Intermedialität als Indiz für den Generationenwechsel?

Volker Wehdeking beleuchtet die Erfolgsgeschichte der jungen deutschen intermedialen Literatur als Generationsphänomen

Von Evi ZemanekRSS-Newsfeed neuer Artikel von Evi Zemanek

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Infolge der wachsenden Mediendominanz in unserem Alltag werde die Literatur stetig intermedialer, so lautet die Ausgangsbeobachtung für die Verknüpfung von Intermedialitäts- und Generationenforschung, wie sie Volker Wehdeking in seinem Buch "Generationenwechsel. Intermedialität in der deutschen Gegenwartsliteratur" überzeugend vollzieht. Offensichtlich sei die Zunahme extensiver Medienreflexion und die experimentelle ,Erweiterung' des literarischen Mediums durch Integration oder Simulation anderer Medien: Neben Musik, Bildkunst und Comic, Fotografie, Film und Fernsehen werden vermehrt die digitalen und elektronischen Medien in der histoire thematisiert und im discours imitiert. Dies konzentriere sich im postmodernen Roman im Einklang mit dessen spielerischem Genremix und seiner Mehrfachkodierung, so Wehdeking. Besonders augenfällig seien "strukturelle Folgen" von Intermedialität - wie er anhand zahlreicher Beispiele zeigt, in minimalistischen und neorealistischen Erzählweisen.

Wehdekings Intermedialitätsverständnis, das sich auf ein Konzept von Werner Wolf stützt, meint "die Beteiligung mindestens zweier Medien im Erzählverfahren oder im Medienwechsel in auch strukturell bereichernder und gegenseitig erhellender Weise". In diesem Sinne widmet sich Wehdeking einer direkten oder auch und verdeckten "Medienthematik mit Strukturauswirkungen" sowie dem "Medienwechsel mit einer dadurch generierten neuen Bedeutungsebene". Während im ersten Teil der zweigliedrig aufgebauten Studie die visuellen Medien dominieren und vor allem Filmadaptionen und Drehbücher (von Thomas Brussig, Frank Goosen, Helmut Krausser, Josef Haslinger, Florian Henckel von Donnersmarck) unter die Lupe genommen werden, demonstriert der zweite Teil "die intermediale Auswirkung des zunehmend durch die Mediengewohnheiten aus Film und Fernsehen gelenkten Blicks" anhand der Erzähltexte von Judith Hermann, Yoko Tawada, Alexa Hennig von Lange und anderen.

Im Bewusstsein, dass die Literaturverfilmung seit geraumer Zeit ein Lieblingsthema der Intermedialitätsforschung ist, interessiert sich Wehdeking für den umgekehrten Fall, in dem das Drehbuch dem Roman vorausgeht: wie bei Brussigs "Wie es leuchtet" (2004), bei dem die ursprüngliche Ausrichtung auf das Bildmedium in filmisch-fotografischer Erzählweise sichtbar bleibt. Überdies schenkt er dem Zusammenspiel von Fernsehen (als deutschem ,Leitmedium') und Literatur Beachtung: Birgit Vanderbekes Prosa reflektiere die omnipräsente Werbung, indem sie "ständig neue und kurz eingeblendete Bilder wie Werbespots aufkommen" lasse. Die strukturbildende Funktion einer innovativen Textgenese auf dem Tonband zeigt Wehdeking anhand von Juli Zehs Roman "Adler und Engel" (2001), in dem der Protagonist seine Erlebnisse einem DAT-Recorder diktiert. Von "elektronischem Expressionismus" spricht er, um die Auswirkungen des Internets und dessen Kommunikationsweisen auf das Erzählen anhand von Norman Ohlers Berlin-Roman "Mitte" (2001) zu beschreiben. Und auch die Umsetzung der Comic-Lektüre der Protagonistin in Alexa Hennig von Langes "Relax" (1997) vermag er im minimalistischen Erzählverfahren nachzuweisen. Ähnlich ergänzt er den gängigen Blick auf die Medienthematisierung in der Erzählprosa, indem er anhand von Moritz von Uslars Gieseking-Roman die Parodisierung der Medienreflexion zeigt, realisiert durch Interpolation und Dekonstruktion von essayistischen Passagen, wie man sie im klassisch-modernen Roman, etwa bei Thomas Mann, findet.

