Hunde sind wesentlich weniger anstrengend als Frauen

Sibylle Berg enthüllt, was Männer ihren Exen zum Abschied so mit auf den künftig getrennten Weg geben

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Lange musste sich Charles-Pierre Baudelaire nach der "Künstlermuse" Apollonie Sabatier verzehren. Doch nach einem halben Jahrzehnt und etlichen Liebesgedichten hatte er sie endlich im Bett. Am Morgen danach saß er wieder an seinen Schreibtisch. Nur verfasste er diesmal nicht etwa weitere Gedichte, sondern einen Abschiedsbrief. "[V]or ein paar Tagen" sei sie ihm noch "eine Gottheit" gewesen, musste Sabatier sich sagen lassen, nun aber nur noch "Frau". Und gegen Frauen, so beschied er der ehemals Angebeteten, habe er nun mal "garstige Vorurteile". Zwar machte er noch einige Worte mehr, doch damit war eigentlich alles gesagt.

Abgedruckt ist der doch sehr prosaische Brief des bekannten französischen Lyrikers wohl schon mancherorts. Nun hat er auch in eine von Sibylle Berg herausgegebene Anthologie Eingang gefunden. Nachdem die im Schweizerischen 'Exil' lebende Schriftstellerin und Kolumnistin vor einigen Jahren einen Band mit Abschiedsbriefen von Frauen herausgebeben hat, ließ sie nun einen weiteren folgen, in dem Angehörige des männlichen Geschlechts ihren Sachen, ihren Geliebten oder auch dem Leben Valet sagen. Wiederum hat die Herausgeberin ein - diesmal allerdings explizit nur an Männer gerichtetes - Vorwort geschrieben, in dem sie einige mit eloquentem Augenzwinkern vorgetragene Überlegung "Zum Abschied" zu Papier gebracht hat, die auch vor fragwürdig biologistischen Begründungen vermeintlich anthropologischer Konstanten nicht zurückschrecken. "Sich von nichts trennen zu wollen", erklärt Berg etwa zu einer "genetisch tiefverwurzelte[n] Geschichte". Ein Irrtum ist ausgeschlossen, "und jeder, der etwas anderes behauptet, lügt." Natürlich weiß Berg, was das für ein Unsinn ist - Gefangene verabschieden sich am Ende ihrer Haftzeit sicher freudig von ihren Zellen und auch der in dem Bändchen abgedruckte Brief von Denis M. klingt ganz so, als verabschiede er sich nicht eben ungern von seiner Angst. Mag Bergs mit apodiktischem Gestus vorgetragene Behauptung also auch haltlos sein, so ist sie doch ein netter Einstieg ins Thema, der zum Weiterlesen animiert. Und das ist ja auch der eigentliche Sinn ihrer kleinen, zweifellos ironisch aufzufassenden Provokation.

Auch Bergs die drei Teile jeweils einleitenden Worte glänzen immer wieder mit (Selbst-)Ironie. Nun durchschreitet die Herausgeberin die menschlichen Lebenszyklen und erklärt den Lesenden Jahrzehnt für Jahrzehnt akkurat, wodurch sich die "die Guten" jeweils von den gleichaltrigen "Bösen" unterscheiden, um zu guter Letzt prononciert alle, "die die Welt, basierend auf ihrer eigenen, unzuverlässigen Meinung, in Gut und Böse einteilen", letzteren zuzuschlagen. Das ist lustig, weil man mit Berg über sie und - wenn man ehrlich ist - auch über sich selbst lachen kann. Wirklich gemein ist hingegen, Wiglaf Droste als "Deutschlands bestaussehende[n] Schriftsteller und Sänger" zu apostrophieren. Noch gemeiner ist allerdings, dass sie seinen - pardon - ausnehmend dämlichen Text in ihr Buch aufgenommen hat. Denn für den kann er schließlich was.

Doch sind Bergs einleitende Texte nicht nur amüsant. Um welch ernste Angelegenheit es sich bei dem Thema des Buches handelt, deutet sie mit dem warnenden Hinweis an, dass "[j]eder kleine Abschied [...] einer für immer" werden könne. Tatsächlich ist das eine Verharmlosung. Denn jeder Abschied ist ja bekanntlich mit unausweichlicher Notwendigkeit einer für immer, würde der andere sich auch noch im Türrahmen umdrehen und dem Zurückbleibenden in die Arme sinken. Sind die einander Wiederbegegnenden doch nicht mehr die, die sich voneinander verabschiedet hatten.

Hingegen mag es zwar zutreffen, dass viele Männer - darunter "auch längst verstorbene", wie Berg versichert - traurig waren, weil sich in der Vorgängeranthologie nur Frauen verabschieden durften. Dass sie mit dem vorliegenden Bändchen nun aber ein Buch "nur für sie", die Männer, auf den Markt gebracht habe, ist jedoch glatt geschwindelt. Selbst dann, wenn damit gemeint sein sollte: nur von ihnen. Denn mit Berg selbst ist auch eine Frau als AutorIn vertreten. Und gerade ihre Texte zählen mal wieder zu den besten des ganzen Bandes. Also vielleicht ein Buch über Männer? Nein, natürlich nicht. Zwar schreiben diese auch in ihren Abschiedsbriefen besonders gerne über sich selbst, aber zumindest einigen unterlaufen auch mal ein paar Bemerkungen über ihre verabschiedeten Geliebten. Sollte also tatsächlich gemeint sein, was dort steht: "ein Buch nur für sie"? Das kann nicht sein. Denn es ist zweifellos ein Buch für alle.

