Blick auf uns selbst

Kathrin Gerlof debütiert mit einer Art Metaroman

Von Lars ClaßenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lars Claßen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was macht eine gute Geschichte aus? Diese Frage könnte man in einem Colloquium für kreatives Schreiben tagelang diskutieren. Ihr Unterhaltungswert, würden einige sagen. Für ihre Aussage machten sich vielleicht andere stark. Auf den Wahrheitsgehalt im Sinne einer absoluten Deckungsgleichheit des Erzählten mit dem tatsächlich Geschehenen käme es wahrscheinlich nur wenigen an. So gesehen tut es der Qualität von Kathrin Gerlofs Debütroman keinen Abbruch, sich nicht auf prüfbare Fakten stützen zu können, denn 'wahr' in dieser Hinsicht ist "Teuermanns Schweigen" wohl kaum.

Markov kehrt der Stadt den Rücken, um seine Doktorarbeit über die Semantik von Führungsgrundsätzen zu beenden. Auf dem Land "borgt" er sich ein Haus. Als er sich eines Tages beim Pilzesammeln im Wald verirrt, macht er eine sonderbare Bekanntschaft. Mitten auf einer in Sonnenlicht getauchten Lichtung sitzt ein Mann, der wie aus der Zeit gefallen scheint. "Ich bin Teuermann, sagte er, als sei dies Erklärung genug."

Von nun an füllen sich die Räume des geborgten Heimes mit kuriosen Geschichten, die den Ich-Erzähler zugleich verstören und betören. "Ich saß auf dem Stuhl, schaute zu, wie sie starb [...]. Annas Geschichte war zu Ende, es konnte keine Fortsetzung geben. Jedenfalls dachte ich das." Wie schmerzhafte Erinnerungen wirken Teuermanns Bekenntnisse - rücksichtslos, abgründig und faszinierend. Aber sind sie echt?

Indem Gerlof ihren Protagonisten an der Glaubwürdigkeit und für ihn somit auch an der Wahrheit von Teuermanns Geschichten zweifeln lässt, stilistiert sie ihre Prosa zu einer Art Metaroman. Intelligent schreibt sie den Leser als solchen in ihre Erzählung hinein und macht den Beobachtenden zugleich zum Beobachteten. So wird jeder Blick auf Markov zu einer Reflexion über die eigenen Ansprüche und "Teuermanns Schweigen" zu einem Diskurs über die (Ohn-)Macht der Fiktion. Dabei ist dieses Debüt in einem so ausgewogenen und unaufgeregten Ton gehalten, das jegliche unangenehme Reibung ausbleibt. Das könnte vielerorts als souverän durchgehen. Allerdings erwarten wir doch gerade von Debütanten eine unbeeindruckte Sprache, die sich tollkühn und naiv dem Risiko aussetzt, zu missfallen.

Zugegeben, Kathrin Gerlof hat die 40 bereits überschritten und ist daher wohl nicht mehr in die Schublade der so genannten jungen Wilden zu stecken. Noch dazu trifft es die Bezeichnung Debütantin nicht so ganz, denn 1999 veröffentlichte sie bereits ein Sachbuch über den Kalten Krieg. Dennoch hätte man sich von der hauptberuflichen Journalistin und Texterin eine weniger besonnene und dafür frischere Schreibe gewünscht.

Doch noch einmal zur Wahrheit. Wahr ist, dass Markov zunächst vorgibt, lediglich daran interessiert zu sein, Geschichten zu hören, nicht jedoch sie selbst zu erzählen. "Mir liegt nicht daran, verstanden zu werden", will er unmissverständlich klarstellen. Dennoch sehen wir die Dinge zunächst, wie er sie sieht. Er gibt uns Einblick in die Geschehnisse, er ist unser (fragwürdiger) Erzähler.

Was genau bestimmt also den Wahrheitsgehalt einer Geschichte? Sollte das entscheidende Kriterium tatsächlich die zu Beginn angesprochene Verifizierbarkeit sein? Die Antwort ist: nein! Es ist vielmehr die Möglichkeit des Sich-wiederfindens, die Aufforderung, sich im Erzählten einzunisten, es zu bewohnen und nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten. Hier wird ein schiefes Bild mithilfe der eigenen Lebenserfahrung geradegerückt, dort wird ein neuer Raum erschlossen, den man vorher noch nicht kannte. Umgekehrt: Man will sich manipulieren lassen. Sich anbieten. Als Gefäß für erzählte Geschichten, um sich damit auf der Welt zu halten, wie Markov es an einer Stelle treffend formuliert.

Es ist der Blick auf und in uns selbst, den wir von einer guten Geschichte erwarten. Daten, Fakten, Jahreszahlen schlagen wir im Brockhaus nach, sie liefern wenige Erkenntnisse über uns selbst. Die Geschichten, die geborgten Häuser sind es, die Aufschluss über die ganz persönliche Wahrheit geben. Geschichten wie diese.


Titelbild

Kathrin Gerlof: Teuermanns Schweigen. Roman.
Aufbau Verlag, Berlin 2008.
181 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783351032340

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch