertolt Brecht vorzustellen ist einigermaßen überflüsssig - die "Brecht-Chronik" samt Nachtrag hat seine Karriere gekrönt, ebenso wie die Fertigstellung der Großen kommentierten Berliner und Frankfurter Ausgabe, an der er als Mitherausgeber beteiligt war. Sein Kollege Jan Knopf wird nicht müde, durch die Lande zu ziehen und den Neubeginn der Brecht-Philologie zu propagieren - und Hecht gehört zu jenen, die daran mitwirken, das dazugehörige Material zusammenzutragen und zur Verfügung zu stellen.

Gelegentlich aber macht er sich selbst mit Interpretationen bemerkbar, insbesondere zur Biografie, wie es auch in seinen gesammelten Etüden zu der Biographie Brechts der Fall, die er jetzt im Suhrkamp-Verlag herausgebracht hat. Neues Material liegt diesen kurzen Studien zu einzelnen Aspekten der Biographie zugrunde, anzunehmen ist, dass dieses Material bei den Arbeiten zur "Brecht-Chronik" angefallen ist (nicht notwendig nur von ihm selbst geliefert, aber zu seinen Quellen äußert er sich auffallend zurückhaltend). Was nicht in der neuen Ausgabe an neuen Texten zu Brecht zu finden sei, könne man, so teilt er im knappen Apparat mit, im Ergänzungsband der "Brecht-Chronik" finden, der gleichfalls 2007 erschienen ist.

21 knappe Studien zur Biografie hat Hecht hier zusammengetragen. Die meisten gehören in die Jahre nach 1945, zu der es in der Tat wohl das Meiste zu korrigieren und nachzutragen gibt, ist die Rezeption der Texte aus der Nachkriegszeit doch allzu stark von den Zwängen bestimmt, die aus dem Kalten Krieg herrühren. Hecht rührt daran, zeigt er Brecht als einen angestrengten, teilweise aber sehr wirkungsvollen Kämpfer im Machtgefüge der DDR. Zwar ist Ost-Berlin nicht Brechts erste Wahl für den europäischen Neubeginn. Aber nach den Schwierigkeiten, die ihm nicht zuletzt die Schweiz macht, die seine erste Anlaufstation nach der Rückkehr aus den USA war, bleiben ihm wenige Alternativen. Allein die Einladung an das Deutsche Theater in Ost-Berlin scheint ihm eine eigenständige Arbeit zu erlauben. Immerhin bringt er es hier zu einem eigenen Theater - und das, obwohl er den Funktionären der SED mehr als suspekt ist. So wird ihm das versprochene Haus erst 1953 übergeben. Auch die Zusammenarbeit mit Wolfgang Langhoff am Deutschen Theater ist nicht so fruchtbar, wie es zu Beginn scheint. Die Konkurrenz, die Langhoff aus Brechts Arbeit im eigenen Haus erwächst, ist wohl zu groß, um eine friedliche Koexistenz zu erlauben. Hinzu kommen konzeptionelle Differenzen. Das Brecht-Theater ist nicht nur neu, es ist außerdem auch noch äußerst umstrittenen. Und die Kritik kommt nicht nur von den bornierten Kulturfunktionären aus dem Apparat der SED.

Dass es Brecht gelingt, das eigene Haus zu bekommen, ist schließlich seinem enormen internationalen Renommee zu verdanken, seiner unglaublichen Hartnäckigkeit, seiner flexiblen Rücksichtnahme auf die Notwendigkeiten des Apparats, die bis zum Starrsinn reichte, seine Selbstherrlichkeit, mit der er sich gelegentlich über den Apparat hinwegsetzte, einer Portion Glück und vielleicht - so deutet es Hecht wenigstens an - der Entnervtheit seiner Gegner. Wilhelm Girnus, der Brecht von Seiten des Regimes zu begutachten hatte und der nicht zu den Freunden des Theatermanns gehörte, befürwortete die Vergabe letztlich nur aus einem Grund, so Hecht, nämlich dem, dass Brecht sich mit seinem Theaterprojekt, seinem Inszenierungsstil und seinen Stücken bis auf die Knochen blamieren sollte. Dass dieser Schuss nach hinten losging, gehört zu den richtigen Entscheidungen, die aus den falschen Gründen getroffen werden.