Und die Männer verabschieden sich in ihm auch von allem möglichen. Oskar Lafontaine in einem Brief an den Bundeskanzler von seinem Job als Minister, der Unternehmer Jürgen E. Schrempp von seinen MitarbeiterInnen, Moritz Rinke von seinem Glauben an den Rechtsstaat, Thomas K. von seinem Auto und Franz Müntefering von seinen GenossInnen. Nicht alle nehmen es dabei mit der Wahrheit so genau. Der geschasste Interviewfälscher Tom Kummer erklärt in seinem Abschiedsbrief an den Chefredakteur der "Süddeutschen Zeitung" die von ihm frei erfunden Interviews mit Prominenten frech damit, er habe "einfach frei schreiben" wollen, die "Faktenhuberei" überlasse er doch lieber "den Buchhaltern".

Bis zuletzt Redlichkeit propagiert hingegen der dem Tode entgegensehende Gründer der Pfadfinderbewegung Robert Stephenson Smyth Baden-Powell, der gleich zwei Abschiedsbriefe schrieb. Einen an seine "liebe[n] Pfadfinder" und einen an die natürlich gleichfalls "liebe[n] Pfadfinderinnen". Der zweite Brief ist notwendig, weil er letztere nicht nur wie auch die Jungs gemahnt, stets gottgefällig zu sein; die Mädchen gilt es zusätzlich an ihre Pflichten als spätere Mütter zu erinnern, die dafür Sorge zu tragen haben, dass ihre Kinder "gesund, unverdorben und unternehmungslustig" heranwachsen.

Kurt Tucholsky wiederum bittet seine zweite Frau kurz vor seinem Tod um Absolution für seine Untreue, vielleicht die einzige Eigenschaft, auf die sich seine nicht eben wenigen Frauen und Geliebten stets verlassen konnten. Voller Selbstmitleid klagt er, er habe seine frivole Lebensweise "reichlich abgebüßt" und empfiehlt ihr Heinrich von Kleists Abschiedsbrief an dessen Schwester zur Lektüre, der in dem vorliegenden Band natürlich ebenso wenig fehlen darf wie der fiktive Werthers an seine geliebte Lotte.

Einige der Briefe sind in Todeszellen geschrieben. Sowohl der 1984 in der Türkei als Polizistenmörder und Mitglied der linksradikalen "Devrimici Yol" hingerichtete Hidir Aslan wie auch das Gründungsmitglied der "Weißen Rose" Alexander Schmorell finden ihren letzten Halt im Glauben; sei es an die kommunistische Sache oder an Gott.

Auch der anrührendste Brief des Bandes wurde unmittelbar vor der Hinrichtung seines Verfassers geschrieben. Der gerade mal 22-jährige Kim Malthe-Bruun richtete ihn an sein zwei Jahre jüngeres "eigenes kleines Mädchen". Noch im April 1945 war er von den nationalsozialistischen Besatzern Dänemarks wegen seiner antifaschistischen Widerstandstätigkeit zum Tode verurteilt und hingerichtet worden. "Du sollst mich nicht vergessen, das verlange ich nicht, warum sollst Du etwas vergessen, das so schön ist. Aber Du darfst nicht daran hängen bleiben, Du sollst ebenso leicht und doppelt glücklich weiterleben", bittet er das geliebte Mädchen zum Abschied. "Versprich mir, [...] dass der Gedanke an mich sich nie zwischen Dich und das Leben stellen wird".

Anders als der unglückliche Kim Malthe-Bruun verabschieden sich die anderen Briefschreiber von ihren Geliebten aus freien Stücken. "[N]ach zwanzig, dreißig gemeinsam verbrachten Jahren", wundert sich Berg, sagen sie plötzlich Sätze wie: "Du, es ist einfach so passiert, Ich konnte mich nicht dagegen wehren. Ich habe doch auch ein Recht darauf, glücklich zu sein!!!!!!" Immer wenn sie von "solche[n] Geschichten" erfahre, werde sie "ganz starr vor Elend". " ICH VERSTEHE DAS NICHT!!" schreit es aus ihr heraus, "[b]löder geht es ja nicht." Keinem passiere es, sich "einfach so" zu verlieben. Zwar schliefen "in uns allen genetische Programmierungen", die auf "Paarung" drängten. "Aber darum einen Menschen verraten, mit dem man sein halbes Leben verbracht hat", schüttelt sie fassungslos den Kopf. Um dann aber mit der ganz nüchternen Erwägung zu schließen, dass ja auch mit dem neuen Partner sicher alles geradeso werden würde wie es mit dem alten war. "Nur vielleicht schlechter."

