Der Mann für gewisse Stunden

Horst Evers erzielt als lebende "Suchmaschine" einen Zwerchfelltreffer nach dem anderen

Von Jörg von BilavskyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg von Bilavsky

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man glaubt gar nicht, wie dieser Mann auf der Bühne in Fahrt kommen kann. Wenn der von Natur aus eigentlich schwerblütig veranlagte Niedersachse Horst Evers seine in Buchform gepackten Alltagsminiaturen zu ungeheurem Leben erweckt - dann ist von der sich selbst attestierten "Schluffigkeit und Lethargie" nichts mehr zu spüren. Aber auch rein gar nichts. Dann ist der gemütlich strahlende und verschmitzt grienende Wahlberliner in seinem Element als putzmunterer Welterklärer. Rollt beim variantenreichen Vortrag seiner Texte und Lieder entnervt mit den Augen, greift sich verzweifelt an die Stirn und verzieht ebenso pointengerecht die Mundwinkel. Eingeleitet und abgerundet von tonlosen Lachattacken, die sein Publikum zweifellos zu lautstarken ermuntern.

Dann ist das mitunter auch mal anstrengende Schleifen von Pointen, Dialogen oder Metaphern am Küchentisch im Wedding schnell vergessen. Und dann man merkt den zwei- bis dreiseitigen Kleinoden nur noch die Fabulierlust des Autors an, die ebenso groß ist wie sein Themenhorizont. Denn sein aberwitziger Humor macht weder vor neunmalklugen Küchengeräten oder eifersüchtigen Krankheiten Halt. Doch gerät er in seinen selbst erlebten oder erfundenen Episoden nicht nur mit widerspenstigen Druckern oder eitlen Waschmaschinen in Konflikt. Nein, auch die Begegnung mit Freunden und Fremden sorgt für manch eine Überraschung.

So wie ihn das merkwürdige Verhalten seiner Mitmenschen in Staunen versetzt, so sorgt auch er mit seiner eigenwilligen Logik immer wieder für Aufsehen und Kopfschütteln. Wenn er etwa bei einer jungen Bäckersfrau das Brot von gestern schon heute vorbestellen möchte oder seiner siebenjährigen Tochter auf dem Nachhauseweg einen Crashkurs in Sachen Beischlaf geben muss, weil neugierig gewordene Passanten ihn dazu verurteilen. Evers liebt das Private in seinen Programmen. Auf Politik kommt er deshalb nur selten zu sprechen. Das Zwischenmenschliche bietet den Stoff für all seine genau beobachteten und zugespitzt formulierten Stücke, die mal ins Absurde, mal ins Abenteuerliche oder mal in alltagsphilosophische Weisheiten münden. Ihn interessieren die wirklich existenziellen Fragen des Lebens. Und die stellen sich zuallererst im Alltag, in der Küche, am Kiosk oder einfach in der Kneipe nebenan. Doch nur wenige Kabarettisten verstehen es, dem normalen Leben Geschichten zu entlocken, in denen sich jeder halbwegs Verrückte ein bisschen wiederfinden kann. Wer klagt nicht ab und zu über Zeitungsberge im Wohnzimmer oder Anrufe von dubiosen Call-Centern, die einem alles nur Denk- und Glaubbare andrehen möchten.

Seine größte Stärke liegt aber nicht im untrüglichen Gespür für das Groteske in unserer Gegenwart. Sondern in seinem Hang zur subtilen Selbstironie, von der sich seine Leser und Hörer am Ende selbst etwas abschneiden können. Dazu bietet die Lektüre seines sprachlich ausgefeilten Erzählbandes "Mein Leben als Suchmaschine" reichlich Gelegenheit. Doch auch die Gelegenheit, den selbsternannten "Auftrittspaniker" im roten Cordhemd und schwarzer Stoffhose live zu erleben, sollte man nicht verpassen. Denn Evers ist auch dort der Mann für gewisse Stunden. Und zwar für äußerst unterhaltsame.


Titelbild

Horst Evers: Mein Leben als Suchmaschine.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
144 Seiten, 12,95 EUR.
ISBN-13: 9783821860374

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