Ideologie statt Theorie

Irene Etzersdorfer über den Krieg

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Krieg ist zu einem Thema geworden, das weithin diskutiert wird, über die Kreise damit befasster Militärs und Politiker hinaus. Dabei hat sich auf der Ebene der Wissenschaft weitgehend eine Art phänomenologischer Pragmatizismus durchgesetzt: Man schreibt darüber, wie Kriege zu klassifizieren sind, wie sie sich früher wandelten und sich heute wandeln und wie die westlichen Staaten am erfolgversprechendsten darauf reagieren. Friedensbewegt-pazifistische Stimmen sind nicht verstummt, doch spätestens seit der Entscheidung der Grünen, den internationalen Einsatz der Bundeswehr zu unterstützen, aus dem offiziellen Diskurs verdrängt.

Deshalb fällt es auf, wenn Irene Etzersdorfer in der ausführlichen Einleitung ihres Buchs zu Theorien bewaffneter Konflikte Krieg als "Krankheit der Polis" darstellt. Krieg ist hier nicht ein politisches Mittel wie andere auch, er ist nicht einmal die ultima ratio, wenn alle anderen Versuche der Konfliktlösung fehlgeschlagen sind, sondern er erscheint als umfassendes Scheitern, das Etzersdorfer auf der Ebene von Gruppen und Individuen mit Rückgriff auf psychoanalytische Kriterien zu erklären versucht.

Nachdem sie hier einen eigenen Versuch einer Kriegstheorie skizziert hat, stellt sie in drei Hauptteilen manches vor, was mit Krieg zu tun hat. Die Gliederung allerdings ist ungeschickt und garantiert, dass Etzersdorfers Ziel, einen "Leitfaden für Studierende, Journalisten, Beamte und andere Interessierte" zu schreiben, nicht erreicht wird. Der Teil "Kriegsformen" bringt Kapitel zum Staatenkrieg, zum Bürgerkrieg, zum "Kleinen Krieg" und zu den "Neuen Kriegen", die allerdings mit den "Kleinen Kriegen" manche Überschneidungen aufweisen. Nach einer kurzen definitorischen und historischen Einleitung werden die Kriegsformen jeweils unter ideengeschichtlicher und völkerrechtlicher Perspektive abgehandelt, was zu Doppelungen führt. Der zweite Hauptteil nämlich stellt "Kriegslegitimationen" vor. Kriege werden bei Etzersdorfer als gerechte, revolutionäre, heilige oder ethnopolitische Kriege begründet, wobei man gerade bei den revolutionären Kriegen manches liest, was schon beim "Kleinen Krieg" abgehandelt wurde.

Der dritte Hauptteil "Kriegstheoretiker" könnte weitere Wiederholungen bringen: Carl von Clausewitz nämlich war schon als Theoretiker des Staatenkriegs aufgetreten, Che Guevara und Mao als Autoren, die über den Partisanenkrieg nachgedacht haben. Doch werden in diesem Teil die Theoretiker eher biografisch vorgestellt, bis hin zu psychologischen Spekulationen, die in diesem Rahmen befremdlich anmuten: So erfährt man, dass Guevaras erste Frau "ohne große erotische Anziehungskraft für Ernesto" war und Mao einen "abgrundtiefen Hass" gegen seinen Vater verspürte: "Wahrscheinlich wünschte er unbewusst ihm die Folter, die er später gegen andere befahl."

Mag sein. Auch, dass Mao der Halunke war, als den ihn Etzersdorfer in ihrem Kurzreferat der Biografie von Jung Chang und Jon Halliday, mit der sie sich begnügt, präsentiert. Sicher war Maos "langer Marsch" nicht der Triumph, als den er ihn zu verkaufen verstand. Immerhin aber siegte er im chinesischen Bürgerkrieg, auf der Grundlage einer Theorie, von der man bei Etzersdorfer leider nur wenig erfährt.

Biografie, Theorie und historische Voraussetzungen werden durch die eigentümliche Gliederung des Buches konsequent getrennt. Das führt zuweilen zu völlig ahistorischen Wertungen: wenn etwa Etzersdorfer Thomas Hobbes vorhält, sein Denken komme "über den absolutistischen Staat als Lösungsmodell nicht hinaus", während es im "Leviathan" doch zunächst darum ging, eben diesen Absolutismus als Überwindung religiös begründeter Bürgerkriege zu legitimieren - ein Unterfangen, das immerhin anderthalb Jahrhunderte relativen Friedens in Europa zur Folge hatte.

Doch urteilt Etzersdorfer nicht nur ohne jedes historische Bewusstsein, sondern zuweilen auch je nach Kontext, als hätte sie vergessen, was im vorigen Kapitel steht. So beteuert sie im Teil zum Staatenkrieg fragwürdig genug, nach 1945 sei jede Politik, die sich auf Kriterien von Clausewitz gestützt habe, gescheitert - den Clausewitz-Abschnitt hingegen schließt sie mit einem ausführlichen Zitat von Herfried Münkler, der die Aktualität des Theoretikers "Vom Kriege" begründet. In Etzersdorfers Einleitung erscheint Carl Schmitts Begriff des Politischen als auf Gewalt begründet und so als Bestandteil einer gefährlich auf Feinderklärung fixierten Tradition - im Teil zum Staatenkrieg gilt derselbe Feindbegriff als mäßigend, weil Schmitt auf moralische Diskriminierung verzichte. Ein solcher Widerspruch ist zwar der Theorie Schmitts gerade in der historischen Lage, in der sie entstand, immanent: Entworfen vor 1933 als Legitimation eines autoritären Staats, konnte nach 1933 der Feindbegriff in seiner existentiellen Dimension gerade der Entgrenzung des Kampfs dienen - eine Wendung, die Schmitt auf biografischer Ebene im Frühjahr 1933 nachvollzog, indem er das Konzept einer Präsidialdiktatur Paul von Hindenburgs, die auf einer extensiven Auslegung der Weimarer Verfassung gestützt war, zugunsten einer Unterstützung des viel radikaleren Nazi-Regimes verabschiedete. Indem Etzersdorfer Theorie Geschichte und Biografie konzeptionell trennt, entgeht ihr allerdings der performative Charakter jedweder Theoriebildung. Deshalb bleibt ihr nichts übrig als der logische Widerspruch, in dem sie sich im günstigeren Fall in der Folge der einzelnen Kapitel verheddert.