Die meisten der Abschiedsbriefe der sich oft kaltschnäuzig gebenden Männer lassen auch wahrhaftig nichts Besseres hoffen. "Ich schicke dich kalt auf Entzug. Das war's. Danke für den erhellenden Winter", lauten Abschiedsworte von Michael M. an seinen Geliebten. Fritz S. lehnt die Bitte seiner Freundin, er möge sich bei ihr entschuldigen, ab, weil das "meine Position in der Beziehung untergraben" würde. Daniel G. erklärt seiner Vanessa: "Nicht ich bin, sondern Du bist das Problem" und Jack S. teilt "X." kurz und bündig mit, er habe "keine Lust mehr, denn was soll das alles?"

Solche Gefühl- und Gedankenlosigkeiten erschrecken umso mehr, als Abschiedsbriefe auch schon mal tödlich sein können, wie spätestens am 26.7.1806 bewiesen wurde, als Karoline von Günderrode freiwillig aus dem Leben schied, nachdem ihr Friedrich Creuzer erklärt hatte, er bliebe doch lieber bei seiner Frau. Wie viele ihrer Leidensgenossinnen den gleichen Weg ins Freie suchten und fanden, ist unbekannt. Ihre Zahl dürfte allerdings kaum zu fassen sein.

Die Sorgen, die Lew Tolstoi plagten, bevor er auf Nimmerwiedersehen in den Zug stieg, waren anderer Art. Nach 48 Ehejahren riet er seiner Frau, sich "mit der neuen Lage, in die Dich meine Abreise bringt, abzufinden und keine unguten Gefühl gegen mich zu hegen." Und ein Freier verabschiedet eine Prostituierte, mit der er regelmäßig verkehrte, in einem längeren Brief mit der Bemerkung, Hunde seien doch "wesentlich weniger anstrengend als Frauen". Auch könne er "einfach nicht mehr ertragen, dass du mit anderen Männern ins Bett gehst, dass du mit ihnen tust, was du mit mir tust."

Mit zwei Briefen ist Michael B. vertreten. Seine Selbstgefälligkeit ist ebenso komisch wie widerwärtig. In einem der beiden outet er sich als Pedant, im anderen als verklemmter Busenfetischist. So rechnet er mit einer im Buch namenlos bleibenden Frau ab, indem er ihren letzten Brief Zeile um Zeile und Absatz für Absatz durchgeht, wobei er stets akkurat bezeichnet, auf welche Stellen ihres Briefes er sich gerade bezieht, auf die "dritte Zeile", "die letzten Worte des vierten Satzes" oder den "vierten Absatz". Das ist skurril. Ebenso, sein Abschiedsbrief an die "liebe K.". Doch dürfte dieser noch verletzender gewesen sein, was dem Absender aber offenbar gleichgültig war, wenn er - was zu bezweifeln ist - überhaupt feinfühlig genug sein sollte, sich dessen bewusst zu sein. Diesmal geht er nicht die Absätze eines Briefes durch, sondern die offenbar nicht allzu zahlreichen Begegnungen mit der Adressatin, wobei er sich an nicht viel mehr als deren Busen erinnert. Als sie sich kennen lernten, habe sie eine "weitgeschnittene Bluse" getragen, "unter der sich Brüste abzeichneten, die so füllig waren, dass sie, obwohl Du aufrecht saßest, beinahe den halben Tisch bedeckten." Da ihm diese Formulierung offenbar zu wenig poetisch erscheint, fährt er mit einer Metapher fort, die ihm allerdings unfreiwillig komisch gerät: "Deine Brüste wogten gleich mürrischen Wellen am Strand, die mit jeder Wiederkehr ein Stück des Landes auffraßen".

Zwar beschwert er sich noch im gleichen Absatz darüber, dass sie "nie aufhören konnte [...], bei jeder Gelegenheit" seinen Mund "anzustarren", der ihr wohl gefallen habe. Doch das ist sofort vergessen und er kommt wieder auf ihre Brüste zu sprechen, die ihn damals "leise schmunzeln" ließen. Bei ihrem nächsten Treffen sah er sich jedoch schon enttäuscht, trug sie doch nun einen Rollkragenpullover, der "wie ein Teppich [...] von Deinem Kinn bis unter den Tisch hing", so dass ihm der rechte Blick verdeckt war. Dies musste naturgemäß seine Neugier wecken, wie sie ihre Brüste wohl beim nächsten Mal "verpackt" haben werde. Doch Michael B. ist nicht nur ein Busenfetischist, sondern auch ein Meister der Projektion: "Deine Brüste schrien nach meinen Händen", weiß er der lieben K. zum Abschied mitzuteilen.

Ein Buch also, dass so manchen Einblick in die Abgründe von Männerseelen gewährt, und dies ist neben den Texten der Herausgeberin einer der zwingenden Gründe, es zur Lektüre zu empfehlen


Titelbild

Sibylle Berg (Hg.): "Das war's dann wohl". Abschiedsbriefe von Männern.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2008.
207 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783421042989

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