Der Betrachter als Täter

Arturo Pérez-Revertes Roman "Der Schlachtenmaler"

Von Marcus Andreas BornRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marcus Andreas Born

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ich wollte Ihnen erzählen", sagte er und stieß eine Rauchwolke aus, "dass ich mich einmal, im Morgengrauen, vor einem Angriff übergeben habe. Aus bloßer Angst. Ich wischte mir den Mund mit einem Papiertaschentuch ab. Ich warf es weg, und es blieb wie ein kleiner heller Fleck an einem Strauch hängen. Ich starrte dieses Taschentuch an, während es Tag wurde... Immer, wenn ich jetzt an die Angst denke, erinnere ich mich an dieses Papiertaschentuch, das an einem Strauch hing."

Der Maler Andrés Faulques hat sich in einen alten, fast unzugänglichen Wachturm zurückgezogen, auf dessen Innenseite er ein Schlachtengemälde malt. Unerwartet erhält er Besuch von einem Mann, Ivo Markovic. Diesen hat er vor etlichen Jahren bei Vukovar im ehemaligen Jugoslawien "beinahe zufällig" fotographiert, als er sich mit anderen Überlebenden einer kroatischen Einheit nach aussichtsloser Mission vor den feindlichen Panzern zurückzog. Durch das Foto kam er zu ungewollter Berühmtheit, wurde zum Symbol des Krieges. Dadurch, dass er auf dem Bild wiedererkannt wird, müssen er und seine Familie zusätzliches Unheil erleiden. Der von Faulques totgeglaubte Markovic erklärt diesem seine Absicht, ihn zu töten. Zuvor will er sich jedoch mit ihm unterhalten.

Der Spanier Pérez-Reverte beschäftigt sich in seinem Roman mit dem Zusammenhang von Zufall und Verantwortung. Der Text zeigt den Schmetterlingseffekt, auf den auch explizit anhand der Verstrickung der Lebensgeschichten zweier Männern hingewiesen wird, die in einem Augenblick ihres Lebens auf unterschiedlichen Seiten eines Fotoapparates standen. Für Faulques stellt das Bild einen Erfolg dar, für Markovic den Grund für die endgültige Zerstörung seines bisherigen Lebens. Das eigentlich unbedeutende Schnappen des Spiegels einer Kamera verändert zunächst das Leben des Fotografierten, schlägt aber nach Jahren auf den Fotografen zurück, der sich dem Reisen von Kriegsschauplatz zu Kriegsschauplatz ab- und der Malerei zugewandt hat. Unbemerkt hat sich Markovic an die Fersen des Malers geheftet, studiert dessen Bilder, um ihm dadurch näher zu kommen. Dabei hat er gelernt, ist geistiger geworden, weil dies die einzige Möglichkeit für ihn schien, sich seinem Opfer anzupassen: "Wissen Sie, was ich tatsächlich glaube? [...] Dass jeder Jäger von der Art der Jagd geprägt wird, der er sich widmet. Und ich habe zehn Jahre Ihre Spur verfolgt. Ich habe Sie gejagt." Auch das Gespräch mit dem Gejagten lässt sich in das Konzept der Jagd einfügen. Obwohl sie sich schon gegenüberstehen, hat Markovic denjenigen noch nicht verstanden, der sein Leben mit einem kurzen, festgehaltenen Augenblick vollends verändert hat. Aber er will auch Faulques zur Selbsterkenntnis bringen, bevor er ihn tötet: "Sie sollen verstehen [...]. Manche Antworten haben Sie ebenso nötig, wie ich."

Zu diesem Zweck betrachten die beiden gemeinsam das Schlachtengemälde, von dem aus Faulques immer wieder in Erinnerungen abgleitet. Es stellt sich als die Essenz des bisherigen Schaffens des Künstlers dar. Er selbst, der dem Elend, das andere erleiden, zusieht, schiebt das Abbilden zwischen sich und die Situation. Die Technik der Aufnahme ersetzt die Konfrontation mit dem Abgebildeten. Die Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk soll demnach zu einem Verständnis des Verdrängten führen. Wenn der Besucher sagt "Ihre Malerei ist voller Rateaufgaben, habe ich den Eindruck. Voller Rätsel", so wird wieder ein Thema von Pérez-Revertes "Das Geheimnis der schwarzen Dame" angespielt, in dem das Kunstwerk zum Menschen führt. Im Kunstwerk suchen die beiden sich selbst und einander.

Mit "Der Schlachtenmaler" scheint Arturo Pérez-Reverte ruhiger geworden zu sein. Der Text spielt sich fast gänzlich im Wechsel der Gespräche Markovics mit Faulques und dessen Erinnerungen ab. Durch Rückblicke wird auf einer weiteren Ebene die (tragische) Liebesgeschichte Faulques' zu seiner Begleiterin Olvido eingebunden, die an mancher Stelle etwas zu gewollt in den Vordergrund geschoben wird. Die komplex ineinander verschachtelten Themen - Krieg, Liebe, Tod, Zufall, Verantwortung - werden über die künstlerische Thematik angesprochen, ohne gelöst zu werden. Dabei schöpft der Autor aus eigenen Erfahrungen als Kriegsberichterstatter, die er mit umfassenden Kenntnissen der kulturellen Tradition in ein fruchtbares Zusammenspiel bringt. Eine der großen Leistungen des Textes ist, dass moralische Fragen nicht gelöst, sondern dargestellt werden. Der Text lädt den Leser zur Reflexion ein, zwingt diese jedoch nicht auf und behält so seinen ruhig-beobachtenden Grundtenor bis zum Schluss.


Titelbild

Arturo Perez-Reverte: Der Schlachtenmaler. Roman.
Übersetzt aus dem Spanischen von Ulrich Kunzmann.
C. Bertelsmann Verlag, München 2007.
288 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783570009901

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