Ekelhafte Paarungsseligkeit

Elsa Asenijeffs "Tagebuchblätter einer Emancipierten" bleiben auch nach 100 Jahren originell

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Befasst man sich mit der zu Beginn des 20. Jahrhunderts schreibenden Autorin Elsa Asenijeff und ihren Texten, entdeckt man schnell Gemeinsamkeiten mit zwei anderen Schriftstellerinnen ihrer Zeit: Hedwig Dohm und Helene Druskowitz. Ähnlich wie Dohm versteht Asenijeff sich vorzüglich auf die Ironie, ohne allerdings so ganz an deren Zungenfertigkeit heranzureichen - anders als Dohm neigt sie allerdings gelegentlich zum Sarkasmus. Und weit gravierender noch unterscheidet sich Asenijeff von der Gleichheitsfeministin Dohm durch ihre klischeehafte Betonung der Differenz der Geschlechter. Mit Druskowitz wiederum verbindet sie der Männerhass und die pessimistische Grundhaltung, ohne dass sie allerdings wie diese gleich die Ausrottung des ganzen männlichen Geschlechts fordern würde. Dafür teilt sie mit der Verfasserin der "Pessimistische[n] Kardinalsätze" eine biografische Gemeinsamkeit: Beide wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts pathologisiert und verbrachten ihre letzten Lebensjahrzehnte zwangsweise in "Irrenanstalten".

Nach den beiden Erzählungen "Ist das Liebe?" und "Unschuld" hat der Turmhut Verlag nun Asenijefs Roman "Tagebuchblätter einer Emancipierten" wieder zugänglich gemacht. Auch dieser Band ist mit einem kommentierenden Anhang versehen, der neben einer ausführlichen Zeittafel und einem Bildteil von Florian Trabert verfasste "Erläuterungen zum Text" sowie ein überaus informatives Nachwort von Rita Jorek bietet. Bei letzterem bleibt nur wenig zu monieren. Etwa, dass Jorek zwar eine Stelle aus Asenijeffs "Aufruhr der Weiber" zitiert, in der diese sich über LeserInnen lustig macht, die "blind jedem Wort" glauben, und "überzeugt" sind, "mit der letzten Seite" eines Romans "auch die Seele des Schaffenden ausgeschlürft zuhaben, als ob sie nichts wäre, wie eine Auster zwischen zwei Schalen", ungeachtet dessen aber den vorliegenden Roman selbst über weite Strecken allzu autobiografisch liest.

Traberts Anmerkungen sind hingegen nur selten hilfreich, erweisen sie sich doch gelegentlich als irreführend oder sogar als falsch. Dass der Begriff Peripatetiker nach dem griechischen Verb "peripatein: umhergehen" gebildet ist, trifft zwar zu, mit der Annahme "Aristoteles muss dadurch Aufsehen erregt haben, dass er im Auf- und Abgehen lehrte", modifiziert Trabert allerdings nur eine Erfindung des Neuplatonismus, dem zufolge die Angehörigen der von Aristoteles gegründeten Schule, dem Peripatos, während des Philosophierens umhergingen. Möge dem so gewesen sein oder auch nicht, wichtiger wäre jedenfalls die Information gewesen, dass der Begriff Peripatetiker damals wie heute zur Abgrenzung gegenüber den drei konkurrierenden Schulen (der platonisch-akademischen, der stoischen und der epikureischen) dient und was die Philosophie Aristoteles' von diesen unterscheidet. Ein weiteres Beispiel, ebenfalls der Philosophiegeschichte entnommen: Bekanntlich schrieb derdeutsche Philosoph Leibniz in französischer Sprache und prägte den Ausdruck der "Harmonie préétablie". Seit jeher wird dieser Topos recht treffend mit "prästabilierte Harmonie" übersetzt. Eine "prästabilisierte Harmonie", die Trabert dem Monadologen zuordnet, wäre etwas völlig anderes und hat mit der Lehre von Leibniz nichts zu tun.

Doch nun zum Roman selbst, dessen Lektüre Assoziationen zu einer Gestalt der Philosophie- und Literaturgeschichte evoziert: Timon von Athen. Mit ihm teilt die Protagonistin Irene Pessimismus, Menschenverachtung und Einsamkeitssehnsucht. Und vermutlich ist der Ursprung all dessen auch bei ihr eine tief enttäuschte Menschenliebe.

Wie der Titel des Buches verrät, greift Asenijeff zwar zu einer der beiden literarischen Formen, die Frauen seinerzeit immerhin schon seit 150 Jahren zugestandenen wurden: der Brief- und eben der Tagebuchroman. Doch dies nicht etwa, um bei konservativen Lesern und Literaturkritikern nicht anzuecken, sondern aus literarischen Gründen. Asenijeffs Roman kommt auch eher als eine Reihe undatierter Notizblätter daher, und weniger als Sammlung von Tagebuchaufzeichnungen. So ließen sich Aphorismen und Reflexionen allgemeiner Art zwanglos mit Berichten und Szenen verbinden, die sich erst langsam zu so etwas wie einer Handlung verdichten. Aufgebrochen wird die Fiktion des Tagebuches zudem durch die "Aufzeichnungen [der] letzten Lebenstage" einer Freundin Irenes, die zwischen den ersten unbetitelten und den unter der Überschrift "Ein Seelengangrän" stehenden zweiten Teil des Romans geschaltet sind.