Sein besonderes Augenmerk gilt sozialkritisch relevanten Medienbezügen und folglich deren Konsequenzen für die ethisch-philosophische Gesamtbedeutung. Diesbezüglich scheiden sich die verschiedenen mediengesättigten ,Generationen' von einander, differenziert man, wie es die Autoren (von Florian Illies bis Douglas Coupland) selbst tun, zwischen ,Generation Golf', ,Generation X', und so weiter. Ohne den Generationenbegriff zu problematisieren, bindet Wehdeking sein Generationenpanorama an die Medienentwicklung: Er kontrastiert beispielsweise eine "gegenüber dem Massenmedium skeptische Zwischengeneration", der er Brigit Vanderbeke (geb. 1956) zurechnet, mit einer den "Produkt-Hedonismus" und die populären neuen Medien bejahenden ,Single Generation', der Sven Regener (geboren 1961), Frank Goosen (geboren 1966) und andere angehören. Verglichen werden außerdem die Perspektiven von Ost- und West-Autoren. Ungeachtet ideologischer Unterschiede in der Bewertung der politischen Entwicklungen ebenso wie in der Haltung gegenüber den Neuen Medien (Enthusiasmus versus Skepsis) stellt er fest, dass sich Texte ehemaliger Ost-Autoren aus den 1990er-Jahren in ihren intermedialen Gestaltungsverfahren schnell an solche der westlichen ,Generation Golf' angleichen. Vereint seien diese Generationen in ihrem Schicksal, zunehmender De-Realisierung und Simulation (Jean Baudrillard, Friedrich Kittler) ausgesetzt zu sein, und gemeinsam ist ihnen eben auch die künstlerische Auseinandersetzung damit - weshalb Wehdeking "Intermedialität als Generationenklammer deutschsprachiger Gegenwartsliteraturen" begreift.

Das innovative Moment seiner Studie ist ihre Komplexität, die Multiperspektive auf die Werke. Im Hinblick auf Konzept, Methode und Sprachgestus handelt es sich mehr um eine medien- als um eine rein literaturwissenschaftliche Studie, denn es werden, obwohl nur oberflächlich, zum Beispiel die Produktionsmechanismen bei Verfilmungen, die Kriterien bei der Suche nach ,verfilmbaren' Texten und das Erwerben der Rechte angerissen. Überdies wird die Markt- und Leserforschung gestreift, illustriert durch (PowerPoint-)Schaubilder, die Wehdekings Studie beinahe so intermedial machen wie die darin behandelten Romane - aber nicht alle nötig wären, sondern eher irritieren.

Unter den Vorzeichen der Leserforschung versucht er, dem großen Erfolg intermedialer Literatur auf den Grund zu gehen. Die Akzeptanz von Kultbüchern wie etwa Regeners "Herr Lehmann" erklärt er durch die multimedialen Rezeptionsmöglichkeiten, die darin angelegt sind und durch Hörbuchversionen, Soundtrack-CDs und Film-Tie-Ins verstärkt werden. Sie entsprechen den multimedialen Rezeptionsgewohnheiten jüngerer Leser aus dem ,hedonistischen Milieu', die nicht selten die Filmadaption vor der Roman(-vorlage) konsumieren. Während durch intermediale Texte wie "Herr Lehmann" zunächst vor allem "City Yuppies", "Postmaterielle", "Moderne Performer" und "Experimentalisten" angesprochen werden, lesen die "Konservativen" der "Bürgerlichen Mitte" eher Daniel Kehlmanns "Vermessung der Welt". Erst der Medienwechsel erschließt beiden Romanen weitere Zielgruppen. "Herr Lehmann" erreicht durch Verfilmung und Soundtrack - maßgeblich durch die Auswahl der Musik, nämlich eine Mischung aus Klassikern der 1980er-Jahre mit neuen Songs - eine generationenübergreifende Wirkung. Dank einer Hörbuch-Version begeistern sich für die "Vermessung der Welt" nun nicht mehr nur die bildungsbürgerlichen Leser historischer Romane, sondern auch die "Fans der Pluralität der Diskurse".

Wehdekings Interesse beschränkt sich nicht auf die sozialen Hintergründe der Leserschaft, sondern erstreckt sich auch auf die Autoren, was in ausführlichen Vorstellungen derselben mündet. Die oben genannten "Fans der Pluralität der Diskurse" werden auch Wehdekings vielseitiges Buch schätzen: Dank seiner episodischen Anlage kann man darin je nach persönlichem Interesse querlesen, da die Besprechungen der jeweiligen Werke autonom lesbar sind. Außergewöhnlich ist allerdings, dass sich Wehdeking zwei Unterkapitel von Marie-Hélène Quéval (Université du Maine, Le Mans) ausborgt: ein unveröffentlichter Aufsatz, dessen Übernahme von der Verfasserin genehmigt wurde, wie eine Fußnote informiert.

Die Vielfalt seiner Ergebnisse zusammenfassend, stellt Wehdeking fest, dass der selbstverständliche Alltagsgebrauch der neuen Medien zwar dazu führt, dass diese in der jüngsten deutschen Gegenwartsliteratur stets kulissenhaft präsent sind und narrativ imitiert werden, jedoch kaum mehr essayistische Medienreflexion auslösen. Ausnahmen findet er in neorealistischer Hochliteratur, zum Beispiel in Ulrike Draesners "Mitgift" (2002). Den meisten betrachteten Texten ist aber eine zunehmende Mediensimulation in der Wahrnehmung der Protagonisten gemeinsam: "Der veränderte mediale Blick verändert die Strukturen der Erzählprosa als Spiegel der mentalen Disposition." Konkreter und durchaus plausibel führt er die behandelten Büchererfolge auf die Nähe zu Themen und Verfahren des beliebten neuen deutschen Films zurück. Fraglich ist daher seine Behauptung, dass sich das Erfolgsphänomen deutscher intermedialer Literatur Impulsen aus der diesbezüglich angeblich fortschrittlicheren angloamerikanischen und romanischen Erzählprosa verdanke.

Schließlich resultiert Wehdekings Studie in der pauschalisierenden Diagnose: "Intermedialität ist aus der jüngeren deutschen Gegenwartsliteratur nicht mehr wegzudenken". Stimmt dies nicht allein schon deshalb, weil neuerdings alles mit dem Etikett 'intermedial' versehen wird? Trotz Nachzeichnung der ,Erfolgsgeschichte' intermedialer Literatur verweist Wehdeking am Rande auch auf Vorbehalte in der Medientheorie gegenüber einer "zunehmenden Hybridation der intermedialen Texte mit neuen Medien". In der Tat mag so mancher Literaturliebhaber mit Tholen (2002) eine durch irritierende Fusion heterogener Einzelmedien entstandene "Maßlosigkeit, Unreinheit und Uneigentlichkeit" beklagen.

Wehdekings Studie beleuchtet nicht nur den Generationenwechsel in der intermedialen Literatur, sondern figuriert selbst als Indiz für den Generationenwechsel in der Intermedialitätsforschung: indem sie, viel routinierter und weniger formalistisch-skrupulös als die Studien der ersten Generation, die mittlerweile geläufige Perspektive mit einer neuen kombiniert und so auch bei der Betrachtung bekannterer Texte trotzdem noch zu neuen Erkenntnissen gelangt.


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Volker Wehdeking: Generationenwechsel. Intermedialität in der deutschen Gegenwartsliteratur.
Erich Schmidt Verlag, Berlin 2007.
225 Seiten, 39,80 EUR.
ISBN-13: 9783503098279

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