Kokosextrakt schließt die Schuppenschicht

Christian Schünemanns Starfrisör Tomas Prinz ermittelt wieder

Von Christina LangnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Langner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kurz vor Weihnachten im winterlichen Moskau: Tomas Prinz, Christian Schünemanns Starcoiffeur mit kriminalistischem Talent, ist zu Besuch bei seinem Lebensgefährten Aljoscha und denkt doch ständig an seinen Salon im Münchner Glockenbachviertel. Er scheint zu ahnen, dass ihn bei seiner Rückkehr ein neuer Fall erwarten wird. Zunächst tatsächlich nur ein Fall. Der Mord lässt lange auf sich warten, gleichwohl der Leser schon recht früh zu ahnen beginnt, wer das Opfer sein wird: Tomas Prinz' urplötzlich aufgetauchter Bruder Jakob!

Bis dieser, auf nicht unkreative Art und Weise, unschön im Farbeimer ertrinkt, versucht der schwule Ich-Erzähler nach seiner Rückkehr aus Moskau zwischen Beratungsgesprächen über Extensions, Foliensträhnen und Shampooing herauszufinden, wer Jakob eigentlich ist, was er will und ob er tatsächlich sein Bruder ist oder nur ein hinterhältiger Erbschleicher, der es auf das Vermögen seiner Familie abgesehen hat.

Schünemanns erfolgreicher Hobbyermittler erzählt das Ganze in seiner dem Leser bereits bekannten Bescheidenheit. Klischees, die sich bei einem als schwulen Starfrisör gezeichneten Krimihelden geradezu aufdrängen, meidet Schünemann bald schon so gekonnt, dass Tomas Prinz wiederholt in die brave Biederkeit abzudriften droht. Passagenweise keimt beim Lesen dann doch das heimliche Bedauern darüber auf, dass der Autor so gar nicht in den großen Klischeefarbtopf gegriffen hat.

Erfrischend wirken da die immer wieder eingestreuten Kommentare des Helden, der den "Out-of-Bed-Look" so mag, zu den Frisuren seiner Mitmenschen; denn natürlich beurteilt er jeden zunächst erst einmal nach seinem Haarschnitt. So erfahren wir etwa, dass der russische Mann fälschlicherweise davon ausgeht, "mit einem sauber ausrasierten Nacken" sei es bereits getan und es versäumt "mit einer Stufung das fehlende Volumen am Hinterkopf zu kompensieren" und erhalten durchaus realistische Tipps und Tricks für die richtige Haarpflege: Spülungen mit Kokosextrakt schließen die Schuppenschicht, Lavendel entspannt die Kopfhaut und wenn man die Spitzen etwas dunkler färbt, dann wirkt die Frisur "vom Charakter her satter".

Christian Schünemann hat mit "Der Bruder" seinen zweiten Fall als Romanautor gut bewältigt, auch wenn - um in der Welt der Frisuren zu bleiben - es sich eher um einen unprätentiösen "Wash-and-Go"-Schnitt handelt, als um eine kunstvoll hochgesteckte Abendfrisur. Highlights muss man nicht erwarten, teilweise hätte Schünemann an den Konturen noch ein wenig nachschneiden können, alles in allem hat er aber einen alltagstauglichen "Durch-Schnitt" hingezaubert.


Titelbild

Christian Schünemann: Der Bruder. Ein Fall für den Frisör.
Diogenes Verlag, Zürich 2008.
288 Seiten, 8,90 EUR.
ISBN-13: 9783257237238

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