Literatur und Engagement heute

Tanja Dückers beobachtet und kommentiert in "Morgen nach Utopia" die Gegenwart

Von Dirk HempelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dirk Hempel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Jahr 2005 kam auf Einladung von Günter Grass im Lübecker Buddenbrock-Haus eine Gruppe von Schriftstellern zu einem Werkstattgespräch zusammen. Das später so genannte "Lübecker Literaturtreffen" wurde 2006 mit weiteren Teilnehmern fortgesetzt. Der Nobelpreisträger verfolgte die Intention, "dass das, was ich mit Autoren meiner Generation jahrzehntelang gemacht habe - sich politisch einzumischen -, nicht abbricht."

Einige der mehr oder weniger jüngeren Autoren und Autorinnen hatten sich 2005 im Bundestagswahlkampf für die SPD engagiert. Tanja Dückers gehörte nicht dazu, weder zu den Eingeladenen noch zu den Wahlkämpfern. Im Gegenteil, in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung kritisierte sie eine der Teilnehmerinnen, Eva Menasse, und deren publizistisches Pläydoyer für die politische Parteinahme. Nicht etwa, weil Dückers unpolitisch sei, sondern weil sie unter "politisch sein" bei einem Intellektuellen verstehe, unabhängig zu bleiben. In wenigen klaren Worten beharrte sie auf der Unabhängigkeit der Kunst von Autoritäten wie Kirche und Staat, die seit der Aufklärung schwer erkämpft wurde. Der Posten des neutralen Beobachters komme den Autoren zu, die tagespolitische Einmischung aber stünde ihnen nicht an. Politische Inhalte, gesellschaftspolitische zumal, ließen sich in ihren Werken besser verhandeln.

Diese Position ist grundlegend für die Autorin Tanja Dückers. Aus dieser Perspektive sind auch die 39 Essays verfasst, die nun in dem Buch "Morgen nach Utopia" versammelt sind. Gleichwohl sind sie "engagiert" zu nennen. Die Autorin verfolgt ihre Gegenwart mit wacher Aufmerksamkeit - und sie bezieht Stellung. Zu ihrem Spektrum gehören die großen politischen Themen ebenso wie die kleinen privaten. Sie ist in so unterschiedlichen Genres zuhause wie Reisebeschreibung, politischer Essay, Polemik, Porträt. Sie schreibt über die Zeit des Nationalsozialismus und die Folgen bis heute oder über das problematische Verhältnis zu den Nachbarstaaten im Osten ebenso wie über einen Besuch beim Sylter Arbeitsamt. Ihr Blick reicht von Russland bis in die USA, von Hiroshima bis in die Negev. Der Osten Europas scheint es ihr besonders angetan zu haben. Neben Siebenbürgen und Bukarest widmet sie mehrere einfühlsame Texte ihren Beobachtungen und Begegnungen in Krakau und Warschau. Aber auch den Literaturbetrieb und den Sozialstaat nimmt sie sich vor. Ihre Essays sind zuweilen locker, manchmal auch komplex, aber immer souverän formuliert. Das Buch wirkt in seiner Vielfalt nicht beliebig, sondern verbindet Unterhaltung mit Information im besten Sinne. Die Texte sind zwischen 1999 und 2006 entstanden und zumeist in Zeitungen und Zeitschriften gedruckt worden. Sie wurden für die Ausgabe durchgesehen, aktualisiert und überarbeitet. Drei Erstdrucke sind darunter. Die Beobachterin Tanja Dückers schildert auf anregende Weise Länder, Leute und Debatten, und gewinnt dadurch eher jüngere Leser für das Nachdenken über Gesellschaft und Politik, als die Parteinahme der großen Alten und ihrer Nachfolger.


Titelbild

Tanja Dückers: Morgen nach Utopia. Kritische Beiträge.
Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2007.
229 Seiten, 8,95 EUR.
ISBN-13: 9783746622972

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