La littérature au second degré

In "A Breath of Fresh Eyre" versammeln die Herausgeberinnen Margarete Rubik und Elke Mettinger-Schartmann 26 Beiträge zu diversen intertextuellen und intermedialen Transformationen von Charlotte Brontës "Jane Eyre"

Von Jens ZwernemannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jens Zwernemann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Charlotte Brontës erster, 1847 unter dem männlichen Pseudonym Currer Bell veröffentlichter Roman "Jane Eyre" avancierte - nicht zuletzt aufgrund seines gleichermaßen spektakulären wie romantischen Plots - schnell zu einem Evergreen viktorianischer Literatur. Man erinnere sich: Die elternlose Erzählerin Jane Eyre gelangt nach einer mehr als trostlosen Kindheit, die sie zunächst bei einer zwar wohlhabenden, aber nicht sonderlich wohlwollenden Verwandten und anschließend im gesundheitsgefährdend-spartanischen Internat des scheinheiligen Mr. Brocklehurst verbringt, als Gouvernante nach Thornfield Hall, dem herrschaftlichen Besitz Mr. Rochesters. Das Kindermädchen und ihr Arbeitgeber kommen sich emotional bald näher, und obwohl es einige ungünstige Vorzeichen gibt - unter anderem mehrere mysteriöse nocturnale Intermezzi, die der Protagonistin ebenso unerklärlich sind wie der Leserschaft - macht ihr Arbeitgeber der sittsamen Jane bald einen Antrag, den diese (natürlich) freudig annimmt. Anstatt nun aber schon ein happy ending aus dem Hut zu zaubern, lässt die Autorin die Hochzeit zur Katastrophe werden: Es stellt sich heraus, dass Janes Fast-Angetrauter bereits verheiratet ist, nämlich mit der geistig verwirrten Kreolin Bertha, die er auf dem Dachboden versteckt hält (und die als eponyme "Mad Woman in the Attic" des literaturwissenschaftlichen Klassikers von Susan Gubar und Sandra Gilbert zumindest eine teilweise Wiedergutmachung für die unglimpfliche Behandlung durch ihren Gatten erfuhr). Jane ist (wer könnte es ihr verdenken?) zutiefst schockiert, verlässt Rochester und Thornfield Hall und verdient sich ihren Lebensunterhalt fortan als Lehrerin an einer Dorfschule. Nach einigem Hin und Her, in dessen Verlauf sie ein beachtliches Vermögen erbt, dieses jedoch generös mit leer ausgegangenen Verwandten teilt, kehrt sie - einer Eingebung folgend - noch einmal nach Thornfield Hall zurück, um festzustellen, dass das Anwesen bei einem Brand zerstört wurde. Bei dem Feuer, gelegt von der verwirrten Bertha, wurde Rochester zwar schwer verletzt, aber seine unzurechnungsfähige Gattin kam dabei (welch glückliche Fügung) ums Leben; nachdem Rochester nun zwar versehrt, aber doch endlich frei ist, folgen Versöhnung und Hochzeit mit Jane, sowie die Geburt ihres gemeinsamen Sohnes.

Ohne Zweifel: Auch 160 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung hat Brontës Roman kaum etwas von seiner Popularität verloren und kann mit Fug und Recht als britisches Kulturgut erster Klasse bezeichnet werden. Mögen zwar die so genannten "British Heritage"-Verfilmungen der 1990er-Jahre in Deutschland eher ein Jane-Austen-Fieber ausgelöst haben, so ist Brontës Protagonistin doch auch hierzulande keine Unbekannte. In ihrem Heimatland hingegen schafft es "Jane Eyre", wie die Herausgeberinnen von "A Breath of Fresh Eyre" in ihrer Einleitung betonen, in Leserbefragungen - teilweise allerdings recht abstrusen wie etwa der von Bibliofemme - regelmäßig unter die Top Ten der beliebtesten Romane.

Dies, so wird man zugestehen müssen, ist noch nicht zwingend per se als Qualitätsmerkmal zu werten, zeigt aber, wie Margarete Rubik und Elke Mettinger-Schartmann darlegen, dass der Roman "academic scholars and a wide reading public alike" nach wie vor zu faszinieren vermag. Sollte man auch davon ausgehen, dass es wohl primär letztere waren, die sich Brontë als Lesepublikum vorgestellt hatte, so finden jedoch auch erstere Gefallen an dem Roman: "[it] continues to provide rich material for analysis for almost every critical school - a gauge of its complexity and originality".

Hier mögen sich geneigte Leserinnen und Leser für eine Sekunde an das Problem der Chronologie von Henne und Ei erinnert fühlen und sich fragen, ob es nicht eher raison d'être der Theorie sein sollte, Erklärungsansätze für Literatur zu liefern, als dass es Sinn der Literatur wäre, eine sich selbst reproduzierende Theorie mit Material am Leben zu erhalten. Eine Frage, die man sicherlich als ebenso ungebührend wie unpassend beiseite schieben würde, wäre sie nicht auch in Barbara Schaffs "Prologue" zum Band virulent. Dort stellt die Verfasserin fest, dass der kanonische Status des Buches auf einer "adaptability" des Romans an diverse wissenschaftliche Diskurse beruhe, die erst als Garant für "the novel's place in cultural consciousness over time" fungiere. Diese solcherart postulierte 'Anpassungsfähigkeit' eines Kunstwerks an spätere Theoriekonstrukte ebenso wie an sich wandelnde populäre Rezeptionsvorlieben wird von Schaff nun nicht nur mit dem Verweis auf die zahlreichen 'prequels', 'sequels' und 'spin-offs' untermauert, man denke dabei etwa an Daphne du Mauriers "Rebecca" (1938), Jean Rhys' "Wide Sargasso Sea" (1966) oder auch Jasper Ffordes "The Eyre Affair" (2001), sondern auch mit dem Hinweis darauf, dass "Jane Eyre" nicht nur als Standardbeispiel für den weiblichen Bildungsroman gelte, sondern auch - aus postkolonialer Sicht - "an ideal example for [sic!] colonial repression and anxieties" sei. Für die rezeptive wie produktive Popularität von "Jane Eyre", so schlussfolgert Schaff, gebe es vor allem zwei Gründe: Zum einen ermögliche die Offenheit des Textes und seine daraus resultierende ideologische Polyvalenz, durch die etwa die Protagonistin als "a liminal figure, negotiating a series of positions between different class-, race-, and gender-related imperatives" erscheine, immer neue 'Lesarten'; zum anderen weiß Schaff jedoch noch einen weiteren - geradezu erfrischend 'unwissenschaftlichen' - Grund anzugeben: "Jane Eyre is read today for the simple reason that it continues to give pleasure".

Unterschiedlichen Transformationen dieses produktiven 'Lesevergnügens' gehen die folgenden, in drei Abteilungen gruppierten Beiträge nach: So bietet etwa "Novel Adaptations" neben einer ganzen Reihe von Untersuchungen zum Verhältnis von Jean Rhys' "Wide Sargasso Sea" und seinem viktorianischen Prätext - etwa Thomas Loes "Landscape and Character in Jane Eyre and Wide Sargasso Sea" und Wolfgang G. Müllers "The Intertextual Status of Jean Rhys's Wide Sargasso Sea" - auch Beiträge zu neueren 'Posttexten' wie D.H. Thomas' "Charlotte" (2000) oder auch Mardi McConnochies "Coldwater" (2001). In "Visual Adaptations - Film and other Pictorial Media" gehen die Beiträgerinnen und Beiträger diversen medialen (Re-)Präsentationen der Brontë'schen Charaktere nach: Während sich etwa Carol M. Dole mit der Darstellung von Kindern in unterschiedlichen Verfilmungen des Romans beschäftigt, widmen sich Marla Harris und Norbert Bachleitner in ihren Beiträgen der Frage, welchen Modifikationen Brontës Text in verschiedenen textuellen wie grafischen Adaptionen für Kinder und Jugendliche unterzogen wurde. Die letzte Abteilung, "Stage Adaptations - Opera and Drama", schließlich enthält neben Bruno Lessards Betrachtungen zu Michaels Berkeleys Oper "Jane Eyre" (2000) auch Rainer Emigs Beitrag, in dem er - jenseits des bloßen Aufzeigens von Parallelen und Analogien - intertextuellen Verschränkungen von Brontës Roman und Sarah Kanes Theaterstück "Blasted" nachgeht. Dabei ist die Überzeugungskraft der angeführten Argumenten bald größer ("Yet the most striking and most puzzling parallel between Jane Eyre and Blasted is the fact that the two injured female protagonists eventually return to their male counterparts. Bling and maimed, Rochester and Ian are now themselves intertextual quotations - of the most famous literary paradox concerning blindness and insight in Western culture, Oedipus."), bald jedoch auch geringer ("In Kane, Ian fantasises about Cate enjoying sex with black men: 'You a nigger-lover?' ...., while in Brontë's novel Rochester is actually married to a Creole woman."). Den epilogischen Abschluss des Bandes bildet die "Autocritical Exercise" der Schriftstellerin und Dramatikerin Michelene Wandor, in der sie ihre 'Lesart' des Romans anlässlich einer für die BBC erstellten Hörspielversion von "Jane Eyre" darlegt.

Fazit: Auch wenn nicht alle Beiträge - dem launigen Wortspiel des Titels folgend - gleichermaßen frischen wie überzeugenden Wind in die Interpretation von Brontës Roman zu bringen vermögen, so wird "A Breath of Fresh Eyre" dennoch all jenen eine gewinnbringende Lektüre bieten, die sich für die teilweise bemerkenswerten Transformationen des viktorianischen Klassikers interessieren.


Titelbild

Margarete Rubik / Elke Mettinger-Schartmann (Hg.): A Breath of Fresh Eyre. Intertextual and Intermedial Reworkings of Jane Eyre.
Rodopi Verlag, Amsterdam 2007.
418 Seiten, 84,00 EUR.
ISBN-13: 9789042022126

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