In der Hasenkuhle

Zur Dialektik des Idylls in der Kinderbuch-Serie über den kleinen Hasen von Harry Horse

Von Fabian KettnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Kettner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Richard Horne zeichnete und schrieb unter dem Pseudonym "Harry Horse" drei Geschichten über einen kleinen Hasen. Die Geschichten behandeln je ein typisches Kindheits-Problem. Konflikte entwickeln sich und werden wieder in Harmonie aufgelöst. Die Bilder verströmen ein Ambiente von vintage und retro und sind fein gezeichnet, in warmen Farben und vielen Erdtönen. Dies passt gut zur Idylle des Hasenlebens. Hasen sind an sich schon niedlich, der kleine Hase ist es umso mehr, nicht zuletzt weil er auch noch einen hellblauen Strampelanzug trägt, der auch die Ohren mit einschließt.

Im ersten Buch läuft der kleine Hase weg, weil seine Eltern mit ihm geschimpft haben, nachdem er ungezogen war. Draußen beginnt er, sich ein Haus zu bauen und trifft eine Maus, die ihm dabei hilft, weswegen sie schließlich zusammen wohnen. Aber da beginnen schon die Probleme, weil die kleine Maus, die auch von zuhause weggelaufen ist, ihn noch mehr maßregelt als seine eigene Mutter und obendrein schlechter kocht als diese. Kurz genießt er ein unbändiges Leben, wird davon aber zerzaust und schmutzig, was ihn auch selbst stört. Weil auch das Verhältnis zur Maus nicht besser wird, ist er froh, als seine Mutter ihn schließlich wieder nach Hause holt.

Im zweiten Buch geht der kleine Hase zum ersten Mal in den Kindergarten. Eine zentrale Rolle spielt hier sein Lieblingsspielzeug "Kalle Pferd". Es ist für ihn das Medium, über das er Unerlaubtes artikuliert und ausagiert. In Kalle Pferd treten dem kleinen Hasen externalisierte Eigenanteile als fremd und von außen mit eigenem Leben entgegen. Man kann zuschauen, wie Horse dieses typische Verfahren von Kindern sehr gut darstellt. Kalle Pferd soll daran schuld sein, dass der kleine Hase auf dem Weg zum Kindergarten trödelt, so dass er fast zu spät kommt; dass er zu früh seinen Proviant aufisst, so dass er in der Mittagspause weint, weil er nichts mehr hat. Kalle Pferd tobt wild durch den Kindergarten, wenn die Kinder still zuhören sollen. Er ist es auch, der andere Kinder zurückweist, die mit dem kleinen Hasen spielen möchten. Beim Ausflug schließlich ist er schuld, dass der kleine Hase vom Weg abkommt und den Anschluss an die anderen verliert, so dass er alleine durch den Wald irrt. Auch hier führt das Fehlverhalten des kleinen Hasen zu Ängsten, die dadurch aufgelöst werden, dass die Erwachsenen ihn in die behütete Welt wieder zurückholen.

Im dritten Buch freut sich der kleine Hase auf ins Haus stehenden Nachwuchs. Er malt sich schon aus, wie er mit seinen künftigen Geschwistern spielen wird. Aber als diese dann da sind, sind sie eine Enttäuschung: sie sind empfindlich, brauchen viel Ruhe, lassen sich nicht von ihm füttern und gehen mit seinem Spielzeug nicht um, wie er es gerne hätte. Dazu kommt, dass ihn frustriert, dass seine Mutter ihnen viel Aufmerksamkeit schenkt, mit ihm aber schimpft. Seine Geschwister lassen ihn auch nicht in Ruhe, so dass er sich schließlich weinend unter sein Bett flüchtet. Aber das, was den kleinen Hasen zur Verzweiflung treibt, ist dann auch das, was ihn vor den anderen Familienmitgliedern auszeichnet. In der kurzen Zeit konnte er eine besondere Beziehung zu seinen Geschwistern etablieren, die es ihm ermöglicht, sie zu beruhigen und zum Schlafen zu bringen, nachdem seine Eltern und seine Großmutter an dieser Aufgabe scheiterten.

Die Geschichten über den kleinen Hasen sind sehr gut gemacht. Man meint, ihnen schon am Cover ansehen zu können, dass sie erfolgreich sein werden. Es sind drei nette, harmlose Geschichten, deren Verlauf vorhersehbar ist und schon allein dadurch die nickende, einverständliche Geborgenheit erzeugt, die alle drei Geschichten durchzieht. Die Bilder verstärken dies ungemein, inszenieren permanent eine idyllische Zufriedenheit, die viel zu selten Unbehagen auslöst. In dieser Mischung aus Biedermeier und Jugendstil wird die Natur gerne benutzt, um die Szenen einzurahmen: Blumen umwölben und Efeu umrankt alles. Als Rahmen ist sie die Ordnung, die alle Handlungen umfasst. Diese Pseudo-Landschaften haben mit Natur so wenig zu tun wie ein ordentlicher Garten, lassen sich aber mit der Realität verwechseln und verstecken dadurch ihre Künstlichkeit, gegen die sie sich ansonsten selber aber in toto aussprechen. Indem ihr Gemachtsein verschwiegen wird, verschwindet die ordnende, herrschende Hand, und deren Resultat wird als rein naturgegebene prästabilierte Harmonie präsentiert.

Die Flora ist organizistisches Element. Sie verschmilzt, was zwischen den handelnden Hasen und der Natur an Differenz noch bleibt, was am anthropomorphen Hasen der Natur noch entragt, zu einer seligen Einheit. Die Wohnungen der Hasen fügen sich in die natürlichen Vorgaben der mächtigen Bäume ein, alles schmiegt sich aneinander und geht ineinander über. Was man als "Gesellschaft" noch benennen könnte, das ordnet sich der Schein-Ordnung der Natur unter, die man in sie hineinprojiziert und ihr damit Unrecht tut.

Kein Wunder, dass das selbst gebaute Haus des weggelaufenen kleinen Hasen aus dem Müll gebaut ist, den Menschen in die Natur gekippt haben; kein Wunder, dass das Leben dort nicht behaglich ist und nicht funktioniert. Die guten Innenräume hingegen sind immer hermetisch dicht. Am Rand wölben sie sich, so dass sie versprechen, sich zu einer Kapsel zu schließen: in ihr wäre man dann für sich, geschützt vor der störenden bis bedrohlichen Außenwelt. Nie ist der Horizont offen, Flora und Landschaft hegen alles ein. Immer gibt es, wie in einer Hasenkuhle, nur Vordergrund. Wird die Handlung beunruhigend, fehlt der ornamentale Rahmen; ist der Horizont ausnahmsweise doch mal offen, dann verliert sich der Pfad auf dem Weg zu ihm hin. Endlos schlängelt er sich durch die gute Landschaft, als der kleine Hase aufbricht, sein Elternhaus zu verlassen. "Ewig wirst du unterwegs sein", spricht dieses Arrangement, "nirgends wirst du hinkommen", weil dieser Weg nirgends hinführt. Dies ist der Gegenentwurf zum Kamerablick des amerikanischen Kinos, der ahnen lässt, dass es mehr geben könnte als das, was man unmittelbar vor Augen hat und dem man nicht entkommen will, weil man ihm nicht entrinnen kann.

Man kann einwenden, dass dies doch die Realität sei; dass beispielsweise ein Hasenbau unter und im Wurzelwerk angelegt werde und rund und geschlossen sei. Man sollte sich aber fragen, welche Vorlage man nehmen kann, um sich ihrer realistischen Bearbeitung zu bedienen, um seine eigene Vision und sein eigenes Ideal einer guten Welt zu bebildern. Mit dem Hasen-Kosmos wurde bereits eine vielsagende Vorauswahl getroffen.


Titelbild

Harry Horse: Der kleine Hase kommt in den Kindergarten.
Übersetzt aus dem Englischen von Natalie Tornai.
Boje Verlag, Köln 2007.
32 Seiten, 11,90 EUR.
ISBN-13: 9783414821461

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Harry Horse: Der kleine Hase läuft weg.
Übersetzt aus dem Englischen von Natalie Tornai.
Boje Verlag, Köln 2007.
32 Seiten, 11,90 EUR.
ISBN-13: 9783414820457

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Harry Horse: Der kleine Hase wird großer Bruder.
Übersetzt aus dem Englischen von Natalie Tornai.
Boje Verlag, Köln 2007.
32 Seiten, 11,90 EUR.
ISBN-13: 9783414820440

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