Vielleicht wie die Vergabe des Stalin-Preises an Brecht im Jahre 1955, der auf Brecht ja nur deshalb fiel, weil Thomas Mann ihn ablehnte. Das hat Brecht anscheinend und zum Glück nicht gewusst, denn er gehörte zu den bekennenden Thomas-Mann-Hassern, und das seit den zwanziger Jahren.

Die Konkurrenz zwischen den beiden Autoren, die zu den größten und produktivsten des 20. Jahrhunderts in Deutschland gehören, ist nachvollziehbar und hat Folgen bis in die Literaturwissenschaft, in der sich die Mann- und Brecht-Forscher kaum im selben Raum aufhalten mögen, schon aufgrund des Stils ihrer Arbeiten nicht. Brecht würde aber die Ablehnung Manns umso mehr verärgert haben als sie für ihn in derselben Linie stand wie Manns Hasenherzigkeit im Exil. 1943 hatte Mann die Unterschrift unter eine Erklärung zurückgezogen, mit der die Autoren des amerikanischen Exils einen Aufruf deutscher Kriegsgefangener und Emigranten in der Sowjetunion unterstützt hatten, mit der Deutschland zur bedingungslosen Kapitulation aufgefordert wurde. Brecht war darüber heftig erbost. Derart erbost, dass er zwei seiner außerordentlich unanständigen Sonette, "Über die Verführung von Engeln" und "Saune und Beischlaf" mit "Thomas Mann" zeichnete. Hecht vermerkt im übrigen keine Reaktion Manns auf die Preisverleihung an Brecht - und die "Thomas Mann Chronik" (2004) ebenso wenig.

Hechts Brecht-Bild ist freundlich, und das sei ihm gegönnt, auch wenn er gelegentlich zu freundlich bemüht scheint und man der Ansicht sein kann, dass Brecht das nicht braucht. Zu den biografisch frühen Stücken gehört der Versuch etwa einer Ehrenrettung Brechts als Menschenfreund, der die gegenseitige Achtung als Basis eines angemessenen Umgangs gesehen habe. Kinder wie Erwachsene wertzuschätzen, kennzeichne Brechts Haltung eben als eine besonders menschenfreundliche. Ähnlich ist die Abhandlung über das Liebesmodell, in der er einen Text Brechts zu retten versucht, in dem er nicht sein Bild der Geliebten, sondern die Geliebte dem Bild anzugleichen vorgibt. Dass dieses Denken unserem heutigen Menschenbild widerspricht, ist offensichtlich, ist es doch von der Aufforderung geprägt, den jeweils Anderen in seiner "besonderen Artung und Schwierigkeit" zu sehen. Hecht wendet das auf die Zusammenarbeit zwischen Brecht und Weigel an und auf die spezifischen Anforderungen, die Brecht an Weigel insbesondere als Schauspielerin stellt. Allerdings bleibt der Bruch zur heutigen Norm vorhanden, und Brechts Text wäre auch in jenem Zusammenhang zu verstehen, den das "Lesebuch für Städtebewohner" und seine Sicht auf das Leben in der Moderne vorgibt. Hier ist es mehr das Überleben in der Moderne, das den Rahmen vorgibt, als die Förderung einer Schauspielerin. Aber wo die eine Denkmöglichkeit zu hoch stapelt, stapelt die andere vielleicht einfach auch nur zu niedrig.


Titelbild

Werner Hecht: Brechts Leben in schwierigen Zeiten.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
308 Seiten, 22,80 EUR.
ISBN-13: 9783518419397

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