Wenn Immobilienhaie beißen

Der Ruf der Immobilienbranche lässt auch für Peter Temple zu wünschen übrig

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Windenergiebranche zum Beispiel ist noch weit davon entfernt, in der Mitte unserer Gesellschaft angelangt zu sein, wo immer dies auch sein mag. Dafür gibt es zwei Indizien: Zum einen beklagen sich Branchenvertreter immer noch darüber, dass sie in der Öffentlichkeit nicht angemessen wahrgenommen würden. Zum anderen ist zwar die Liste der vermeintlichen schwarzen Schafe - wenn auch nur gemächlich - angewachsen und hat zu der einen oder anderen Sorgenfalte geführt. Trotzdem fehlt der Branche bis heute ein zentrales Merkmal, mit dem sie Brief und Siegel dafür erhielte, dass sie nicht mehr nur das Produkt von "Ökospinnern" ist, sondern ein hartes, umkämpftes, lukratives und gelegentlich auch arg unehrliches Geschäft - es gibt keine Kapitalverbrechen, die krimiwürdig wären.

Ganz anders hingegen die Immobilienbranche. Seit Jahrzehnten hat sie das Feld der Korruption samt Mord und Totschlag besetzt. Schon im seligen "Kommissar" und erst recht im "Alten" und im "Tatort" waren ihre Repräsentanten von steter Gewaltbereitschaft geprägt. Und das hat sich bis heute nicht geändert. Kaum tauchen Herren und Damen im Businessdress in heruntergekommenen Gegenden auf, kann man sich sicher sein, dass es hier um Geld gehen wird. Und wo es um "Geld geht, um viel Geld", da lauert das Verbrechen. Gauner, Halunken, Räuber, Politiker, Mörder, Makler und Diebe (und gelegentlich ein Sparkassendirektor) sammeln sich in der Immobilienbranche, rotten sich zu gemeingefährlichen Banden zusammen und hecken gemeine Pläne aus, um die Gesellschaft auszubeuten und ihre Taschen zu füllen, um damit ihren großspurigen Lebenswandel zu finanzieren. Sie versichern sich dabei gern der Mithilfe von unterbezahlten Ordnungshütern, bei denen sowieso nie ganz klar ist, auf welcher Seite sie stehen, auf der guten oder auf der bösen. Da ist für ein paar Scheinchen schnell mal ein unliebsamer Detektiv, Konkurrent oder Hausbesitzer aus dem Weg geräumt und (gute alte Tradition) im Fluss versenkt oder in den Fundamenten eines Großprojektes (ein klassisches Beispiel für eine Synergie).

Auffallend, dass die Immobilienbranche sich offensichtlich dazu entschlossen hat, dagegen nicht publizistisch anzugehen, um gegebenen falls ihren Ruf wieder herzustellen. Absicht oder Einsicht? Wer würde das zu entscheiden wagen?

Räuberpistolen? Beschränktes Weltbild? Keine Frage, aber in der Wahl zwischen den Verbrechen in einer neuen und globalisierten Ökonomie oder dem guten alten Immobilienhai scheint den Krimischreibern letzterer doch meist angenehmer und geläufiger zu sein. Vielleicht wegen der überhöhten Mieten oder der Probleme bei der Finanzierung des Eigenheims? Fragen, die nicht so schnell zu beantworten sein werden.

Auch nicht von Peter Temple. Er lässt seinen Helden Jack Irish wie gewohnt Pferdewetten vorbereiten, die sicheren Gewinn abwerfen sollen, gelegentlich spürt er jemanden auf, und da ist noch dieser alte Fall aus der Zeit, in der er noch als Anwalt gearbeitet hat. Ein alter Klient (er hat keine Ahnung, wer das sein soll) ruft ihn an und bittet um Hilfe. Als sich Jack endlich dazu entschließt, auf die lästigen Anrufe einzugehen, muss er feststellen, dass der Anrufer mittlerweile erschossen wurde, und zwar von Polizisten. Drogen angeblich - was Jack nicht glauben mag, zumal er Hinweise dafür bekommt, dass sein Ex-Klient schon damals, als er ihn erfolglos verteidigte, getäuscht worden ist und der Unfall unter Alkoholeinfluss mit Todesfolge gar nicht auf seine Kappe geht. Acht Jahre Gefängnis für nichts? Jack kann sich nicht vorstellen, wer sowas hinnehmen würde, nur dass sein Klient zum Tatzeitpunkt dermaßen betrunken war, dass er sich an gar nichts erinnern kann, und erst recht nicht daran, ob er eine junge Frau überfahren hat.

Diese junge Frau war eine politische Aktivistin, die den Ausverkauf eines hafennahen Areals verhindern wollte, das knapp zehn Jahre später mit viel Geld und großem Theater von Seiten der neuen, unternehmensfreundlichen Regierung zu einer Schickmicki-Gegend ausgebaut werden wird. Ein unschuldig Verurteilter, eine politische Aktivistin, die zu Tode kommt, weitere verdächtige Todesfälle, Leute, die unvermittelt zu Geld kommen, Politiker und Polizisten, die verdächtig aktiv werden, geheimnisvolle Zufälle wie niederbrennende Häuser oder Autos, die anderen zufällig hinterher fahren - all das deutet darauf hin, dass hier ein Sündenbock in den Knast gegangen ist und das wahre Verbrechen viel größer ist, als man ahnt.

Das Ganze wird zu einem einigermaßen undurchsichtigen Gebräu zusammengemischt, in dem sich bis zum Schluss niemand wirklich zurecht findet. Unser Detektiv nicht, weil er keine Ahnung hat. Und wir nicht, weil wir nicht einmal wissen, was unser Held weiß. Und überhaupt: Ob am Ende die Immobilie wirklich jeden einzelnen dieser Morde und sonstigen Verbrechen wert ist, bleibt eine Frage, die sich jeder Leser selbst beantworten muss. Um ehrlich (und nicht moralisch) zu sein, eher nicht.


Titelbild

Peter Temple: Vergessene Schuld.
Übersetzt aus dem Englischen von Sigrun Zühlke.
Goldmann Verlag, München 2008.
350 Seiten, 7,95 EUR.
ISBN-13: 9783442463954

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