Zuweilen aber kommt es schlimmer. Das kann zu untragbaren Wertungen führen, wenn Etzersdorfer, von Totalitarismustheorien fasziniert, nationalsozialistischen Rassenkrieg und marxistischen Klassenkrieg parallelisiert. In beiden Fällen werde ein unpolitisches Kriterium - Herkunft oder Besitz - zu einem politischen erhoben und solle der markierte Feind vernichtet werden. Allerdings könnte erstens zwar die Religion möglicher jüdischer Vorfahren politisch nicht relevant sein, sind es jedoch der Besitz und die damit verbundene Macht unvermeidlich. Zweitens ist das konstruierte Merkmal Rasse biologisch unentrinnbar vorgegeben und zielt deshalb der Rassenkampf auf Vernichtung oder wenigstens dauerhafte Unterordnung der vorgeblich Minderwertigen - während der Klassenkampf die Möglichkeit individuellen Wechsels kennt und nur bedeutet, dass übermächtige soziale Gruppen ihre Position verlieren sollen. Eine ganz andere Frage wäre noch, ob die Mordaktionen der Nazis überhaupt unter dem Begriff des Krieges, der mindestens zwei kämpfende Gruppierungen voraussetzt, zu fassen wären.

Manchmal hat man der Eindruck, der Text wäre irgendwie in den Laptop getippt und nie wieder korrigiert; nicht nur wegen zahlreicher sprachlicher Fehler und etlicher Sätze, die nur derart ungefähr zu verstehen sind, so dass man vermutet und fast schon hofft, es habe nie etwas wie ein Lektorat stattgefunden. Auch finden sich Widersprüche auf engstem Raum. Gerade bei der umstrittenen Frage zur Legitimität und Legalität westlicher Interventionen findet sich eine bunte Mischung verschiedener Meinungen. So muss "kaum mehr betont werden", dass der Krieg gegen den Irak 2003 "völkerrechtlich nicht legitimiert" war, und ist es "berechtigt [...], vor der Indienstnahme der Menschenrechte für imperiale Machtlogiken auf der Hut" zu sein, doch sind die menschenrechtlich begründeten Interventionen "in moralischer und rechtlicher Hinsicht" richtig, und sei deren Ziel "kein imperiales mehr, sondern eine Verwirklichung weltweiter Rechtszustände".

Legal oder nicht? Imperialismus oder kommendes Paradies? Fraglich ist, ob die Autorin auch nur eine Ahnung von den Widersprüchen hat, die sie auf nicht einmal zwei Seiten unbekümmert ausstellt. Immerhin klärt sich manches, wenn man auf den einzigen Theoretiker zurückgeht, den sie uneingeschränkt empfiehlt: auf Immanuel Kant und seinen Entwurf des ewigen Friedens von 1795. Vor gut 200 Jahren konnte man vielleicht die Erwartung hegen, Republiken wären die friedfertigeren Staaten - man musste freilich schon damals antike Beispiele wie Athen oder die römische Republik ausblenden. Seit Kant haben sich allerdings besonders Demokratien als kriegsbereit erwiesen; vielleicht nicht wegen ihrer Staatsform, sondern wegen ihrer ökonomisch-technischen Überlegenheit, die einen verlustarmen Sieg zu garantieren schien und im Zeitalter des Imperialismus meist auch tatsächlich garantierte. Heute sind Kants Überlegungen nicht nur gegenstandslos, weil sich Republiken tatsächlich als aggressiver denn Diktaturen dargestellt haben. Etzersdorfer konstatiert in ihren Abschnitten zu den "neuen Kriegen" zu Recht eine Entstaatlichung des Krieges. Kants Überlegungen aber bezogen sich auf die inneren Verhältnisse von Staaten und die Verhältnisse von Staaten untereinander. Schon deshalb helfen sie heute wenig.

Was Etzersdorfer darum einzig bleibt, ist eine recht platte Psychologie, auf die sie besonders die Kriegstheoretiker festschreibt, die aber auch ihre Einleitung bestimmt. Der Gegensatz von "krank" und "gesund" hilft indessen angesichts einer jahrtausendealten und offenkundig recht stabilen sozialen Erscheinung nicht weiter. Die Entscheidung zum Krieg - oder häufig zum Glück auch: gegen ihn - war meist durch Interessen geprägt, von denen Etzersdorfer in ihrer Geringschätzung historisch-politischer Momente wenig wissen will.

Möchte man Kriege vermeiden, so muss man Konstellationen schaffen, in denen sie nicht lohnen. Etzersdorfers Lob eines antitotalitären westlichen Interventionismus, für den all ihre gruppenpsychologischen Überlegungen plötzlich nicht mehr gelten sollen, ist dagegen nicht nur inkonsequent, sondern bereitet den Boden für neue Radikalisierungen. Hier, wie allzu häufig sonst in dieser nachlässig zusammengestoppelten Einführung, ersetzt Ideologie die Theorie.


Titelbild

Irene Etzersdorfer: Krieg. Eine Einführung in die Theorien bewaffneter Konflikte.
UTB für Wissenschaft, Stuttgart 2007.
264 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783825228750

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