Irene, deren Maxime "Immer die Ehre seines Geschlechts im Auge haben" lautet, ist sechsundzwanzig Jahre alt und hat sich gerade scheiden lassen. Dabei hatte ihr Gemahl sie eigentlich "lieb" und war sogar "ein guter Mensch". Nur stand er leider "immer ein paar Stufen tiefer" als sie. "Das kann doch ein Weib nicht ertragen, die Hinabsteigende zu sein - eben weil sie die Empfangende im generellen Sinne ist."

Diese kleine Passage ist geradezu symptomatisch für den Roman und das Problem, dass man mit ihm haben kann, ja muss. Verquicken sich in ihr doch Selbstständigkeit und Emanzipationsstreben der Heldin mit ihrem biologistisch-konservativen Weiblichkeitsbild. Besonders prägnant kommt dies auch in der - gut ein Jahrhundert später einen Sammelband als Titel schmückenden - Sentenz "da ist nichts mehr, wie es die Natur gewollt" zum Ausdruck, bei der es sich nicht etwa um den Seufzer eines alten Misogyn handelt. Vielmehr beklagt Irene mit diesen Worten, dass das "Weibesleben" vom Mann "geformt" werde. Das ist zweifellos heute noch ebenso beklagenswert wie damals. Nur würde inzwischen keine Feministin oder auch nur gender-theoretisch informierter Mensch mehr auf die Idee kommen, hiergegen die Natur des Weibes ins Feld zu führen.

Irene nutzt die durch Scheidung und unerwartete Erbschaft gewonnene Freiheit, um Chemie und Naturphilosophie zu studieren. Denn "[d]as alte, verhängnisvolle Erkenntnisfieber schüttelt mich". Neben der Protagonistin prägen drei weitere Figuren das Geschehen. Da ist zunächst Hella, "[d]as exotische Frauenzimmer, wie die Studenten sie heissen". Eine Seelenverwandt Irenes, mit der "doch vielleicht das Ewig-Unmögliche einer Frauenfreundschaft realisierbar geworden" wäre. Doch Hella, die einst erklärt hatte, "wenn irgend etwas eine Fabel ist, so ist es die von der Liebe des Weibes zum Manne", tötet sich, weil sie sich verliebt hat. Indem sie "ins Wasser" geht, wählt sie hierzu eine typisch 'weibliche' Art des Suizids. Nach ihrem Tod wird sie von Irene als "Allerklügste und Sternenherrliche" vergöttert.

Eine andere Bekannte, einstmals eine vielversprechende Autorin, heiratet, stumpft in der erdrückenden Gegenwart des ebenso dumpfen wie herrschsüchtigen Mannes ab, verliert ihre Willenskraft und stirbt, wobei es ihr erst auf dem Totenbett gelingt, sich von ihm beziehungsweise ihrer Unterwerfung zu befreien.

Die dritte Nebenfigur ist ein Vertreter des männlichen Geschlechts, dessen doppelt männlicher Name Dr. Berthold Gerhard sein Mannsein betont. Zunächst fasst die Protagonistin eine gewisse Zuneigung zu ihm und glaubt sich von ihm verstanden. Doch nach einem Vergewaltigungsversuch, den sie wehrhaft verhindert, erfährt sie, dass er auch nur einer dieser "Weiberjäger" ist, der sie "förmlich auf sein offizielles Programm [ge]setzt" hatte und der in Kneipen seinen johlenden Kumpanen ihre Briefe vorgelesen hat.

Die zahlreichen Reflexionen und Überlegungen in den fiktiven Aufzeichnungen spiegeln nicht nur die hier dürftig zusammengefasste Handlung des Romans, sondern geben ihr einen allgemeinen Charakter und betten sie in ein pessimistisches Welt- und Menschenbild ein, in dem Männer- und Sexualfeindschaft prominente Plätze einnehmen. So geißelt Irene etwa die "echt männliche Verstümmelungswut" oder klagt "ist doch so ein Mann etwas Dummes". Diese Verachtung der Männer korrespondiert mit einem ausgeprägten "[E]kel" vor der menschlichen "Paarungsseligkeit". Zwar "sehn[t]" sich Irene nach Liebe, "aber wenn sie kommt, in Form des lüsternen, unpoetischen Männchens, dann sinkt das Gefühl in sich zusammen." "Alles", erklärt sie schließlich, sei "schöner als die Liebe, dieser 'Arme-Leutgehirn'-Genuss!"

Überwölbt werden Irenes Männer- und Sexualfeindschaft von einem alles umfassenden Pessimismus, der sich meist in griffigen Sentenzen äußert - "Wir haben pestkranke Seelen", "Nichts ist rein und heilig. Nur am Schmutz speist sich das Leben", "Nichts ist edel und einem guten Menschen bin ich nur in Büchern begegnet", "[D]ie ganze äußerliche Existenz löst sich in verunglückte Einzelerlebnisse auf", "Ich bin ein Mensch! Alles Herrliche ist mir also verwehrt". Diese Welt- und Daseinsverachtung mündet in den Wunsch nach Einsamkeit: "Alleinsein ist doch am schönsten". Folgerichtig sehnt Irene am Ende ihrer Tagebucheintragungen die "stille Vorfeiern des Todes" herbei. "Dann löst sich der Leib. Die stockende Lähmung, die unser Leben ist, kommt in neuen Fluss [...] Weiteren Daseinsformen bin ich Grundstoff: Blume, Tier oder Mineral, Wolken und Sterne zugleich."


Titelbild

Elsa Asenijeff: Tagebuchblätter einer Emancipierten. Band 4.
Herausgegeben von Henriette Herwig und Jürgen Herwig.
Turmhut-Verlag, Mellrichstadt 2006.
222 Seiten, 13,20 EUR.
ISBN-10: 3936084610
ISBN-13: 9783936084610

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