Notorischer Kotzbrocken

Arno Schmidts "Briefwechsel mit Kollegen" dokumentiert ein Rezeptionsphänomen, das bis heute nicht ergründet ist

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bei "konkret" scheine man "übrigens zeitweisen Verfinsterungen ausgesetzt" zu sein, schreibt Arno Schmidt am 17.8.1960 an Peter Rühmkorf. "Ich schicke, weil beständig darum geplagt, 3 oder 4 schöne Beiträge ein: I Woche später bekomme ich sie, ohne Anschreiben, zurück. Dafür jedoch am nächsten Tage eine Rechnung als 'Abonnent'; (dabei habe ich 'konkret' nie bestellt; lediglich ab und zu Probenummern erhalten)."

Dies ist nur eine der Anekdoten, die man in Schmidts "Briefwechsel mit Kollegen" nachlesen kann und die uns in die Frühgeschichte einer Zeitschrift zurückführen, die nun schon seit über einem halben Jahrhundert existiert. Rühmkorf arbeitete in den 1950er-Jahren als Kulturredakteur für den "Studenten-Kurier", wie "konkret" zunächst noch hieß, und sorgte im Laufe der Zeit mit dafür, dass so mancher heute legendäre Text Schmidts dort als Erstveröffentlichung erscheinen konnte.

Drei Jahre nachdem Chefredakteur Claus Rainer Röhl (ja, er schrieb seinen Vornamen damals mit "C") den von Rühmkorf bereits zur Publikation angenommenen faschismuskritischen Essay "Dya-Na-Sore, blondeste der Bestien" aufgrund seiner Länge (30 Schreibmaschinenseiten) doch noch abgelehnt hatte, war die am 15.11.1960 in "konkret" erschienene, abgründige Freibadgeschichte "Windmühlen" der erste Beitrag Schmidts, den die so langsam etablierte Zeitschrift ihrem Autor sogar zu entlohnen vermochte (mit 400 Mark; vorher hatte Schmidt trotz seiner eigenen finanziellen Schwierigkeiten "im Sinne der guten Sache" akzeptiert, daß Honorarzahlungen nicht möglich waren).

Der von der Arno Schmidt Stiftung finanzierte Band beinhaltet Schmidts Briefwechsel mit insgesamt 40 Autoren, die Herausgeber Gregor Strick erhellend kommentiert hat. Da schreiben Heinrich Böll, Alfred Döblin, Hermann Hesse, Martin Walser, Ingeborg Bachmann, Peter O. Chotjewitz, Peter Hacks, Walter Kempowski und viele andere, die aufzuzählen mindestens ebenso wichtig wäre, obwohl ihre Namen heute teils kaum noch bekannt sind.

Zum Beispiel Ernst Kreuder. 1946 hatte er mit seinem Roman "Die Gesellschaft vom Dachboden" einen internationalen Erfolg gelandet. In den 50-Jahren gehörte er zu den engagiertesten Förderern Schmidts. Die Korrespondenz ist eine der längsten des Bands - und gleichzeitig eine der ulkigsten. Ziemlich schnell wird klar, daß Kreuders poetologische Maximen von Schmidt abgelehnt werden. Hegt Kreuder doch antimoderne Ressentiments gegen die Technik und die Zahlenwelt. Er schwört auf das Erzählen geradliniger Geschichten, die den Leser 'bezaubern' und nicht etwa mit komplexen Formexperimenten verstören sollten. Das kann nicht gutgehen. "BIS HIERHER UND NICHT WEITER!" antwortet Schmidt 1959. Ende.

So oder so ähnlich brechen viele der Briefwechsel ab. Diplomatie? Fehlanzeige. Erstaunlich, mit wem der notorische Kotzbrocken Schmidt trotzdem so alles in Verbindung stand. Die schriftstellerische Crème de la Crème machte ihm ihre Aufwartung, um sich verbale Ohrfeigen oder schlichte Mißachtung abzuholen. Ein Rezeptionsphänomen, das bis heute nicht ergründet ist. Und daher auch eine Edition, die in Zukunft jeder lesen sollte, der sich näher mit der deutschen Nachkriegsliteratur beschäftigen möchte.

Anmerkung der Red.: Diese Besprechung erschien bereits in KONKRET 1/2008.


Titelbild

Arno Schmidt (Hg.): Briefwechsel mit Kollegen.
Herausgegeben von Gregor Strick.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
467 Seiten, 44,80 EUR.
ISBN-13: 9783518802250

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